In Pleutersbach schlägt das Herz der deutschen Cigarbox-Guitar-Szene
Ein Besuch lässt verstehen, wie die exotische Leidenschaft für selbstgefertigte Gitarren begonnen hat.

Von Daniel Schottmüller
Pleutersbach. Zugegeben, Pleutersbach liegt etwas ab vom Schuss. Für die 35 Kilometer, die das 600-Einwohnerörtchen von Heidelberg trennen, braucht man knappe 50 Minuten. Erst geht’s den Neckar aufwärts in den Odenwald hinein. Dann muss man sein Fahrzeug in Eberbach in einer Art Schneckennudel zurück über den Fluss steuern, noch mal abbiegen und zum Schluss drei Kilometer der Straße folgen. Außer das Ziel heißt Captn Catfish Guitars: Dann gilt es in Pleutersbach noch die steile Mühlgasse runterzukurven und sich schräg rechts zu halten. Es lohnt sich.
An diesem Abend weht dem Besucher ein Mix aus frischer Odenwald-Luft, Holz- und Grillfleisch-Duft entgegen. "Willkommen", sagt Fabian Fahr und bietet direkt ein Begrüßungsbier an – auf Wunsch natürlich auch alkoholfrei. Seinen Künstlernamen "Captn Catfish" mag er sich vom Wels des US-amerikanischen Südens geborgt haben, auf den ersten Blick erinnert der kräftige Mann mit dem Vollbart aber eher an einen Bären. Und passenderweise hat sich der Schreiner hier, auf dem Hof in der Ersheimer Straße, eine aus mehreren Räumen bestehende "Mancave" eingerichtet.

Band- und Festivalposter hängen an den Wänden. Auf den Regalen türmen sich Werkzeuge, Klebstofftuben und Farbdosen. Bis auf die Schallplattenkisten und die Ecke mit den Angelruten und Keschern ist "Captn Catfish’s Cabin" ansonsten aber von Gitarren besetzt. Und was für welche!
"Alle selbstgebaut", sagt Fabian Fahr und deutet lächelnd auf den Holzrahmen hinter sich. Zehn Ukulele-große Instrumente sind hier in zwei Fünferreihen angeordnet. Einen klassischen Resonanzkörper sucht man bei diesen Mini-Gitarren vergebens.
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Stattdessen hat Fahr die Saiten über die farbenfrohen Nummernschilder der unterschiedlichsten US-Bundesstaaten gespannt: Alabama, Montana, Tennessee – sogar die Eisbär-Plakette der nordwestlichen Territorien Kanadas ist Teil der Sammlung.
Die "License Plate Guitars" sind längst nicht der kurioseste Anblick in der urigen Werkstatt. In einem Ständer auf dem Boden blitzt eine zu einem banjoartigen Klangkörper umfunktionierte Radkappe mit ikonischem Mercedes-Stern ihrem Betrachter entgegen.
Das Paulaner-Bierfässchen und der große schwarze Briefkasten daneben sind beides nur getarnte Verstärker, mit denen man Instrumenten wie diesem ordentlich Schub verleihen kann.
Um zu verstehen, wie die exotische Leidenschaft für selbstgefertigte Gitarren aller Formen und Größen begonnen hat, sollte man aber eher das unscheinbare Instrument auf dem Tisch dahinter in den Blick nehmen: Der rechteckige Korpus besteht aus einer Zigarrenkiste, die in Santo Domingo (Dominikanische Republik) gefertigt wurde. "Ja, mit Zigarrenkisten hat alles angefangen", erzählt der 49-Jährige.
Während der "Great Depression", dem Finanzcrash der 1930er-Jahre, verloren viele schwarze Landarbeiter im Süden Amerikas ihre Arbeit. Geld für echte Instrumente war keines mehr da. Also begann man sich eigene Gitarren zu bauen – zunächst aus Zigarrenkisten, dann aus allen möglichen Materialien, die noch zu haben waren. "Zur Not wurde auch ein Besenstil oder eine Bettpfanne mit Saiten bespannt."
Als hätte er auf sein Stichwort gewartet, betritt ein schwergewichtiger Mann mit rotbraunen Locken den Raum: Steve Arvey kennt sich aus mit der Musik jener frühen Cigarbox-Guitareros, er ist Bluesgitarrist. "I love this thing!", trompetet der Mann, der aussieht, als wäre er der große Bruder von US-Schauspieler Jack Black: Er hat ein Instrument entdeckt, das aus einer Werkzeugkiste geformt wurde.
Aber was verschlägt einen Profi-Musiker, der sich in seiner Wahlheimat Florida die Sonne auf den Bauch scheinen lassen könnte, in den Kleinen Odenwald? Das erzählt man am besten beim Essen.

Im Hof hat Sabine Fahr den Tisch gedeckt, um den sich bereits ein buntes Grüppchen versammelt hat. Bei scharfen Grillwürstchen, Salat und Bier wird gefachsimpelt – auf Kurpfälzisch und Englisch, ab und an fallen sogar ein paar Brocken Spanisch.
Wie sich herausstellt, zeichnen sich Wolfgang Reibl und Boris Mattler für einige der dreisaitigen Instrumente in der Werkstatt verantwortlich – unter anderem die "Toolbox Guitar", in die sich Steve Arvey frisch verliebt hat.
Ja, die technikbegeisterten Rheinland-Pfälzer haben sogar schon aus dem Motorradkettensatz einer Yamaha 500 SR ein filigranes, an eine Fender-Gitarre erinnerndes Instrument gebaut. Fabian Fahr zeigt den beiden gerade das Foto eines Saiteninstruments, das ein Tüftler dem "Star Wars"-Todesstern nachempfunden hat. "Heute ist Cigarbox Guitar nur noch ein Überbegriff", erklärt der Pleutersbacher. "Letztlich sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt."
Willy Burgos setzt trotzdem am liebsten auf Naturmaterialien. Der Argentinier ist der einzige hauptberufliche Instrumentenbauer am Tisch und hat bereits Gitarren gebaut, auf denen sich Rocklegenden wie Slash und Dave Mustaine ausgetobt haben. Heute wohnt Burgos in Eberbach. "Einige der Hölzer, die ich hier auf Spaziergängen im Wald finde, habe ich schon für meine Instrumente verwendet", verrät er.
Rebecca Bird, Sängerin und Freundin von Steve Arvey, hat zwar nicht alles verstanden, lächelt aber trotzdem: "Musik bringt die Menschen zusammen – sogar über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg. Isn’t it amazing?" Es stimmt. Einige in der Runde spielen am liebsten auf den exotischen Unikaten, von denen jedes einen ganz eigenen Sound entwickelt. Andere reizt die handwerkliche Herausforderung, Abfallprodukte in klingende Kunstwerke zu verwandeln. Die gegenseitige Zuneigung aber ist unübersehbar.
Hintergrund
Hintergrund
Die Cigarbox Guitar (kurz CBG) ist ein primitives, oft in Eigenbau hergestelltes Saiteninstrument, das eine kleine leere Holzkiste, traditionell eine Zigarrenschachtel, als Resonanzkörper nutzt. Heute wird CBG als Sammelbegriff verwendet,
Hintergrund
Die Cigarbox Guitar (kurz CBG) ist ein primitives, oft in Eigenbau hergestelltes Saiteninstrument, das eine kleine leere Holzkiste, traditionell eine Zigarrenschachtel, als Resonanzkörper nutzt. Heute wird CBG als Sammelbegriff verwendet, mit dem auch aus anderen Gegenständen in Eigenbau gefertigte Instrumente bezeichnet werden. Die frühesten Modelle waren oft nur mit einer oder zwei Saiten bespannt, die modernen hingegen typischerweise mit drei oder mehr. Das CBG ist eng mit dem Blues und dem Spiel mit dem Bottleneck verbunden. In Deutschland fördert der im Eberbacher Ortsteil Pleutersbach gegründete Verein CBG Friends Germany das exotische Instrument.
"Smokin’ Guitars": Seit 2016 bildet die Straßenkerwe in Pleutersbach den Rahmen für das CBG-Festival "Smokin’ Guitars". Bei der fünften Ausgabe treten am Samstag und Sonntag, 17. und 18. September, Künstler aus dem In- und Ausland auf der neu gestalteten Festivalbühne auf. Am Samstag: Captn Catfish (15.30-16.30 Uhr), Andi Saitenhieb und seine elektrisierende Blues Band (16.45-17.45 Uhr), Feinripp (18-19.15 Uhr), Sergi Estella (19.30-21 Uhr), 3to1 Cigarboxblues (21.15-22.30 Uhr) und Cover with the Moon (22.45-0.30 Uhr). Auch am Sonntag gibt es im Anschluss an den Kerwegottesdienst bis in den Nachmittag hinein Programm: Frühstücksjam Open Stage (11-12 Uhr), Cigarbox Schulzi (12-12.45 Uhr), Preisverleihung der Tombola (13-13.45 Uhr), Willy Burgos (13.45-14.30 Uhr) und Tobias Langguth & the Tea Time Triplets (ab 14.45 Uhr). (dasch)
Auf diesem Grundstück haben sie die CBG Friends Germany gegründet, den ersten und einzigen Verein für Cigarbox Guitars in Deutschland. Und seit 2016 plant man hier auch "Smokin‘ Guitars" ein Festival, das die Großen der Szene in die Region lockt: Musiker, die ihren Cigarbox Guitars alles von Rock über Blues bis hin zu Bluegrass und Klassik entlocken.
Zum Teil kommen sie von weit her. In diesem Jahr wird der spanische Ausnahmegitarrist Sergi Estella seine spektakulären Bluesgitarren und Licks nach Pleutersbach bringen. "Die Szene ist klein, aber sehr gut vernetzt", bestätigt Fabian Fahr, der an diesem Abend immer wieder Facebook checkt – als Zweiter Vorsitzender der CBG Friends Germany hat man seine Verpflichtungen …
Er habe den "Captn" über den befreundeten Instrumentenbauer Rusty Taylor aus Georgia kennengelernt, klinkt sich Steve Arvey ins Gespräch ein. Der prominente Gast von der anderen Seite des Atlantiks hat zwar eben noch vom satten Odenwald-Grün geschwärmt, aber eigentlich ist er nicht gekommen, um Urlaub zu machen.
Steve Arvey ist ein Youtube-Star. Mit seinen 12.000 Abonnenten teilt er Videos, die sich rund um das Thema Cigarbox Guitars drehen. "Ich besuche Builder wie Captn Catfish, lasse mir ihre Instrumente zeigen und jamme dann auf ihren Gitarren", erklärt Arvey die Idee, die auch an diesem Abend wieder in die Tat umgesetzt werden soll.
Also zurück in die Werkstatt, wo der Amerikaner einen Scheinwerfer und zwei Videokameras aufgebaut hat. Willy Burgos nimmt als erster auf dem Hocker neben dem Bluesgitarristen Platz. Im Gespräch ist Arveys Respekt spürbar.
Der Grund dafür hat drei Hälse und steht die nächsten Minuten im Zentrum der Unterhaltung: eine von Burgos konzipierte Gitarre, an der er eineinhalb Jahre gearbeitet hat. Der sympathische Argentinier rutscht zwar immer mal wieder ins Deutsche.
Den Witz, dass es ihm mit diesem Instrument aus drei Zigarrenboxen erstmals gelungen sei, Bismarck, Churchill und Kuba zu vereinen, versteht Steve Arvey trotzdem. Und überhaupt: Die Musik spricht für sich.

Burgos schlägt einen Baion an – einen langsamen, aber leidenschaftlichen brasilianischen Rhythmus. "Jetzt hast du mir richtig Lust gemacht", meint Arvey und schnappt sich das Instrument. Das ist gar nicht so einfach zu spielen – jedes der drei Einzelelemente hat eine andere Saitenzahl und Stimmung.
Aber der Amerikaner hat schnell den Bogen raus: In seinen stampfenden Bluessong, den er mit rauer Stimme singt, improvisiert er sogar ein paar Zeilen über den "Jam in Germany".
Fabian Fahr freut sich, wie wohl sich seine Gäste fühlen. Es war ein weiter Weg: Als junger Handwerker und glühender Southern-Rock-Fan reiste er 1995 noch alleine auf den Spuren von Bands wie den Allman Brothers oder Lynyrd Skynyrd durch die USA. Damals, auf der Walz, kam er in Kontakt mit Cigarbox Guitars.
Heute ist der Familienvater über das Internet Teil einer wachsenden Community, die sich gegenseitig inspiriert. Und bald wird diese Gemeinschaft ganz real Gestalt annehmen: Kommendes Wochenende findet die fünfte Ausgabe des "Smokin‘ Guitars"-Festivals statt. Die Bühne, diesmal einem Mississippi-Raddampfer nachempfunden, steht schon.
"Wir erwarten Gäste aus ganz Deutschland und dem Ausland", freut sich Fabian Fahr. Für zwei Tage wird sein Wohnort dann wieder zum Zentrum der weltumspannenden Szene. Friedel Geratsch, Frontmann der Kultband Geier Sturzflug und bekennender CBG-Fan, hat es in einer eigens für "Smokin’ Guitars" geschriebenen Hymne so zusammengefasst: "Captn Catfish hat die Kiste gerade erst ins Rollen gebracht: Woodstock, Wacken, Pleutersbach!"
Das bei Captn Catfish Guitars entstandene Video des US-Gitarristen Steve Arvey ist hier zu sehen: