Werden Mordermittlungen dadurch schwieriger?
Insekten auf Leichen können eine wichtige Hilfe bei Mordermittlungen sein. Doch das Insektensterben macht den Experten die Arbeit schwer - behauptet zumindest einer von ihnen. Doch ist das wirklich so?

"Es gibt große Ausfälle von Insekten an Leichen, vor allem bei einigen Schmeißfliegen-Arten ist uns das schon vor mehr als zehn Jahren aufgefallen", sagt Benecke, der regelmäßig im Radio zu hören ist und sich in der Partei des Satirikers Martin Sonneborn engagiert. "Die Schmeißfliegen waren in einem Sommer auf einmal nicht mehr da, stattdessen viele Wespen." Benecke hielt das damals zunächst für eine natürliche Schwankung, insgesamt gesehen sei die Zahl der Arten auf Leichen jedoch im Laufe der Jahre gesunken. Einen konkreten Grund für diesen Insektenschwund kennt Benecke nicht. Als mögliche Ursachen nennt er unter anderem den Einsatz von Neonikotinoiden, die zum Ende dieses Jahres in der EU weitgehend verboten sind, und Klimaveränderungen im Allgemeinen.
Im Oktober 2017 hatten Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden eine vieldiskutierte Studie vorgelegt, nach der die Zahl der Fluginsekten zumindest in Teilen Deutschlands deutlich zurückgegangen sei. Auch Benecke verweist immer wieder auf diese Studie, die Befunde zum Insektensterben bezeichnet er als "das schlimmste, was ich in meinem Leben als Biologe bisher erlebt habe".
Die Forschergruppe konzentrierte sich bei ihrer Studie damals auf die Gesamtmasse der Insekten, nicht auf einzelne Arten. Jens Amendt kann daher bei Beneckes These, dass die Klärung von Mordfällen aufgrund des Insektensterbens schwieriger wird, nur mit dem Kopf schütteln. "Ich verstehe nicht, wie er darauf kommt", sagt der Experte des Instituts für Rechtsmedizin in Frankfurt. Auch er kennt die Studie vom Oktober, auch er geht davon aus, dass es insgesamt weniger Insekten gibt. Doch folgt daraus, dass Kriminalbiologen künftig eine Möglichkeit weniger zur Verfügung steht, um Straftäter aufzuspüren?
"Die Studie lässt keinen Schluss zu, dass es weniger Schmeißfliegen gibt", sagt Amendt. Die seien für die forensische Entomologie, also die Insektenkunde im Zusammenhang mit Rechtsfällen, am wichtigsten. "Schmeißfliegen kommen mit allem klar, sie haben es derzeit vielleicht etwas einfacher als andere Insektenarten", erklärt Amendt.
30 bis 40 Leichen mit Insektenbefall werden jährlich im Institut in Frankfurt untersucht, und laut Amendt fällt dann meist der Fokus auf die immer gleichen Insekten. Die Experten können dann anhand des Insektenbefalls feststellen, wie lange Leichen schon an einem bestimmten Ort gelegen haben - oder ob sie zuvor schon an einem anderen Ort mit anderen Merkmalen und dann auch anderen Insektenarten gewesen ist. Amendt habe dabei bisher subjektiv keinen bedeutenden Rückgang von Insekten bemerkt. Eine passende Studie dazu gebe es seines Wissens ebenfalls nicht.
Nach Angaben von Senta Niederegger vom Universitätsklinikum Jena hat die Zahl der eingesammelten Tiere auf einer Leiche "gefühlt abgenommen", nicht aber die Anzahl der Arten. "Ohne konkrete Zahlen oder Beweise vorlegen zu können, habe ich den Eindruck, dass zu meiner Anfangszeit hier in Jena – also vor etwas mehr als zehn Jahren – generell mehr Maden auf den Leichen waren als jetzt."
Die gesamte Masse der Insekten in Deutschland habe sicher abgenommen. "Es fehlen aber keine der Arten, die wir für unsere Liegezeitberechnungen brauchen", betont sie. "Der Insektenschwund ist ein Drama und man muss etwas dagegen tun. Aber konkret für die forensische Entomologie besteht noch kein akuter Handlungsbedarf", sagt Niederegger. "Wir mussten uns bisher noch keine neuen Methoden ausdenken."