Stefan Hell sprengte physikalische Grenzen
Heidelberger Physiker erhält den Kavli-Preis für Nanowissenschaften - Am DKFZ entwickelt er die Mikroskop-Technik weiter

Nur der Nobelpreis für Physik fehlt jetzt noch. Professor Stefan Hell (Göttingen/Heidelberg) sammelt Auszeichnungen wie andere Briefmarken: Deutscher Zukunftspreis 2006, Leibniz-Preis 2008, Otto-Hahn-Preis 2009, Meyenburg-Preis 2011. Und am 9. September wird er aus der Hand des norwegischen Königs Harald den Kavli-Preis für Nanowissenschaften entgegennehmen, benannt nach dem Physiker und Unternehmer Fred Kavli (1927-2013). Die mit einer Million Dollar dotierte Auszeichnung teilt er sich mit zwei Kollegen aus London und Straßburg.
Die Begründung der Jury: Stefan Hell (51) werde für seine "bahnbrechenden Entwicklungen, die zur Fluoreszenzmikroskopie mit Nanometerauflösung führten und neue Anwendungen in der Biologie eröffneten", geehrt. Im RNZ-Interview spricht der gebürtige Ludwigshafener und Vater von drei Kindern über seinen genialen Einfall und den Wert der Naturwissenschaften.
Sie haben die Lichtmikroskopie revolutioniert. Können Sie einem Laien erklären, worum es da geht?
Das Lichtmikroskop hatte 120 Jahre lang einen entscheidenden Nachteil: Feine Details, die kleiner als ein Fünftel eines Tausendstel Millimeter waren, konnte man nicht sehen. Seit Ernst Abbes Veröffentlichung von 1873 galt diese Grenze von 200 Nanometern quasi als Gesetz. Das Elektronenmikroskop erreicht zwar eine deutlich höhere Auflösung, aber man kann damit keine lebenden Zellen betrachten, man muss sie meistens zerschneiden, muss ihnen Wasser entziehen und braucht Vakuum.
Was war Ihre Idee?
Die Lichtmikroskopie war für mich irgendwie Physik des 19. Jahrhunderts, die sich in der zentralen Frage der Auflösung nicht weiterentwickelt hatte. Es konnte nicht sein, dass hundert Jahre lang neue Physik gefunden wurde und keiner dieser ,neuen' physikalischen Effekte geeignet sein sollte, die Grenze zu durchbrechen. Nach meinem breit angelegten Studium in Heidelberg wollte ich grundlegend arbeiten - und das war eine wichtige, knackige Frage. Ich dachte, das mit dem Bündeln des Lichts geht nun mal nicht besser - aber braucht man das wirklich, um Objektdetails zu trennen? Ich dachte mir dann, ich mache mir die Molekülzustände des Materials, das ich mir anschaue, als ,Trennmittel' zunutze.
Wie funktionierte das?
Im STED-Mikroskop benutzte ich zwei Strahlen, einen, der die Moleküle im Objekt in einen fluoreszenten Zustand brachte, und einen, der sie abschnittsweise in einem dunklen Zustand hielt. Damit kann man sie trennen.
Sie waren freier Erfinder, ehe Sie 1991 ans EMBL gingen. Braucht man das, um geniale Ideen zu haben?
Nein, man braucht aber ein gutes physikalisches Gespür und ebenso ein Gespür für das Machbare. Zunächst war ich tatsächlich auf mich allein gestellt. Das EMBL gab mir dann ein Stipendium, aber die damals Verantwortlichen haben nicht so richtig an die Idee geglaubt. Ich wäre nach den drei Jahren gerne in Heidelberg geblieben. Ein finnischer Kollege, der auch am EMBL forschte, vermittelte mir die Chance, in Turku an meinem Thema zu arbeiten.
Woran arbeiten Sie nun im DKFZ?
Die meisten von uns sind Physiker oder Chemiker. Wir entwickeln das Verfahren weiter und wollen den Krebsforschern die besten Werkzeuge an die Hand geben, um Dinge zu sehen, die sie mit den bisherigen Methoden nicht sehen können.
Was kostet denn solch ein Mikroskop?
Zwischen einer halben und einer Million Euro, wobei die Kosten nicht primär auf die jetzt viel höhere Auflösung zurückzuführen sind. Leica in Mannheim hat die ersten STED-Mikroskope auf den Markt gebracht. Inzwischen habe ich auch selbst eine Ausgründung in Göttingen initiiert, die STED-Mikroskope vertreibt.
Welche Ziele haben Sie noch?
Ich habe den Ehrgeiz, die STED-Mikroskopie und ähnliche Verfahren für jedes biomedizinische Labor der Welt zugänglich zu machen, damit alle die Chance haben, Vorgänge in einer lebenden Zelle in großer Detailschärfe zu untersuchen. Das ist unheimlich wertvoll. Man kann zum Beispiel bei einer Maus die Synapsen in den Gehirnzellen beobachten.
Was sagen Sie einem jungen Menschen, warum er Physiker werden sollte?
Man kann als Naturwissenschaftler seiner Kreativität freien Lauf lassen, aber wird durch die Natur immer wieder geerdet. Ich fand auch das Spannungsfeld zwischen Imagination und Verwirklichung immer interessant. Und die tatsächlichen Fortschritte der Menschheit haben so gut wie immer eine naturwissenschaftliche Basis. Was wir als soziale Errungenschaften empfinden, was wir als persönliche Freiheit erleben, das alles wäre ohne naturwissenschaftliche Entdeckungen und den darauffolgenden technischen Fortschritt nicht möglich gewesen. Sie haben grundlegende Bedürfnisse der Menschheit, etwa nach ausreichender Nahrung und Gesundheit einer Lösung zugeführt, und so den Freiraum geschaffen damit wir uns als Menschen entfalten können.



