Tiere haben sich verändert

Wie Naturfilmer die Welt sehen

Deutschlands älteste Naturfilmreihe "Expeditionen ins Tierreich" hat runden Geburtstag. Ein guter Anlass, eine Branche zu erkunden, über die wir wenig wissen und die sich in 60 Jahren sehr veränderte.

30.04.2025 UPDATE: 30.04.2025 10:00 Uhr 3 Minuten, 2 Sekunden
Eine Schwebfliege sitzt auf der Blüte einer Minitagetes. Deutschlands älteste Naturfilmreihe «Expeditionen ins Tierreich» wird 60 Jahre alt. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa​

Von Jennifer Brückner

Ganz eng folgt die Kamera einer summenden Schwebfliege durch einen Blumendschungel. Das Mikro fängt Laute ein, die wie eine Mischung aus gemurmelten Gebeten, Katzenschnurren und einem Hubschraubergeräusch klingen. Es sind Rufe von Wanzen, vielfach verstärkt, die in Jan Hafts Tierfilm "Die Wiese – Ein Paradies nebenan" zu hören sind. Die Doku lief sogar im Kino.

Zur Zeit der ersten Filme waren Uhus fast ausgerottet

Moderne Naturfilme wie dieser erinnern in ihrer überwältigenden Schönheit und ihrer technischen Perfektion zuweilen eher an Werbespots als an die klassischen Naturreportagen von ganz früher, zu deren Anfängen Heinz Sielmann Walrösser und Gorillas in die deutschen Wohnzimmer brachte. Viel hat sich verändert, seit die vom Norddeutschen Rundfunk produzierte ARD-Reihe "Expeditionen ins Tierreich" an den Start ging. Das ist genau 60 Jahre her.

Die Jubiläumsfolge ist jetzt in der ARD-Mediathek verfügbar. Am Mittwoch (30. April um 20.15 Uhr) steht sie beim NDR-Fernsehen im Programm. Es ist Deutschlands ältestes bestehendes Tierfilm-Format, eng verbunden mit dem Gesicht des bekannten Naturfilmers Sielmann, der in den Filmen oft als sanfter Abenteurer auf der Suche nach seltenen Wildtieren zu sehen war.

"Als Heinz Sielmann anfing, lag vieles im Argen, obwohl es der Natur in der Summe damals oder in manchen Bereichen auch besser ging als heute", sagt Jan Haft, der mit Filmen wie "Die Wiese – Ein Paradies nebenan" und "Biene Majas wilde Schwestern" immer wieder ein großes Publikum erreicht und vielfach ausgezeichnet wurde. Sielmann sei sein großes Vorbild gewesen.

Jubiläumsfolge jetzt in der Mediathek 

Experte Haft über die 60er Jahre: "Die Greifvögel wurden beschossen. Es gab kaum mehr Uhus, kaum mehr Seeadler und so weiter." Sielmann habe damals zwar auch die Schönheit gezeigt, "er hat aber auch immer darauf hingewiesen, was wir nicht machen dürfen und was wir machen müssten im Naturschutz". Wegen dieses erhobenen Zeigefingers sei Sielmann oft in die Kritik geraten, sagt Haft. Es sei für Naturfilmer heute noch wichtig, da die Balance zu halten.

Christina Karliczek Skoglund ("Haie Eiskalt, Unter Orcas") kennt dieses Problem. Sie ist eine der wenigen Kamerafrauen in der Tierfilmbranche und wurde mehrfach für ihre Unterwasserfilme international ausgezeichnet. "Wenn wir als Tierfilmer nur noch über die Bedrohung sprechen würden, was wir sehr leicht könnten: Ich glaube, dann würden wir auch nicht über diese faszinierenden Teile der Natur sprechen können. Und diese Nachrichten sind genauso wichtig zu erzählen."

"Veränderungen ziehen sich durch Nahrungskette"

Doch der eigentliche Star des Genres, die Natur, ist durch den Klimawandel immer mehr in Gefahr. "Die Veränderungen ziehen sich durch die gesamte Nahrungskette", berichtet Karliczek. "Ich sehe ganz klar, wie stark wir diese Welt zerstören. Und das sehe ich sowohl im Tierverhalten, als auch in den Veränderungen unserer Umwelt und der Ökosysteme, die ich eigentlich bei jedem Drehprojekt erlebe." Kleinste Änderungen im Verhalten des Planktons können Einfluss auf große Tiere wie Haie haben. 

Ein Naturfilm kann ein langjähriges Projekt sein, erläutert Karliczek. Verändert sich das Verhalten der Tiere, und wird das Wetter immer extremer, wird der Aufwand immer schwieriger, die gewünschten Bilder zu bekommen. Wenn dann noch Budgets gekürzt würden, werde es kritisch. 

Das klassische TV bleibt bis heute der bedeutendste Geldgeber. "Es gibt noch nicht so viele Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb des linearen Fernsehens", berichtet Haft. Doch die Sender stehen zusehends unter Kostendruck.

Weibliche Perspektive im Tierfilm ist die Ausnahme 

Was sich mit den Jahren allerdings kaum verändert hat: Frauen sind im Tierfilm immer noch selten hinter der Kamera, auch international. Eine Studie hat internationale Naturproduktionen von der BBC, von National Geographic oder Disney untersucht. Global ist der Anteil an Frauen sehr gering. 

Wie eine Analyse durch den Verbund Wildlife Camerawomen Community, ein selbstorganisiertes Netzwerk von Kamerafrauen, zeigt, sind nur gut sechs Prozent (exakt sind es 6,3 Prozent) der im Abspann genannten Kamerateams weiblich. "Es sind nur 22 individuelle Kamerafrauen, obwohl es sicher über 120 qualifizierte Kandidatinnen gäbe", berichtet Karliczek. Hingegen seien zugleich in den Abspännen die Namen von 330 Kameramännern zu lesen gewesen.

"Die Musik des Lebens verstehen"

Es gibt immerhin positive Tendenzen. "Traditionell war der Naturfilm lange eine Männerdomäne. Das hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt", schreibt der NDR auf Anfrage. "Ja", sagt Karliczek und lacht. "Als ich für "Expeditionen ins Tierreich" begann, waren es null." Aber: "Wir sehen auch, dass dann vielleicht mehr Frauen in Einstiegspositionen gefördert werden, jedoch nichts unternommen wird, diese Frauen dann auch längerfristig zu engagieren." 

Sie persönlich, so erzählt die Tierfilmerin, habe das Glück gehabt, über einen längeren Zeitraum Unterstützung zu finden. Sie findet: "Ich denke schon, dass Frauen in manchen Dingen eine andere Sichtweise haben, wenn sie filmen."

Eines ist aber wohl allen Naturfilm-Schaffenden gemeinsam: "Dieses Ticken, diese Musik des Lebens, diese Architektur der Natur zu verstehen, zu sehen, zu dokumentieren und andere dafür zu begeistern", wie Jan Haft es beschreibt.