Und wann kriegen wir dann ein Kind?
Frauen Anfang 30: Kein Mädelsabend vergeht ohne "Babygespräche". Dabei hat noch keine wirklich Lust aufs Kinderkriegen. Über die Spannung zwischen biologischer und sozialer Fruchtbarkeit und den Boom der Reproduktionsmedizin.

Von Anica Edinger
Vier Frauen stehen in der Küche. Sie trinken ein Glas Wein. Sie quatschen. Sie tauschen sich aus. Mindestens einmal die Woche ist das so ein Ritual: Mädelsabend. Häufig wird dann gemeinsam gekocht. Möglichst einfach soll das sein, ja nicht zu aufwendig. Denn Zeit hat keine der Vier. Arbeit. Sport. Der Partner. Am Wochenende Hochzeiten, Geburtstage, Partys – soziale Verpflichtungen eben. Der Terminkalender ist immer voll. Und die Zeit ist knapp.
So ist das, wenn man gerade 30 geworden ist. Und ausgerechnet jetzt drängt sich ein weiteres Thema auf: Kinderkriegen. Kein Abend vergeht mit den "Mädels", bei dem es nicht irgendwie um Babys, Mütter, Familienplanung geht. Immerhin haben gerade zwei andere Freundinnen verkündet, dass sie schwanger sind – und das quasi zeitgleich. Auch Eltern und Großeltern fangen so langsam an, sich einzuschalten. Die entscheidende Frage: Wann ist es denn bei euch soweit?
Der Druck steigt also merklich. Und das ist eigentlich kein Wunder: Schließlich sind Mütter heutzutage statistisch gesehen im Durchschnitt eben 30 Jahre alt, wenn sie ihr erstes Kind bekommen. Das wissen auch Eltern und Großeltern. Nur ungern möchte man aus dem Raster fallen. Nur: So wirklich Lust auf diesen Teil des Lebens hat aktuell noch keine der Vier beim Mädelsabend. Lieber noch ein bisschen reisen. Freundschaften pflegen. Karriere machen. Partys richtig feiern. Die Freiheit genießen. Denn die ist vorbei, sobald das erste Kind kommt. Das ist jedenfalls die einhellige Meinung. Überhaupt: Für sehr viele Frauen meiner Generation scheint das Kinderkriegen häufig auch eines zu sein: eine Bürde.
Tatsächlich belegen Zahlen, dass dieser Eindruck bei den Anfang 30-jährigen Frauen nicht trügt. Denn verschiedenen Studien zufolge verschieben Frauen in gerade diesem Alter das Kinderkriegen zeitlich immer weiter nach hinten. Das zeigen etwa die Daten des Statistischen Bundesamts, die jährlich auf Grundlage des Mikrozensus erhoben werden. Lag 1980 das Durchschnittsalter von Frauen beim ersten Kind noch bei 25 Jahren (in Ostdeutschland bei 22), stieg es in den folgenden Jahrzehnten kontinuierlich an. Heute bekommen immer mehr Frauen in Deutschland ihr erstes Kind erst im vierten Lebensjahrzehnt. So waren im Jahr 2018 die Mütter von 48 Prozent der insgesamt 366.000 Erstgeborenen zwischen 30 und 39 Jahren alt.
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Ob oder ob nicht dabei medizinisch nachgeholfen wurde, ist beim Statistischen Bundesamt nicht nachzulesen. Fest steht aber: Mit dem gestiegenen Durchschnittsalter fürs Kinderkriegen boomt seit Jahren auch die Reproduktionsmedizin. Seit 2016 liegt die Zahl der Behandlungen in Deutschland laut dem Register für In-vitro-Fertilisation (IVF), in dem alle Daten der Reproduktionsmedizin in der Bundesrepublik zusammengeführt werden, jedes Jahr über 100.000 – 2018 waren es sogar 105.421. Dazu kommen weitere Behandlungen in privat geführten Reproduktionspraxen, die in der Statistik nicht einmal auftauchen.
Auch in Heidelberg gibt es eine Kinderwunschambulanz am Universitätsklinikum. Jährlich werden dort rund 23.000 Patientenbesuche registriert. Bei etwa 500 bis 600 werden letztlich tatsächlich künstliche Befruchtungen durchgeführt. Die meisten Frauen sind dabei zwischen 35 und 37 Jahre alt, berichtet Prof. Thomas Strowitzki, der Ärztliche Direktor für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen – und damit auch Direktor der Kinderwunschambulanz. Denn, auch das gehört zur Wahrheit: "Die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit hängt sehr vom Alter ab", sagt Strowitzki. Die Uhr tickt also. Und sie tickt schnell. "Bereits ab 30 Jahren nimmt die fruchtbare Phase merklich ab", weiß Strowitzki. Ab 35 noch mehr, ab 40 schließlich dramatisch. Mit einer sinkenden Schwangerschaftswahrscheinlichkeit steigt ab einem Alter von 35 Jahren zudem gleichzeitig noch die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt.
Überhaupt muss erst einmal die richtige Zeit kommen, ein Kind zu zeugen. Durchschnittlich dauere es laut Strowitzki fünf Monate vom ersten Kinderwunsch bis zur tatsächlichen Schwangerschaft. "Geht man von einer Dauer des Zyklus der Frau von vier Wochen aus, hat man also nur 13 Chancen im Jahr", so der Professor. Dienstreisen, Krankheiten, Arbeitsstress: All diese Faktoren reduzierten diese Zahl noch einmal deutlich. "Kaum haben Sie sich versehen, ist ein Jahr vorbei", sagt Strowitzki. Und die Uhr? Die tickt immer weiter.
Wie passt das alles also zu einer Generation von Frauen, die mit 30 oder Mitte 30 überhaupt noch keine Kinder kriegen möchte? Gar nicht, weiß auch die Soziologin Martina Yopo Díaz, aktuell Gastwissenschaftlerin am Max-Weber-Institut für Soziologie der Universität Heidelberg. Sie selbst ist 33 Jahre alt, promovierte an der University of Cambridge in England, forscht zu Gender-Fragen, zum Muttersein und überhaupt zur Rolle der Frau in der Gesellschaft. Und sie ist kinderlos.
"Die Spannung zwischen biologischer und sozialer Fruchtbarkeit ist eine schwere Belastung für Frauen ab einem gewissen Alter", erklärt Yopo Díaz. Sie weiß: "Wir fühlen uns unter Druck gesetzt, weil es so viele Dinge gibt, die wir vor dem Muttersein noch erreichen wollen, die auch teilweise von uns erwartet werden." Sich selbst verwirklichen, eine stabile, glückliche Partnerschaft, einen erfolgreichen Job, materielle Sicherheit, viel gereist zu sein, Dinge erlebt zu haben: All das beanspruche viel Zeit. Und das ist es, was man als Frau in Bezug aufs Kinderkriegen wenigstens ab Mitte 30 nicht mehr hat: Zeit. Viele Rollen unter einen Hut zu bringen – das ist eine der neuen Herausforderungen, mit denen sich Frauen konfrontiert sehen.
Doch das ist längst nicht alles. Denn zur individuellen Entscheidung einer jeden Frau, den Kinderwunsch aufgrund persönlicher Bedürfnisse noch aufzuschieben, kommen weitere hinzu. "Strukturelle Unfruchtbarkeit" heißt das in der Soziologie. Gemeint sind Einflüsse von außen, soziale Faktoren, die Frauen beeinflussen, gegebenenfalls später – oder auch gar keine Kinder zu bekommen. Da wäre zum einen der Arbeitsmarkt. "Frauen, die Kinder bekommen und für einige Monate oder Jahre aus dem Job heraus sind, sind weniger wettbewerbsfähig im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen." Und es sei eben immer noch Realität, dass es die Frauen sind, die ihre Berufe aufgeben, ihre Arbeitszeit beschränken oder auf flexiblere Jobs umschulen, nachdem sie Kinder bekommen haben.
"In den Befragungen zu meinen Studien zeigte sich, dass alle Frauen nach der Geburt Veränderungen in ihrem Beruf vornahmen, um sich um das Kind zu kümmern", berichtet Yopo Díaz. So blieben die Frauen nach wie vor zuhause bei den Kindern, kümmern sich um den Haushalt, stecken zurück. In vielen Berufen bedeute das dann auch: das Ende der Karriere. Genau das ginge wiederum Hand in Hand mit negativen Effekten auf die ökonomische Autonomie der Frau sowie auf die finanzielle Sicherheit.
Dazu käme, dass das Muttersein in den letzten Jahrzehnten immer anspruchsvoller wurde. "Es geht nicht mehr nur darum, die Grundbedürfnisse des Kindes zu befriedigen, es zu pflegen, zu füttern, ihm Liebe zu geben", sagt Yopo Díaz. Vielmehr hätten sich die Standards erhöht. Eine Entwicklung, die in der Soziologie als "intensive Mutterschaft" bezeichnet wird und insbesondere in neoliberalen Gesellschaften wie den USA und zunehmend auch in vielen europäischen Gesellschaften vorkommt. Um mitzuhalten, müsste man seine Kinder mit einer speziellen Art von Essen, Spielzeug und Kleidung versorgen, sie in die besten Kindertagesstätten, Kindergärten und später Schulen schicken. Geld spiele dabei stets eine große Rolle, weiß Yopo Díaz. Aber auch Anspruchshaltungen. Irgendwie wolle doch jede die beste aller Mütter sein.
Laut der Soziologin verstärke auch das die Entscheidung vieler Frauen in ihren Dreißigern, das Thema Kinderkriegen noch so weit wie es eben geht von sich wegzuschieben. Und laut Yopo Díaz deuten aktuell alle Anzeichen darauf hin, dass dieser Trend auch in Zukunft anhalten wird. "Wir haben in der Gesellschaft aktuell keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Gründe, weshalb Frauen immer später Kinder bekommen, radikal verändern werden."
Die Lösung? "Keine Panik bekommen", sagt Prof. Strowitzki. Denn trotz allem findet er: "Es ist Optimismus angesagt." Gerade mit Anfang 30. "Da ist noch alles normal", so der Professor. Und auch in Sachen künstlicher Befruchtung mache die Wissenschaft immer weiter Fortschritte.
Die Vier beim "Mädelsabend" können und sollten also auch weiterhin beruhigt kinderlos Wein trinken – jedenfalls so lange, wie sie das wollen. Ohne den Druck einer Gesellschaft. Einfach frei.