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Wie geht es Europas Küsten?

Beim Trec-Projekt werden die europäischen Küstenregionen so gründlich wie noch nie untersucht. Das Labor ist ein Forschungs-Van.

01.04.2023 UPDATE: 01.04.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 34 Sekunden
Niko Leisch wird im nächsten Jahr viel Zeit in dem fahrenden Labor verbringen. Foto: Massimo del Prete / EMBL

Von Hannes Huß

Heidelberg. Wenn Niko Leisch die Tür seines umgebauten Campers öffnet, könnte man kurz denken, dass der Meeresbiologe einen Foodtruck betreibt. Doch im Inneren des Vans verbirgt sich nicht etwa eine Küche, sondern das "Mobile Sample Processing Lab". Es ist das Herzstück des Trec-Projekts des Europäisches Laboratorium für Molekularbiologie (siehe Hintergrund), bei dem die europäischen Küstenregionen untersucht werden – und es ist das erste seiner Art. Leisch hat dieses Labor im letzten dreiviertel Jahr entworfen und die notwendigen Geräte zusammengestellt. Zu jedem Zeitpunkt sollen im Rahmen des Projekts sechs bis zehn Wissenschaftler im Van arbeiten, dazu kommen drei bis fünf Kräfte am EMBL-Standort in Heidelberg.

Hintergrund

> Bei dem Trec-Projekt geht es darum, die europäischen Küstenlinien und deren Ökosysteme zu erforschen. Trec steht für "Traversing European Coastlines". Herzstück des Projekts ist das "Mobile Sampling Processing Lab", ein umgebauter Van, in dem sich Elektronenmikroskope,

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> Bei dem Trec-Projekt geht es darum, die europäischen Küstenlinien und deren Ökosysteme zu erforschen. Trec steht für "Traversing European Coastlines". Herzstück des Projekts ist das "Mobile Sampling Processing Lab", ein umgebauter Van, in dem sich Elektronenmikroskope, Trockenkühlschränke, Zellsortierer und weitere Geräte befinden. So können Proben direkt vor Ort analysiert und prozessiert werden.

> Ziel der Forschung ist es, die europäischen Küstenregionen und deren Biodiversität in bisher nicht da gewesenem Ausmaß zu untersuchen und Daten für neue Biodiversitätsprojekte zu sammeln. Von April 2023 bis voraussichtlich Juni 2024 sollen dafür an insgesamt 120 Untersuchungsstellen entlang der europäischen Küsten Proben entnommen werden.

> Die Zusammenarbeit mit lokalen Projektpartnern, die ihre Expertise einbringen und von der Technologie des mobilen Labors profitieren können, ist ein wesentlicher Baustein des Projekts. Außerdem werden an den Stationen die Bürger eingeladen, sich über die Untersuchungen und die Arbeit des Trec-Teams zu informieren.

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Im Mobile Sample Processing Lab findet man nun die "Basics der Molekularbiologie", wie Leisch es ausdrückt. Dazu zählen unter anderem automatisierte Mikroskope. "Diese Mikroskope kann man so einstellen, dass sie den Prozess der Zellteilung dokumentieren", erklärt Leisch. Auch die sogenannten Zellsortierer sind vor allem unterstützende Werkzeuge: Sie helfen dabei, Zellen schnell nach gewissen Charakteristiken zu sortieren. So können schnell sehr diverse Proben gezielt untersucht werden. Mit Elektronenmikroskopen ist es derweil möglich, so hochauflösende Bilder zu erstellen, dass die Wissenschaftler sogar einzelne Proteine in den Zellen erkennen können. "Wir können damit Zellorganellen erfassen, von denen wir bisher noch gar nicht wissen, was genau sie machen", freut sich Leisch über die technologischen Beschaffenheiten des "Mobile Sample Processing Lab".

So soll es möglich sein, die Ökosysteme der europäischen Küstenregionen zu untersuchen, in denen immerhin die Hälfte der europäischen Bevölkerung lebt. "Wir schauen uns unberührte Natur, Städte, Flüsse, landwirtschaftliche Regionen an." Dabei sollen mehr Erkenntnisse über den menschlichen Einfluss auf diese Systeme gewonnen werden. Die gesammelten Daten und Proben werden dann an den EMBL-Standort in Heidelberg geschickt, wo weiter mit ihnen gearbeitet wird. Für die Präparation der Proben muss flüssiger Stickstoff verwendet werden, damit diese "schockgefroren" werden, wie Leisch erklärt. So ändert sich die Zellstruktur nicht.

Dabei baut das Trec-Projekt auf schon laufender Forschung auf. "In Sylt wird das Wattenmeer schon seit langem erforscht", sagt Leisch. Das Trec-Projekt soll nun aber über Ländergrenzen hinweg Daten sammeln und so die Forschungsarbeiten miteinander verknüpfen. "Für mich ist das Projekt schon jetzt ein Erfolg wegen der Art und Weise, wie die wissenschaftlichen Communities zusammenkommen", so der Biologe. Denn an jedem Untersuchungsort kooperiert das Trec-Projekt mit Instituten vor Ort, die häufig schon seit langer Zeit die Küstenregionen erforschen.

Insgesamt sind knapp 100 Wissenschaftlergruppen in das Trec-Projekt eingebunden. "Wir bekommen von ihnen historische Daten geliefert und sie können auf alle unsere Daten zugreifen", erklärt Leisch. All die gesammelten Daten werden außerdem kostenfrei allen Wissenschaftlern auf der Welt als Open Source-Materialien zur Verfügung gestellt.

Ob mit dem Trec-Projekt am Ende wirklich 120 Standorte untersucht werden, wie es geplant ist, kann Leisch nicht versichern: "In der Feldarbeit kann es immer wieder zu unvorhersehbaren Problemen kommen." Andere Hindernisse konnte er hingegen schon einpreisen. Dem Trec-Projekt ist nämlich die "Tara Pacific Expedition" angeschlossen, welche die Ökosysteme in tiefem Wasser untersucht. Auch das gehört zur Neuartigkeit von Trec: "Wir untersuchen zeitgleich Land, seichte und tiefe Gewässer." Das ist allerdings im Winter nicht möglich, weswegen die Untersuchungen dann pausieren müssen.

Los geht es für Leisch und das Trec-Team am 1. April an der französischen Atlantik-Küste. Von dort aus geht es zuerst die Nord- und Ostsee entlang bis in die baltischen Staaten, danach über Skandinavien nach Großbritannien und Irland, die französische und iberische Atlantikküste hinab bis nach Gibraltar. Dort soll dann im Oktober die planmäßige Winterpause gemacht werden, bevor es im März 2024 weitergeht. Danach arbeitet sich das Trec-Team die Mittelmeerküsten entlang, über Spanien, Frankreich, Italien und den Balkan bis nach Griechenland.

Leisch plant, die meiste Zeit vor Ort dabei zu sein: "Wir arbeiten mit hochgradig komplizierten Maschinen." Außerdem reize ihn die Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Wissenschaftlern. Seine Aufgabe als Operational Manager Mobile Services beschreibt er so: "Ich unterstütze die Laborwissenschaftler, ihre Arbeit im Feld durchzuführen." Expertise darin hat er reichlich: Schon seit zehn Jahren ist er regelmäßig bei Feldexpeditionen dabei.