"Werbung Wirkung Pharma"

Die um Angst, Schlaf, Vitamine und Verhütung geworben wurde

Pharmazeutische Fachwerbung der Sechziger- bis Achtzigerjahre im Pharmaziemuseum der Uni Basel.

14.01.2023 UPDATE: 15.01.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 13 Sekunden
Unter „Hochspannung“: Werbung für das Beruhigungsmittel Librium. Foto: Pharmaziemuseum der Universität Basel

Von Carsten Blaue

Basel. Eine Terrasse. Er ruht vorne links auf einer Liege, eingepackt in eine Decke. Der noch etwas leidende Blick zur Liebsten nach rechts gewandt. Die schneidet lächelnd und wie aus dem Ei gepellt die Rosen: "Das Schlimmste ist überstanden" steht drunter. Typischer Fall von Männerschnupfen. Aber er hat ja brav seine Vitamine genommen.

Heute wird ein Erkältungssaft mit dem ähnlichen Stereotyp beworben, allerdings lustiger und nicht ganz so ernst. Die Anzeige mit unserem Terrassen-Leidenden dürfte in die Sechzigerjahre fallen, und da war es ernst gemeint.

Der Ernährer musste schließlich gesund sein für Karriere und Büro, in dem ihn die Werbung jener Zeit immer wieder zeigt. Und die Mutter parat für Kinder, Küche und vielleicht noch Kirche.

Sexualität galt als Familiensache, wurde öffentlich also nicht verhandelt, sodass die ersten Verhütungsmittel auf Hormonbasis als Populationshemmer und Angebot gegen Frauenleiden angepriesen wurden. Später wurde der Spieß umgedreht: Plötzlich galt die Pille als Mittel gezielter Familienplanung ("Wunschkinder sind glücklicher").

Kreativ waren sie eben schon damals, die Marketingstrategen hinter den Pharmariesen, die gesellschaftliche Debatten schon immer beeinflussten – und von diesen beeinflusst wurden.

Die Anzeigenwerbung spiegelt Geschlechterrollen, Familienbilder, den Alltag sowie Freizeit- und Konsumverhalten. Wie das in den Sechziger- bis Achtzigerjahren aussah, zeigt eine Ausstellung im schmucken und zentral gelegenen Pharmaziemuseum der Uni Basel.

Unter dem Titel "Werbung Wirkung Pharma" haben die Kuratoren Elias Bloch, Jonas Grüter und Kevin Hütten 300 Exponate aus der Fachwerbung für die Themenbereiche Angst, Schlaf, Vitamine und Verhütung zusammengestellt. "Die Kategorien waren nicht gesetzt", sagt Hütten.

Neben dem Brückenschlag zu aktuellen Debatten sei es in der Konzeption etwa um die Frage gegangen, was den Betrachter wie berührt. Bildgewaltig sollte die Werbung sein, nicht zu textlastig. Und es ging auch darum, was "anschaubar" ist: "Es gäbe auch was zu Hautkrankheiten. Aber das wäre zu heftig gewesen", so der Kurator.

In den ausgewählten Anzeigen wurden Ärzte, Apotheker und anderes Fachpublikum also bei weitem nicht nur mit Fakten bombardiert, sondern auch mal mehr und mal weniger subtil mit Emotionalem bezirzt.

Roche zum Beispiel packt dabei den Holzhammer aus: Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt die Mutter, das Kind und den entbindenden Arzt (die Schwester oder Hebamme darf nur zuschauen) unmittelbar nach der Geburt: "Eine schwere Stunde. Erleichtert mit Valium." Drunter steht noch: "Mehr als ein Tranquilizer." Stimmt. Die Ausstellung klärt in einem kurzen Begleittext über das gefährliche Suchtpotenzial von Benzodiazepin auf.

Hübscher sind da schon die jungen Menschen, die nach ruhigem Schlaf dank Dormac frisch erwachen – auch wenn sie vielleicht die Nebenwirkungen spüren. Insomnie war für Arzneimittelhersteller ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts mit der interessanteste Gegenstand der medizinischen Forschung.

Schlafmittel wurden teilweise beworben als hilfreich gegen Überreizung, Überforderung und Stress. In einer Welt, die als immer technisierter, lauter, konsumorientierter galt. Doch die Barbiturate der ersten Generation waren mehr Sedative als Schlafmittel. Und in Wechselwirkung mit Alkohol lebensgefährlich. Jimi Hendrix und Marilyn Monroe hatten beides im Blut, als sie starben. Auch das erwähnt die Ausstellung.

Ansonsten gibt es eher wenig Erläuterndes zu lesen. Die Ausstellung selbst und ihre Themengebiete werden zwar griffig eingeführt, und es gibt hier und da ein Detail. Aber das ist es auch schon. Die Aussage und Wirkung der einzelnen Anzeige muss man sich selbst erschließen.

Das funktioniert zwar meistens gut, doch würde man gerne mehr erfahren. Das geht dem Team um Museumsdirektor Philippe Wanner sicher ähnlich. Und damit ist man bei der Herkunft der Exponate. Und die ist so spannend wie die Ausstellung selbst.

Die Werbebroschüren gehören zu einem Konvolut des Pharmaziemuseums, das exakt 15.944 Flyer umfasst. Gesammelt hat sie alle ein Psychiater bis in die 1990er hinein – zunächst in einer Badewanne und als die voll war, in Säcken. Er hat erst aufgehört, als er seine Praxis aufgegeben hat. Warum er die Anzeigen aufbewahrte, ist unbekannt.

Und auch seinen Namen nennt Wanner auf Wunsch der Erben nicht. Kurator Hütten sagt: "Wir finden keine Spuren des Sammlers. Er ist unsichtbar. Und seine Sammlung war unberührt." Sprich: Ungeordnet und unkommentiert.

Wanner ist trotzdem froh, sie im Bestand zu haben. Weil sie vor allem eine pharmaziehistorische Quelle ist, aber auch ein Schatz für Kreative, Kommunikations- und Sozialwissenschaftler sowie für Linguisten. Ein Schatz, der noch gehoben werden will. Bislang ist der Bestand "nur" inventarisiert – aber alleine das hat die Zivildienstleistenden des Museums rund acht Jahre lang beschäftigt.

Einer von ihnen war Raphael Widmer. Er stolperte Ende 2020 über alte Werbungen für das Beruhigungsmittel Lexotanil, also Bromazepam. Die Anzeigenserien sind beklemmend. In einer kann der von Ängsten geplagte Mensch seinen Hobbys nicht mehr nachgehen.

In einer anderen wird er zum verstimmten Musikinstrument und das Medikament zum Menschen, der das Instrument mit einem Handgriff wieder wohlklingen lässt: "Der subtile Ausgleich."

Widmer fühlte sich inspiriert und schuf eindrückliche Ölgemälde, welche die Ausstellung begleiten. Das alte Labor des ehemaligen Pharmazeutischen Instituts ist der passende Rahmen für das Thema Angst. Viel gemütlicher ist da schon die Bibliothek, die vom größten Teil der Ausstellung bespielt wird.

Info: Die Ausstellung "Werbung Wirkung Pharma" im Pharmaziemuseum der Universität Basel, Totengässlein 3, CH-4051 Basel. Geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr. Bis 26. Februar.