Lampenfieber: Die Angst vor der Bühne
Barbara Streisand, Hugh Grant und Julia Roberts. Sie alle leiden unter der gleichen Krankheit, die immer dann ausbricht, wenn der Moment kurz bevorsteht, von dem alles abhängt.

Die Symptome können heftig und äußerst unangenehm sein: beschleunigter Herzschlag und schnelle Atmung, kalte und schweißige Hände, Zittern an Armen und Beinen, trockener Mund, Übelkeit, Harndrang oder Durchfall. Angst und Panik können sich breitmachen, wenn es für den Schauspieler oder Sänger, Instrumentalisten oder Dirigenten heißt: Raus auf die Bühne, rein ins Rampenlicht.
In der typischen Bewerbungssituation für die Ausbildung in einem Theaterberuf machen viele bereits Bekanntschaft mit dem Übel. "Ich war wahnsinnig aufgeregt", erinnert sich Florian Kaiser noch gut an sein Vorsprechen vor knapp 20 Jahren an der Schauspielschule im französischen Besançon. Der in Heidelberg lebende Schauspieler, zurzeit in dem Stück "Ziemlich beste Freunde" - der Bühnenfassung des großen Filmerfolgs - beim Theater "Boulevard Münster" auf der Bühne stehend, hatte sich mit Rollen aus Sartres "Geschlossene Gesellschaft" und Molières "Amphitryon" auf den Bewerbungstermin vorbereitet. Seine große Nervosität brachte ihn auf eine kuriose Idee, die sich im Nachhinein auszahlen sollte: Auf dem Weg zur Schauspielschule, kurz vor dem Vorsprechen, fragte er im Park der ostfranzösischen Stadt spontan einige Obdachlose, ob er ihnen etwas vorspielen könne. Sie hatten nichts dagegen einzuwenden, und so konnte sich Kaiser schon mal "aufwärmen" für das eigentliche Date, das für ihn gut ausging - er war "drin" in seinen Rollen.
Beim Vorsprechen hat das Lampenfieber des Schauspielers noch einmal eine ganz besondere Qualität, die auch etwas mit Prüfungsangst zu tun hat. Da steht man nun mutterseelenallein auf den Brettern, die nach Schiller die Welt bedeuten, um dem im Parkett sitzenden Intendanten und seiner Entourage zu zeigen, was man "drauf" hat - mit dem brennenden Wunsch im Hinterkopf, einen Ausbildungsplatz, eine bestimmte Rolle oder gar ein Engagement für eine Spielzeit zu bekommen. "Beim Vorsprechen ist das Publikum sehr schwer verführbar", sagt Kaiser über die Prüfungssituation, in der der angehende oder schon berufstätige Schauspieler auf erfahrene Theaterfüchse trifft, deren kritischen Augen und Ohren nichts entgeht. Die Voraussetzungen sind hier wieder andere als in einer "normalen" Theatervorstellung.
Ein Phänomen der Moderne ist das Lampenfieber als menschliche Erfahrung ebenso wenig wie es sich auf die klassische Bühnensituation beschränkt. Bei Cicero, dem römischen Schriftsteller, Philosophen und Politiker, findet sich in einer Schrift aus dem Jahr 55 v.Chr. die anschauliche Beschreibung der Angst und Nervosität eines Redners, die ihn zu Beginn seiner Rede überfallen.
Wer kennt das nicht? Der Schüler, der vor der Klasse ein Referat halten muss, erlebt das ebenso wie der Brautvater, der vor versammelter Hochzeitsgesellschaft zur Brautrede anhebt. Und wer im Unternehmen vor allen Mitarbeitern und dem Chef eine Präsentation macht, ist normalerweise auch nicht gerade ein Ausbund an Ruhe und Gelassenheit. In manchen "kommunikativen" Berufen, in denen eine Tätigkeit vor einer Gruppe von Menschen ausgeübt wird, kann Lampenfieber in mehr oder weniger stark ausgeprägter Form ein ständiger Begleiter sein.
Wir brauchen die Angst
Dass wir in einer Situation, in der wir uns vor Menschen exponieren, dermaßen in Aufregung, Nervosität und Angst geraten, geht, wie die Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin und Musikermedizinerin Claudia Spahn in ihrem Buch "Lampenfieber" schreibt, auf ein uraltes evolutionsbiologisches Programm zurück: Für den Homo sapiens war die Fähigkeit, Gefahrensituationen zu erkennen und diese erfolgreich zu meistern, eine Überlebensversicherung. Angst als zentrales Gefühl lieferte das entscheidende Signal dafür, dass im Körper optimale Bedingungen für Kampf oder Flucht hergestellt wurden - höchste Konzentration und Muskelkraft. Nur so konnte man in der frühen Menschheitsgeschichte gegenüber lebensbedrohlichen wilden Tieren bestehen.
Mit der Gefahr frei herumlaufender wilder Tiere haben wir heutzutage - zumindest in unseren Breiten - nichts mehr zu tun, Nur imaginär lauert sozusagen der mächtige Tiger auf der Bühne eines Theaters oder dem Podium eines Redners, gefährlich nicht durch seine körperlichen, sondern eher seine psychosozialen Eigenschaften. "Die Gefahr beim Auftritt wird vom Künstler oder Redner eher in Form der sozialen Bedrohung und in der subjektiv empfundenen Furcht vor Ansehensverlust, der Furcht vor dem Zutagetreten beschämender Seiten der eigenen Person u.a. erlebt", stellt Claudia Spahn fest. Im Prinzip, so ihre Erkenntnis, ist Lampenfieber etwas Sinnvolles - es kommt aber darauf an, es differenziert an die jeweils besonderen Bedingungen des Bühnen- oder Podiumauftritts anzupassen und das richtige Maß zu finden.
Lampenfieber hat also eine Funktion: Es führt uns zur richtigen Spannung und Konzentration. Richtig dosiert, wirkt es wie Hirndoping. Würde es nicht auftreten, wäre vielleicht mancher Schauspieler - immerhin gibt es auch solche, denen Lampenfieber gänzlich fremd ist - gar nicht in der Lage, seinen Part zu meistern und all sein Können "abzurufen". Noch heute, sagt Florian Kaiser, habe er zwar vor Premieren Lampenfieber, und das Vorsprechen findet er immer noch "schwierig". Aber er hat in den betreffenden Momenten auch eine andere Erfahrung gemacht: "Eigentlich bin ich ganz froh, dass es jetzt losgeht. Wenn ich kein Lampenfieber hätte, wäre ich wahrscheinlich besorgt". So gesehen, ist das Lampenfieber für ihn ein normaler Begleiter: "Es ist eher ein guter Freund als dass es mich belasten würde".
Um das Lampenfieber in einem vernünftigen Maß zu halten, hat jeder seine persönlichen Rezepte. Florian Kaiser läuft am Tag der Premierenvorstellung gern lange Strecken in flottem Tempo, eine Stunde oder länger. Er spürt dabei, dass sein Körper vor allem im Nacken- und Brustbereich lockerer wird. Und wie man weiß, werden beim intensiven Laufen auch Glückshormone freigesetzt. Manchmal sagt der Heidelberger Schauspieler dabei auch Teile seiner Rolle auf, das kommt von ganz alleine.
Nur nicht Danke sagen
Noch immer gepflegt werden die altbekannten Rituale kurz vor Premierenbeginn: Man spuckt sich gegenseitig dreimal über die linke Schulter und wünscht sich "Toi, Toi, Toi". Darauf mit "Danke" zu antworten ist tabu. Bühnenleute haben es ziemlich mit dem Aberglauben. Es gibt Sänger, die während des Auftritts eine Hasenpfote in der Tasche tragen, andere pflegen bestimmte Essens- oder Trinkrituale oder glauben daran, dass das Tragen eines bestimmten Kleidungsstücks Glück bringt. Claudia Spahn, die selbst ausgebildete Musikerin ist, spricht hier von einer "Verschiebung": Die Angst vor dem Auftritt werde in den immer gleich ablaufenden Handlungen gebannt, durch die Wiederholung entstehe ein Gefühl der Sicherheit, das dem Auftretenden Halt gebe.
Ein Halt - das kann für den Bühnenauftritt auch die erste, erkennbar positive Reaktion des Publikums sein. "Wenn bei einer Komödie gleich am Anfang ein paar Lacher kommen, ist das gut, es trägt einen und ist eine Art Gemeinsamkeit mit dem Publikum", sagt Florian Kaiser. Ein gutes Gefühl hat er auch, wenn er nicht zum ersten Mal mit dem Regisseur zusammenarbeitet. Wobei auch ein Regisseur - auf etwas andere Weise - mit Lampenfieber zu tun haben kann, wie Hubert Habig aus eigener Erfahrung weiß: Der freie Regisseur, Theaterdozent und langjährige Leiter des Heidelberger Kinder- und Jugendtheaters im Zwinger kennt aus der Zeitspanne vor der Premiere ein Gefühl der "absoluten Hilflosigkeit", denn nach der Generalprobe hat er die Inszenierung seinen Schauspielern gewissermaßen in die Hand gegeben. Ab jetzt kann er selbst nichts mehr tun - und dieser innere Spannungszustand ist sein Lampenfieber. "Ich kenne Kollegen, die halten das nicht mehr aus", erzählt Habig. Dem Schauspieler rät er, das Lampenfieber zuzulassen und zu versuchen, es für seine Rolle zu nutzen: "Als Schauspieler will ich ja nichts von mir überdecken, sondern im Gegenteil alle inneren Vorgänge von mir zeigen".
Hubert Habig arbeitet auch mit einer anderen Berufsgruppe, der Lampenfieber oder ähnliche Formen davon nicht unbekannt sind. Als Dozent an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg bietet er angehenden Lehrerinnen und Lehrern Seminare an, in denen es um Themen wie "Rhetorik und Körpersprache im Unterricht" oder "Darstellung und Präsentation" geht. Die Situation eines Lehrers, der vor der Klasse steht, hat ja auch etwas mit Auftritt zu tun, stellt Habig fest. Das werde seiner Meinung nach in der Pädagogik viel zu wenig gesehen - "jede Unterrichtsstunde ist, ob der Lehrer das will oder nicht, letztlich eine Art Performance, im klassischen Sinn".
Zurück zur Bühne: Wer glaubt, dass Alter und Erfahrung vor Lampenfieber schützen, muss mit Gegenbeispielen rechnen. Die schon erwähnte Hilde Knef geriet auch in reiferen Lebensjahren vor jedem Auftritt in Panik, und der heute 72-jährige Liedermacher Hannes Wader bekennt, bei Konzerten immer noch Angst zu haben, sich zu verheddern. Was Florian Kaiser aber von einem Schauspielkollegen erzählt, ist vielleicht die ungewöhnlichste Form von Lampenfieber: Der Mann wird immer müde, wenn er aufgeregt ist, und schläft sogar ein.