Auf leisen Sohlen
Neue Bremsen für Güterwaggons lassen Lärmgeplagte auf ruhigere Nächte hoffen. In Mannheim wird bereits umgerüstet.

In vielen Orten der Region - wie hier in Hockenheim - rollen die Waggons an Wohngebieten vorbei. Wände bringen etwas Lärmschutz.
Von Gaby Booth
Mannheim. Wer in der Nähe einer Bahnstrecke wohnt, wacht morgens oft wie gerädert auf: Durch die Nacht ratternde Güterzüge ließen mal wieder kaum an Schlaf denken. In Schwetzingen, Weinheim, Mannheim und anderen Kommunen der Region kennt man das Problem seit Jahrzehnten. Die Metropolregion liegt verkehrsgünstig auf der Schienen-Magistrale zwischen Rotterdam und Genua. Baden-Württemberg ist Transitland auf dem Weg zwischen den Seehäfen im Norden, der Schweiz und Italien - und das hört man Tag und Nacht.
"Geht das nicht leiser?", fragen sich die Aktiven in den verschiedenen Bürgerinitiativen, die ja nichts gegen den Transport auf der Schiene haben, aber gegen den damit verbundenen Lärm. Es geht, wenn auch langsam. Die DB Cargo, Europas größte Güterbahn, will bis 2020 die gesamte Flotte, das sind 64.000 Waggons, umgerüstet haben.
Arbeitsplatz Rangierbahnhof Mannheim: Hier, in der Lokwerkstatt, malochen Industriemechaniker und Mechatroniker unter den Waggons und unter den Loks, um ihnen neue Bremsen zu verpassen. Sogenannte Flüsterbremsen oder LL-Bremsen, wie der Fachausdruck heißt. LL bedeutet: Low noise, low friction (weniger Lärm, weniger Reibung). Die vom Bund geförderte Umrüstung wird Zug um Zug vorangetrieben.
Die Hauptlärmquelle bei Schienenfahrzeugen ist momentan noch die Bremssohle aus Grauguss: Bei jedem Bremsvorgang drücken die Bremsklötze auf die Laufflächen der Räder - unangenehme Geräusche, die das menschliche Ohr überhaupt nicht mag. Mit den neuen "Flüsterbremsen" - die aus Metallfasern, Kautschuk und Harz gefertigt sind - fahren die Güterzüge zehn Dezibel leiser, so das Versprechen. Die Lärmbelastung wäre so um die Hälfte gesenkt. Bei Neukäufen gehört die Flüsterbremse bereits zur Standard-Austattung.
Weil die Umrüstung teuer ist und die Waggons für den Betrieb gebraucht werden, erfolgt der Austausch bei den Bestandswagen sukzessive. Immer dann, wenn ein Wagen in die Werkstatt muss, erfolgt auch die Umrüstung. Für die Menschen entlang der Bahnstrecken kann das nicht schnell genug gehen. Subjektiv wird die Lärmminderung aber erst wahrgenommen, wenn die Mehrheit der Waggons mit LL-Bremsen ausgestattet ist. So weit ist man bei der Bahn noch nicht.
Die Umrüstung auf Flüsterbremsen ist nur eine Maßnahme von vielen. Die Start-Stopp-Automatik in den Loks gehört ebenso dazu. Sie funktioniert ähnlich wie beim Auto: Wenn die Lok an einem Haltesignal stehen bleibt, stoppt der Motor. Aber auch Schulungen der Lokführer zu energiesparendem Fahren passen zum Programm. Zügig anfahren, beim Bremsen Energie ins Netz zurückspeisen oder den Zug an den richtigen Stellen rollen lassen - Fingerspitzengefühl im Führerstand spart Energie. Erleichtert wird das in den neuen Elektroloks mit dem Fahrassistenzsystem LEADER (engl. "Locomotive Engineer Assist Display and Event Recorder"). Auf einem Display bekommt der Lokführer im Führerstand Tipps, mit welcher Geschwindigkeit er möglichst energiesparend durch Fahrplan und Streckenprofil steuern kann. Einige Großkunden wie Audi und BMW nutzen zudem die Eco-Angebote und transportieren ihre neuen Autos ab Werk kohlendioxidfrei und fahren so umweltfreundlicher und billiger.
Die Lokwerkstatt im Rangierbahnhof Mannheim ist der ideale Ort für den Umbau der Waggons und Loks. Denn hier findet ohnehin die Kontrolle, Wartung und Reparatur statt. Der Rangierbahnhof ist eine Welt für sich. Reisende auf der Strecke zwischen Heidelberg und Mannheim fragen sich häufig, was die vielen geparkten Züge auf der Höhe von Seckenheim dort machen. Häufig stehen Hunderte nagelneue Autos obenauf und warten auf die Weiterfahrt. Die Antwort: Der Rangierbahnhof Mannheim ist das ganz große Drehkreuz im süddeutschen Güterverkehr. Hier wird gekuppelt, was das Zeug hält. Autos für Spanien, Champagner aus Frankreich, Fisch und Möbel aus Skandinavien, Kleider aus Italien.
Seit 1903 wird hier gekuppelt. Früher noch mühsam und gefährlich mit Hand - heute weitgehend per Fernbedienung und computergesteuert. Nach Maschen bei Hamburg ist Mannheim Deutschlands zweitgrößter Rangierbahnhof.
Von zwei Seiten rollen die Güterzüge ein und werden für ihren Bestimmungsort neu zusammengestellt. In die Bretagne oder die Lombardei, ans Schwarze Meer oder nach Sizilien. Wenn man alle Güterzüge von DB Cargo hintereinander aufstellen würde, dann ergäbe das eine Schlange von Berlin bis Bukarest. Irgendwann rollt jeder Waggon einmal durch den Rangierbahnhof Mannheim.
Und genau hier gibt es die Lokwerkstatt, wo die Waggons auf ihre Fahrtauglichkeit überprüft werden. Und momentan vornehmlich umgerüstet werden. Lokführer, Lokrangierführer, Wagenmeister sind am Werk.
Die Rheintalbahn zwischen Mannheim und Basel wickelt einen Großteil des Schienengüterverkehrs aus Deutschland, Skandinavien und Westeuropa Richtung Schweiz und Italien ab. Wenn die Neubaustrecke zwischen Frankfurt und Mannheim endlich realisiert wird, werden noch mehr Personenzüge durch die Region donnern, das Güterzugaufkommen wird sich im nächsten Jahrzehnt verdoppeln. Was verkehrspolitisch erwünscht ist, nämlich mehr Transporte weg von der Straße auf die Schiene zu verlegen, hat seine Schattenseiten. Daher bleiben die Bürgerinitiativen zwischen der Schwetzinger Hardt und der hessischen Bergstraße am Ball und wollen auch bei der längst überfälligen Neubaustrecke Rhein-Main/Rhein-Neckar mitreden.
Bis 2030 wird es einen enormen Zuwachs auf der Schiene geben, alleine im Güterverkehr um 43 Prozent, im Fernverkehr um 22, im Regionalverkehr um 17 Prozent. Entlastung erhoffen sich die Kommunen von der avisierten Neubaustrecke. Denn hier zwischen Frankfurt und Mannheim liegt ein Flaschenhals, durch den sich täglich Hunderte von Zügen quetschen. Immer wieder kommt es aufgrund der Dichte zu Verspätungen, die sich dann auf das gesamte bundesdeutsche Schienennetz auswirken.
Wo genau diese zweispurig geplante Trasse verlaufen soll, ist noch offen. Im September stellten die drei tangierten Bundesländer und die Bahn ihre ersten Vorstellungen vor. Anfang Dezember fand das erste Beteiligungsforum mit 120 Teilnehmern aus der Metropolregion statt, als Auftakt für einen breiten Dialogprozess. Eine von der DB in Auftrag gegebene Studie zur Kapazität des Mannheimer Hauptbahnhofs wird die entscheidenden Weichen stellen. Denn eines ist sicher: Nicht alle künftigen Züge können über den Mannheimer Hauptbahnhof geführt werden. Und noch eines ist sicher: Noch mehr Züge bedeuten noch mehr Lärm. Auf der südlichen Rheinschiene haben die Offenburger und Rastatter Tunnel erstritten. Vielleicht auch eine Lösung für die Region Rhein-Neckar?
Hintergrund
Der Rangierbahnhof Mannheim ist Deutschlands zweitgrößter Rangierbahnhof (nach Hamburg-Maschen) und Drehscheibe für Waren aus allen Himmelsrichtungen. Er wurde bereits 1903 als "Verschiebebahnhof" gebaut und mehrfach modernisiert, zuletzt 2012.
Der
Der Rangierbahnhof Mannheim ist Deutschlands zweitgrößter Rangierbahnhof (nach Hamburg-Maschen) und Drehscheibe für Waren aus allen Himmelsrichtungen. Er wurde bereits 1903 als "Verschiebebahnhof" gebaut und mehrfach modernisiert, zuletzt 2012.
Der Bahnhof in Höhe von Seckenheim ist 5600 Meter lang, hat eine Breite von 360 Metern und insgesamt 170 Kilometer Gleise, auf denen die Waggons ankommen und die Züge neu zusammengestellt werden. 560 Mitarbeiter sind hier tätig als Lokführer, Industriemechaniker, Mechatroniker.
Etwa 150 Züge oder 5600 Waggons werden täglich bearbeitet. Auf dem Weg zwischen Skandinavien und den Nordseehäfen sowie Italien, Südfrankreich und Osteuropa ist der Rangierbahnhof das große Drehkreuz und wird nach Fertigstellung der Rheinschiene und der Gotthard-Verbindung noch mehr Bedeutung bekommen.



