Von Sören S. Sgries
Stuttgart/Heidelberg. Die Ankündigung war vollmundig: Die "60 spannendsten Minuten im Wahlkampf" wollte der SWR am Montagabend aufbieten, beim großen "Duell" vor der baden-württembergischen Landtagswahl. Schließlich sollte sich hier Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gegenüber seiner direkten Herausforderin, CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann, behaupten. Klappte das?
Die Kandidaten
Die beiden, die aufeinandertrafen, kennen sich gut: Seit fünf Jahren arbeiten der 72-jährige Ministerpräsident und seine 56-jährige Kultusministerin im grün-schwarzen Landeskabinett zusammen. Doch die Voraussetzungen, unter denen sie in den Stuttgarter "Wagenhallen" vor die Kameras traten, könnten unterschiedlicher kaum sein.
Kretschmann, der im dunklen Anzug mit grün-weiß gestreifter Krawatte auftritt, blickt auf ein dickes Polster in den Umfragen – nicht nur bei der persönlichen Beliebtheit. Seine Grünen lagen zuletzt bis zu sieben Prozentpunkte vor der CDU.
Eisenmann, ganz in Schwarz am Rednerpult, hat hingegen zu kämpfen – weder die Partei noch die Spitzenkandidatin stehen gut da. Sie muss attackieren.
Ob die Getränkewahl hilft? "Ein Glas Wasser, medium", kündigt Moderator und SWR-Chefredakteur Fritz Frey an. Aber beim Ministerpräsidenten geht es auch nicht spritziger zu: "Kräutertee warm".
Die erste Attacke
Die Bewältigung der Corona-Pandemie sollte nach eigenen Angaben nicht Wahlkampfthema sein – ist es aber auch an diesem Abend natürlich doch.
Gleich zu Beginn geht es um die aktuell in dieser Woche anstehenden Entscheidungen. Öffnen? "Wir dürfen nicht riskieren, dass wir durch zu schnelle und zu breite Öffnungen in eine dritte Welle reinrauschen", mahnt Kretschmann. Gleichzeitig könne man inzwischen "mehr ins Risiko gehen" als im Frühjahr, schließlich habe man jetzt Masken, die Impfungen hätten begonnen, es gebe Schnelltests, mit denen man in dieser kritischen Phase arbeiten könne.
Eine Vorlage für Eisenmann: Der Sozialminister – sie meint Kretschmanns grünen Parteifreund Manne Lucha – müsse die Teststruktur gerade für Schulen dann auch aufbauen, reitet sie die erste Attacke. Dies den Schülern und Lehrern allein zu überlassen, das gehe nicht.
Und der Ministerpräsident? Bremst ein wenig. Jeder Minister sei schon für seine Baustellen verantwortlich, verweist er Eisenmann ins eigene Schulressort. Und lenkt dann vorsichtig ein: "Ich bin da im Prinzip gar nicht so weit weg von der Kultusministerin."
Schulen oder Baumärkte?
Als Kultusministerin hatte Eisenmann massiven Gegenwind erlebt für ihre Forderung, möglichst schnell Kitas und Schulen wieder zu öffnen. Sie bleibt auch in diesem Duell auf Kurs.
Kretschmann deutet an, man müsse jetzt auch mal etwas für Geschäfte tun, beispielsweise Baumärkte öffnen um "Grenztourismus" zu verhindern. Um Schulen solle es erst wieder "im übernächsten Schritt" gehen. Sie entgegnet: Bei aller Wertschätzung für Baumärkte müssten Kitas und Schulen doch "Priorität" haben.
Eine kleine Überraschung
Vor der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin am Mittwoch hatte Kretschmann Ideen für vorsichtige Öffnungen vorgelegt – ein Konzept, das inzwischen zumindest dem gesamten Kabinett bekannt sein könnte, sollte man meinen.
Seine Ministerin gesteht hingegen mit spöttischer Genugtuung: "Ich räume auch ein: Ich kenne das Papier nicht." Und: "Vielleicht schickt’s mir mal jemand." Da windet sich Kretschmann ein wenig, verweist darauf, dass doch eigentlich nichts Neues drinstehe. Eisenmanns trockener Konter: "Ich kann ja Zeitung lesen. Und so gesehen bin ich zumindest über die Medien informiert."
Die Sache mit dem Impfen
Auch bei der Frage nach dem mühsamen Impfstart formuliert Eisenmann spitze Attacken – wenn auch ohne Namensnennung. "Impfen ist Hoffnung", sagt sie. "Deshalb ist es auch wichtig, dass das gut organisiert ist." Immerhin: Mit Blick auf die eigene Impfung sind beide eindeutig: Ja, sie wollen sich impfen lassen – wenn sie denn dran sind. "Im dritten (Quartal) werden wir mehr Impfangebote haben, als wir brauchen", verspricht Kretschmann.
Und außer Corona?
In der Bildungspolitik wird für Persönlichkeitsbildung geworben. In Ferienkursen könnten Lücken aufgeholt werden. Ein bisschen wird um die Zukunft des Wohnens gestritten – Kretschmann muss sich gegen den Vorwurf wehren, die Grünen wollten die Einfamilienhäuser abschaffen, ein willkommenes Wahlkampfthema für die CDU.
In der Wirtschaftspolitik wirft Eisenmann dem Grünen vor, er tue zu wenig: "Politik der ruhigen Hand ist durchaus sinnvoll. Nur die Hand sollte dabei nicht einschlafen." Kretschmann wiederum weist das entschieden zurück. Seine Strategiedialoge mit der Automobilwirtschaft seien "kein runder Tisch, an dem man ein bisschen plauscht". Da habe sich richtig was bewegt.
Und den Vorwurf Eisenmanns, die Grünen wollten die Oma aufs Fahrrad zwingen, weist der Ministerpräsident als "karikierend" zurück. Die hingegen stellt zufrieden fest: "Da mag es einen Unterschied geben zwischen Winfried Kretschmann als Person und der Partei."
Was fehlte?
Auffällig: Die Innenpolitik, ein Großthema des Wahlkampfs 2016, spielt überhaupt keine Rolle. Die größte Lücke ist aber eine, die bereits vorher augenfällig war: Es fehlt die Opposition am Tisch.
Auch wenn Eisenmann immer wieder versucht, den Grünen zu reizen: Ganz ungehemmt attackieren kann sie nicht – schließlich regierte ihre CDU in den letzten fünf Jahren ja mit. Und Kretschmann ist nicht unbedingt einer, an dem sich die CDU-Anhängerschaft reiben würde. Außerdem lässt er ihre Attacken meist abprallen.
Der SPD-Nachwuchs, die Jusos, twitterte im Vorfeld spitz: "Eins ist sicher: Es wird konservativ!" Die Einschätzung muss man nicht teilen. Aber so spannend, wie vom SWR gehofft, waren die 60 Minuten sicherlich nicht.
Das Ergebnis?
27:24 für Kretschmann. Zumindest, was den Blick auf die Redeminuten betrifft. Eisenmann humorig: "Wenn’s bei der Wahl dann umgekehrt ist, dann passt das."
Kretschmann zu Zoff um Öffnungspapier: Eisenmann hat es bekommen
Stuttgart. (dpa/lsw) Es war der Aufreger beim TV-Duell zwischen CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann und Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Eisenmann behauptete am Montagabend live im SWR-Fernsehen, sie habe das Impulspapier der Regierungszentrale zu einer Lockerung des Lockdowns am Donnerstag nicht zugeschickt bekommen. Kretschmann widersprach am Dienstag in Stuttgart dieser Darstellung: "Es ist ihr per Mail geschickt worden. Darüber kann nun gar kein Zweifel bestehen", sagte der Grünen-Politiker. "Ich kenne die Gründe nicht, warum sie es nicht hat." Das müsse Eisenmann nun wirklich selbst verantworten. "Ich würde gern einen Wahlkampf führen, wo es um die Zukunft dieses Landes geht und nicht darum, ob jemand eine Mail bekommen hat."
Eisenmann hatte am Montagabend erklärt: "Es ist uns seitens der CDU nicht zugegangen." Sie kenne das Konzept nur aus der Zeitung, obwohl man die Bitte geäußert habe sich abzustimmen. "Ich gehe davon aus, dass wir darüber noch reden." Das sei von der Kommunikation her nicht optimal gelaufen, monierte sie. Kurze Zeit später verschickte Kretschmanns Sprecher Beweisfotos, dass die E-Mail noch am selben Abend an Eisenmanns Büroleiter gegangen sei. Aus ihrem Lager hieß es darauf: Es empfehle sich eben immer noch der Postweg. Allerdings stand das Konzept noch am Donnerstagabend auch auf der Homepage des Staatsministeriums.
Die Grünen-Landesvorsitzende Sandra Detzer verlangte von Eisenmann eine Entschuldigung. "Es ist keine Lappalie, wenn Frau Eisenmann vor hunderttausenden Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern die Unwahrheit sagt, um den Ministerpräsidenten in ein schlechtes Licht zu rücken." Sie forderte die Koalitionspartnerin auf, den Sachverhalt richtigzustellen und sich für ihre "Falschaussage" bei Bürgern und Kretschmann zu entschuldigen.
Update: Dienstag, 2. März 2021, 15.38 Uhr