Binationale Familien

Zwei Herzen, ach ...

Mit zwei Kulturen zu leben, kann anstrengend sein – Kinder wachsen in die Doppelrolle hinein

18.09.2018 UPDATE: 23.09.2018 06:00 Uhr 4 Minuten, 26 Sekunden
Wo die Liebe hinfällt: Binationale Paare haben das Problem, dass einer irgendwo immer „der Ausländer“ ist und oft auch bleibt. Foto: thinkstock​

Von Frauke Gans

Heidelberg. Mit der großen Liebe auf eine Insel im Mittelmeer ziehen, um Sonne und Ouzo zu genießen. Helga Ioannidis, bei Umzug noch Huber, ist Münchnerin, wohnt aber mit ihrem griechischen Mann auf Rhodos. In der importierten Buchenholzkommode im Flur liegen die deutschen und griechischen Pässe der Kinder. Eine kleine binationale Familie.

Die doppelte Kulturzugehörigkeit versprach tolle Vorzüge: Zweisprachigkeit, einen weiteren nationalen Horizont, Studien- und Arbeitsplätze in zwei Ländern und abwechslungsreiches Mittagessen: mal Knödel, mal Dolmades - um sich an gängige Klischees zu klammern. Aber mit zwei Kulturen zu leben kann anstrengend sein. Helga: "Manchmal fühlt es sich an, als zöge an jedem Arm eine Nation. Die neue ringt oft mit der alten Identität. Das macht müde."

Warum ist das so? In Europa wimmelt es doch von Menschen mit Doppelkultur. Deshalb beobachten etliche Organisationen und Wissenschaftler den rechtlichen, emotionalen sowie sozialen Stand binationaler Familien. Ein Fazit: Es lauert eine ständige unterschwellige Alltagsbelastung. Der ausländische Elternteil ist nirgends mehr vollständig daheim.

Mit zwei Kulturen: Die Münchnerin Helga Ioannidis lebt in Griechenland. Foto: Gans

Zu Hause auch behördlich ein Auswanderer, im Einwanderungsland immer der Ausländer. Zum Beispiel an der Uni: Binationale Kinder müssen oft in ihrer zweiten Sprache trotzdem ein Diplom vorlegen, um studieren zu dürfen. "Meine Kinder legen also deutsche Sprachprüfungen für Ausländer ab", wundert sich Helga. Geht es um Bürgerpflichten wie den Militärdienst, verlangt das Gesetz die Ableistung in mindestens einem Land. Hier ist plötzlich kein Sprachdiplom nötig. Und für wen soll man dann "zur Waffe greifen"?

Für deutsch-griechische Familien war dieser Zwiespalt durch die Krise zu einem schmerzhaften Spagat geworden. Jedes Jahr besteigt die Münchnerin mit den Kindern einen Billigflieger und besucht Verwandte. Normalerweise eine Reise zu Brezeln, Käsekuchen und zoologischen Gärten. Eine Zeit lang ähnelte der Heimaturlaub aber einem Spießrutenlauf. "Ich wurde permanent befragt, was wir in Griechenland trieben. Ich steckte den gesamten Urlaub im Aufklärungsmodus.

Denn während ich im europäischen Süden immer die Deutsche bleibe, mutiert man daheim als Auswanderin gesellschaftlich zur Griechin: Da wohnst du, das bist du!" Das bedeutete für Helga handfeste Anfeindungen in Deutschland. "Ich brauche aber diese Ausflüge in die Heimat für meine psychische Gesundheit. Dort liegen meine Wurzeln, dort kann das deutsche Ich ganz es selbst sein. Aber Griechin bin ich emotional nun auch."

"Diese Situation betrifft nicht nur Ausländer auf Heimaturlaub", beobachtet der Verband binationaler Familien und Partnerschaften. "Kinder mit doppelter Staatsbürgerschaft mögen hier geboren und aufgewachsen, ein Elternteil mag deutsch sein. Stammt ein Teil jedoch aus einem anderen Land, werden die Kinder in der Regel gefragt, woher sie kommen", berichtet Verbandssprecherin Jeannette Ersoy.

Der Migrantenstempel: Doppelstaatler werden in Deutschland nicht einmal wie in Griechenland in halb-halb unterteilt, sondern nur dem ausländischen Elternteil zugeordnet. "Besonders kompliziert gestaltet sich die Situation, wenn Aussehen und Name nicht dem deutschen Standard entsprechen. Neugierige Mitbürger geben keine Ruhe, bis diese Kinder sagen: Ja, mein einer Elternteil ist griechisch. Dann folgt die fast erleichterte Kategorisierung: Ach so, du bist Grieche." Ihre Identität besteht aber aus zwei Wurzelsträngen.

Eine umgekehrte Ioannidis-Variante lebt in Heidelberg. Die Deutsche Irmgard Throm und ihr griechischer Mann Kostas Sakellaris bestätigen die Eindrücke Helgas und des Verbandes. "Zu unserem binationalen Bekanntenkreis gehört eine Familie im Schwäbischen. Die Kinder tragen griechische Namen, sind aber in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sie wurden in Zeiten der aggressiven Berichterstattung zu Griechenland in der Schule massiv von Lehrern und Mitschülern verbal angegriffen."

Die beiden Kinder sahen sich in der Rechtfertigungspflicht, ohne eine Spur der Ahnung zu Griechenlands Problemen zu haben. Irmgard Throm beobachtete das mit Wut und Verwunderung: "Dabei leben viele rein griechische Familien in Deutschland das Immigranten-Phänomen: Sie werden deutscher als deutsch." Sprich: Sie stellen sich vollständig auf deutsche Regierungsseite und schimpfen über Griechenland. "Ohne zu wissen, was im zweiten Zuhause los ist. Vor der Krise war das kein Thema."

In Statistiken kategorisiert man grundsätzlich alle Familien mit Doppelkultur in Deutschland als Menschen mit Migrationshintergrund. Wie eine Sprecherin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erklärt, "hat eine Person einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt." Selbst wenn binationale Einwohner in Deutschland geboren wurden, dort aufwachsen und ein Elternteil komplett deutsch ist.

Und obwohl sie im Fall eines deutschen und eines ausländischen Elternteils von Geburt nach dem Abstammungsprinzip beide Staatsbürgerschaften erhalten. Damit stecken sie in der gleichen Kategorie, wie eine frisch zugezogene ausländische Familie. Die emotionale Zugehörigkeit wird so blockiert, die faktische quasi abgesprochen. Dabei stößt vermutlich jeder, der seinen Stammbaum ordentlich recherchiert, früher oder später auf Einwanderer. Manchmal liegt die Migration nur weiter zurück und wird deshalb nicht mehr wahrgenommen

Helga Ioannidis spürt die sozialen Konsequenzen immer wieder: "In Deutschland wie in Griechenland mache ich die Erfahrung, dass Familien ihre Kinder nicht in Schulen mit zu vielen Migrantenkindern stecken möchten - also uns. Eine Ausnahme bilden nur binationale Familien mit Sonderstatus, wie deutsche Fußballnationalspieler oder Schauspieler.

Diese Diskriminierung betrifft uns, egal wo wir wohnen. Hüben wie drüben ist einer von uns Ausländer. Zumindest Luxusausländer, da Deutsche und Griechen trotz allem noch einen relativ guten Ruf genießen, aber eben doch Migranten sind. Aber Familien mit Migrationshintergrund assoziiert man in Deutschland inzwischen mit sozialen Problemen."

Bei Helgas Kindern ist die emotionale doppelte Staatszugehörigkeit naturgemäß stärker ausgeprägt als bei ihr, denn sie wachsen mit ihr auf. Sie wurden von klein auf mit Bemerkungen über ihre Doppelidentität konfrontiert. "Bei mir überwiegt die deutsche Helga.

Dazu hat sich ein griechisches Stückchen "Xelga" gesellt. Aber meine Töchter lernen, seit sie sprechen können, sie seien halb Griechin, halb Deutsche." Bis die Ältere protestierte: "Ich bin eine vollständige Griechin und eine ganze Deutsche."

Menschen mit binationalem Hintergrund identifizieren sich also mit beiden Kulturen, aber man gesteht sie ihnen nicht zu. Doch gibt es Differenzen zwischen den beiden Staaten, werden sie für die Fehltritte der jeweils anderen Regierung persönlich verantwortlich gemacht. Das ist schade, denn in der Sozialwissenschaft sieht man Binationalität grundsätzlich als Vorteil, da sich diese Menschen oft als Weltbürger verstünden und deshalb einen weiteren Horizont besäßen als Menschen mit nur einer Landeszugehörigkeit.

Eine Ressource, die auch durch eine Studie der EU abgetastet wurde. Das Ergebnis klingt vielversprechend: Wer sich in zwei Kulturen zu Hause fühlt, ist wertvoll für das kulturelle und politische Leben.

Leider müssen Familien, die auch noch zwei Sprachen sprechen, sich meist selbst darum kümmern, dass ihre Sprösslinge in der Nicht-Umgebungssprache keine Analphabeten bleiben, weil Länder oft den eigentlich ihnen zustehenden Zweitsprachunterricht nicht organisiert bekommen. Ein weiterer Fehler, denn laut der Studie sind Doppelstaatler und Bilinguisten auch noch ideale Wirtschaftsbrücken, da Kenntnisse fremder Gepflogenheiten und mehrerer Sprachen Auslandsgeschäfte wesentlich erleichtern.

Dieser Ruf ist zwar für binationale Familien vom wissenschaftlichen Standpunkt schmeichelhaft, doch die psychische Belastung in der Gesellschaft bleibt. Wenigstens Helga kann sich wieder etwas entspannen, seit andere Nachrichten Griechenlands Probleme aus den Medien verdrängt haben. Jetzt hat sich die Türkei an seine Stelle in die deutschen Schlagzeilen geschoben.