Erinnerungen an den Mannheimer Blumepeter: "Kaaf ma ebbes ab"

Vor 75 Jahren starb Peter Schäfer, der wohl berühmteste Patient des Wieslocher PZN - Sein Tod gibt bis heute Rätsel auf

12.06.2015 UPDATE: 13.06.2015 06:00 Uhr 4 Minuten, 36 Sekunden

Von Eberhard Reuß

Kleiner Witz gefällig? Der Blumepeter wird dabei erwischt, wie er unerlaubt im Neckar auf Fischfang geht. Als der Polizist ihn aufschreiben will, ruft Peter ganz empört: "Isch duu jo gar nedd ongle, isch will bloß moin Worm baade!" Ganz im Ernst, die in die Hunderte gehenden Witze stammen nicht vom Blumepeter, sondern sind ihm von anderen zugeschrieben worden. Das reale Vorbild für den "Blumepeter", der körperlich und geistig behinderte Peter Schäfer, war wohl weder wirklich witzig noch schlagfertig. Er ist vor 75 Jahren am 15. Juni 1940 als Patient in der Wieslocher Psychiatrie zu Tode gekommen und auf dem Anstaltsfriedhof beigesetzt worden..

Rolf-Dieter Splitthoff war bis vor zwei Jahren ärztlicher Direktor am Psychiatrischen Landeszentrum Nordbaden in Wiesloch. Auch er kennt die Krankenakte des wohl bekanntesten Wieslocher Patienten: "Nach unseren heutigen Erkenntnissen müssen wir davon ausgehen, dass Peter Schäfer unter dem sogenannten Kretinismus also einer Unterfunktion der Schilddrüse gelitten hat. Die Konsequenz aus der unbehandelten Erkrankung ist dann Minderwuchs, natürlich auch die Intelligenzminderung und auch Knochenveränderungen."

Peter ist am 5. April 1875 in Plankstadt zur Welt gekommen, als unehelicher Sohn der Tagelöhnerin Barbara Berlinghof. Und wird erst Jahre später als Sohn des Maurers Joseph Schäfer legitimiert. Mit Eltern und weiteren Geschwistern zieht Peter 1891 nach Mannheim. Um etwas zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen, schicken sie den drolligen kleinen Kerl in Gaststätten und lassen ihn Blumensträuße verkaufen. Mit nasaler Fistelstimme bettelt er die Leute an: "Kaaf mer ebbes ab!" Der Peter fällt auf, noch vor der Jahrhundertwende taucht er auf Ansichtskarten auf. Als kleiner, netter Kerl mit Blumensträußchen in der Hand. So wird aus Peter Schäfer der "Blumepeter". Witze hat er nicht erzählt, eher sind mit ihm und über ihn Witze gemacht worden. Mannheimer Karnevalisten halten ihn als eine Art Maskottchen, stecken ihn in Kostüme, lassen den kleinen behinderten Mann als Ringer und Gewichtheber posieren und fotografieren, verkaufen Ansichtskarten von ihm.

Peter Schäfer wird oft zur Zielscheibe für Gespött und Streiche der Straßenbuben, die ihn ärgern und nachäffen. Der "Blumepeter" kann dann grob, ausfallend und aggressiv werden. Die Akten sprechen davon, dass er nackt sein Geschlechtsteil zeigt. Die Eltern sind nicht mehr am Leben, seine Geschwister kümmern sich um den behinderten Bruder. Doch Peter Schäfers Zustand muss für seine Umwelt derart unerträglich geworden sein, dass er 1919 mit 44 Jahren nach Weinheim in die Nervenklinik eingewiesen wird. Von dort büchst der "Blumepeter" mehrfach nach Mannheim aus.

Das Pflegepersonal scheint mit dem kleinen unflätigen Mann überfordert zu sein.1929 wird Peter Schäfer in die geschlossene Abteilung der "Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch" eingewiesen. 54 Jahre alt ist er jetzt und die Krankenakten schildern seinen Zustand anfangs als: "bald kindlich zutraulich, bald stürmisches Losbrüllen, Heulszenen, dabei ängstlich, beschuldigt andere Patienten oder Pfleger" und betätigt sich auch homosexuell: "nachts öfter störend, geht an andere Betten."

So geht das Tag für Tag, Jahr um Jahr. Keine Zustandsänderung. Doch ab 1933 hat die NS-Machtergreifung Folgen für die Psychiatrie. Auch in Wiesloch werden die Pflegesätze drastisch reduziert, Personal, Verpflegung und Medikamente eingespart und das "Zwangssterilisationsgesetz" rigoros angewendet. Im Gefolge des NS-Euthanasieprogramms werden ab 1940 mehr als 2000 Patienten der Wieslocher Anstalt ermordet.

Was aber ist aus Peter Schäfer, dem "Mannemer Blumepeter" geworden? Er ist der prominenteste Patient. Gegen Geld und gute Worte wird er ab und an neugierigen Gästen vorgeführt. Auch sein Vormund von der Stadt Mannheim schaut nach dem Rechten. Doch am 15. Juni 1940 ist Peter Schäfer tot. "Herzinsuffizienz" lautet der handschriftliche Eintrag in der Krankenakte. Doch der ausführliche Vermerk über die letzten sechs Monate im Leben Peter Schäfers ist erst nachträglich von ein- und derselben Person in die Krankenakte geschrieben worden. Merkwürdig auch, dass ohne Zustimmung der Familie und des Mannheimer Fürsorgeamtes, das die Unterbringung von Schäfer bezahlt, der Leichnam auf dem Wieslocher Anstaltsfriedhof beigesetzt wird.

Peter Schäfers Angehörige erfahren davon erst nach der Bestattung. Und zuvor hat man dem Leichnam das Gehirn entnommen. Auch darüber erfolgt die Information der Anstaltsleitung erst Tage später.

Gab es etwas zu verbergen? Ist Peter Schäfer wirklich eines natürlichen Todes gestorben? Blumepeters Tod fällt in die Zeit zwischen dem zweiten und dritten T4-Transport von Wiesloch in die Vernichtungsanstalt nach Grafeneck. Der Name von Peter Schäfer findet sich nicht auf den Listen. Frank Janzowski, Psychotherapeut und langjähriger Mitarbeiter am PZN Wiesloch, hat die NS-Vergangenheit der Wieslocher Anstalt wissenschaftlich untersucht und in einem jüngst im Verlag Regionalkultur erschienenen Buch akribisch dokumentiert. "Es ist ungewöhnlich, dass der Tod eines Patienten damals derart ausführlich dokumentiert worden ist", räumt Janzowski ein: "Aber das ist wohl auch dem Bekanntheitsgrad des Patienten geschuldet." Man gab sich wohl Mühe, um bei möglichen Nachfragen abgesichert zu sein. Wäre aber nicht auch denkbar, dass man dies tat, um etwas vertuschen zu wollen? Hat man dem prominenten Patienten Peter Schäfer den Transport in die Tötungsanstalt ersparen wollen? Und dabei etwas nachgeholfen? Für Frank Janzowski bloße Spekulation, nicht beweisbar.

Aber man kann zumindest diese Fragen stellen. Peter Schäfers Wieslocher Krankenakten waren in den 50er Jahren kurze Zeit abhanden gekommen, was - bezeichnenderweise - bei der Anstaltsleitung intern für großes Aufsehen sorgte. Heute befinden sich die Unterlagen im Generallandesarchiv Karlsruhe. Seit knapp zwei Jahrzehnten gilt der "Blumepeter" als absolute Person der Zeitgeschichte, so dass die Krankenakten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten.

Ist es das schlechte Gewissen gewesen? Die Unsicherheit, über das, was Peter Schäfer tatsächlich alles in der Wieslocher Psychiatrie während der NS-Zeit widerfahren sein mag? In den 50er Jahren bricht in Mannheim jedenfalls ein regelrechtes "Blumepeter"-Fieber aus. Da werden Witzesammlungen und Anekdotenbücher veröffentlicht, die Peter Schäfer zum pfiffigen Kerlchen stilisieren. Der "Blumepeter" wird bald zur Mannheimer Symbolfigur schlechthin. Im Jahr 1967 setzen sie ihm sogar ein Denkmal nach einem Entwurf von Gerd Dehof.

Jahr für Jahr wird der "Bloomaul"-Orden an eine ausgesuchte Kurpfälzer Persönlichkeit verliehen, am Ordensband hängt eine ebenfalls von Dehof geschaffene Figurine, die den Blumepeter zeigt, wie er kopfunter durch die eigenen gespreizten Beine guckt. Jedes Jahr im Herbst wird rings um den Mannheimer Wasserturm das "Blumepeter-Fest" gefeiert, dessen Erlös einer Aktion des Mannheimer Morgen zugutekommt und Menschen hilft, die eher ein Schattendasein in unserer Gesellschaft fristen. Und es ist gar nicht so lange her, da warb die Stadt Mannheim gemeinsam mit Friedrich Schiller und mit dem "Blumepeter" auf einem bunten Imageplakat. Sollten sich solchermaßen Weltliteratur und Mannheimer Mutterwitz auf einen Punkt bringen lassen? Ein grandioses Missverständnis? Oder doch eher ein Stück späte Wiedergutmachung für einen armen, behinderten Menschen?

Vielleicht gerät der "Blumepeter" ohnehin aus dem Blickfeld. Sein Denkmal auf den Kapuzinerplanken verschwindet bei den häufigen Events auf dieser Feier- und Flaniermeile schon mal zwischen Partyzelten und Generatoren. Was schade ist. Denn selbst wenn Peter Schäfer nicht Opfer der NS-Mörder geworden sein sollte, so steht sein Schicksal doch auch für viele, viele Tausende behinderter Menschen, die in der Nazi-Zeit umgebracht wurden.

So verstanden könnte uns der "Blumepeter" durchaus auch weiter in Erinnerung bleiben und zum Nachdenken anregen, was unseren eigenen Umgang mit Behinderten betrifft: Dass wir solche Menschen nicht vorführen, sondern respektieren in all ihren Grenzen.

Info: Autor Eberhard Reuß hat für den SWR mehrfach über den "Blumepeter" Peter Schäfer berichtet und veröffentlichte im Heidelberger Verlag Das Wunderhorn "Erinnerungen an den Blumepeter" .