Wie funktioniert das eigentlich das Denken?
Können Computer unsere Hirnleistung fördern? Und macht Googeln dumm?

Von Klaus Welzel
Heidelberg. Andreas Unterberg leitet seit 2003 die Neurochirurgische Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg. Über die philosophischen Aspekte des Denkens kommt der gebürtige Westfale beim RNZ-Interview erst einmal ins Grübeln. Dann berichtet er, was heute bereits technisch alles möglich ist: Gutes wie Schlechtes. Die Tür zum Labor des Dr. Frankenstein, sie ist einen Spalt breit geöffnet.

Professor Unterberg, was passiert in meinem Kopf, wenn ich denke?
Gegenfrage: Was ist Denken? Denken ist ja nicht nur reagieren auf irgendwelche Reize von Außen. Man kann ja denken aus sich heraus, ohne irgendeinen Anstoß.
Ob das funktioniert? Ohne Reize von außen?
Auch interessant
Ganz spontan gesprochen: Was mache ich im nächsten Urlaub, das hat nichts mit der Umgebung hier im Büro zu tun.
Es hat mir der Erfahrung zu tun, zu wissen, was Urlaub ist.
Denken heißt ja, versuchen ein geistiges Konstrukt zu bilden. Eine Frage zu beantworten – zum Beispiel, was ist Denken?
Welche biochemischen Prozesse laufen dabei ab?
Zunächst: Denken ohne Gehirn funktioniert nicht. Aber Denken alleine im Gehirn funktioniert auch nicht; ich brauche einen Körper. Dann etwas, was so eine Art Ich-Erfahrung ist. Für Denken ist das Bewusstsein unabdingbar. Schon ist man an dem Punkt, sich zu fragen, ab wann kann der Menschen denken? Können Säuglinge denken?
Was sagt der Neurochirurg dazu? Gehen wir einmal von einem Erwachsenen aus.
Das Gehirn ist ja mehr als ein Rechenzentrum. Da laufen jetzt nicht nur Erregungen im Sinne von physikalischen Strömen, von Aktionspotenzialen, da werden Synapsen aktiviert und dabei werden Rhythmen generiert. Diese Rhythmen bilden unser Bewusstsein. Wir wissen zum Beispiel, in diesem aufsteigenden retikulären Aktivierungssystem im Hirnstamm müssen dauernd Erregungen ablaufen in Kreisen, um eine Art Grundschwingung zu erzeugen, was essenziell ist für Bewusstsein und für Denken.
Dieses aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem hilft uns ja, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen; also nur das herauszufiltern, was wir auch in unser Bewusstsein gelangen lassen wollen. Ohne Schwingungen also kein Sein?
Genau. Ohne dieses Grundschwingen im Stammhirn, im Mittelhirn und im Thalamus wäre ein Bewusstsein nicht möglich. Das ist essenziell. Dann braucht es noch weitere Dinge, um unsere Ausgangsfrage zu beantworten: Da wäre die Sprache, Sprache verstehen, Sprachäußerungen. Dazu kommt das optische System.
Wie sieht es mit der Fähigkeit aus, zu reflektieren?
Viele Äußerungen anderen gegenüber werden moduliert; zum Beispiel im limbischen System, im Riechhirn. Emotionale Qualitäten kommen hinzu, wo aus einem Gedanken plötzlich etwas sehr Mildes werden kann oder etwas sehr Aggressives oder etwas Defensives.
Gibt es dazu Forschungen, wo unsere Emotionen im Gehirn verankert sind?
Also, das Emotionszentrum gibt es nicht. Aber verschiedene Hirnregionen erzeugen in Verknüpfung miteinander Emotionen. Und so gibt es Studien, in denen man herausgefunden hat, welche Region elektrisch stimuliert werden muss, um Aggressionen auszulösen. Und dann gibt es durch Krankheit oder Unfälle bedingte Verletzungen, zum Beispiel im limbischen System, bei denen wir wissen, die lösen Läppischkeit oder aggressives Verhalten aus.
Kann ich auch Denkleistungen durch künstliche Impulse steigern?
Daran wird geforscht. Beim amerikanischen Militär wird danach geschaut, wie man Kampfpiloten so stimulieren kann, damit sie schneller denken und so ihr Reaktionsvermögen gesteigert wird – ohne Drogen zu geben.
Und im zivilen Bereich?
Das ist schwierig. Es gibt natürlich niemanden, der sich freiwillig Elektroden ins Gehirn pflanzen lässt, damit er schneller denken kann, weil das mit enormen Risiken verbunden ist. Was es aber gibt, sind Behandlungen von außen durch magnetische Felder.
Jetzt verlassen wir mal kurz das Labor von Dr. Frankenstein: Kann ich denn ohne Experimente etwas für meine Denkleistung tun? Also besser essen, Sport machen?
Sport ist immer gut – für alles. Sport schiebt das Altern heraus, verändert die Reaktionsgeschwindigkeit und auch das Denkvermögen. Gesunde Ernährung spielt dagegen eher eine untergeordnete Rolle. Ungesunde Ernährung – fettes Essen, viel Alkohol – schaden natürlich auch der Denkleistung; aber umgekehrt funktioniert das nicht.
Schlagwort Mensch-Maschine. Gibt es so etwas überhaupt?
Ja. Am weitesten fortgeschritten sind Cochlea-Implantate. Hier werden Töne und Geräusche von einem Mikrofon und über eine Elektrode in die Hörschnecke, die Cochlea, übermittelt. Dann gibt es das Implantieren von Chips in die Sehrinde des Gehirns, um das Sehvermögen wieder herzustellen. Das funktioniert nur im sehr begrenzten Maß – etwa, dass jemand wieder hell und dunkel wahrnehmen kann. So kann einem Blinden ermöglicht werden, sich wenigstens etwas zu orientieren.
Das heißt, ich könnte dann aber noch keinen Menschen erkennen?
Nein, so weit sind wir noch nicht. Aber grobe Figuren erkennen oder Schachmuster, das ist möglich.
Wo sitzt eigentlich das Sprachzentrum im Gehirn?
Das Schwierige daran: Die Sprachzentren sitzen nicht bei jedem Menschen an der gleichen Stelle.
Und wie finden Sie die Sprachzentren?
Im Kopf sieht ja alles gleich aus. Wenn aber das Gehirn zum Beispiel bei der Operation frei liegt, kann man es mittels einer Elektrode stimulieren. Wenn ich die bei einem Patienten an eine Stelle halte und er spricht nicht mehr, dann ist da ein Sprachzentrum.
Also das gute alte Versuch-und-Irrtum-Prinzip.
Man kann es aber auch mittels Magnetstimulation ohne Operation feststellen. Da zieht man so eine große Haube über und setzt Impulse, um die Areale bis auf wenige Millimeter genau zu lokalisieren.
Gibt es Unterschiede zwischen Rechts- und Linkshändern?
Bedingt: Bei Rechtshändern sitzt das Sprachzentrum meistens links, bei Linkshändern zur Hälfte links und zur Hälfte rechts.
Der französische Philosoph Descartes sagte: "Ich denke, also bin ich". Bin ich eigentlich auch ohne Gehirn?
Die Frage stellt sich aufgrund einer immer älter werdenden Bevölkerung immer öfter. Tritt eine Demenz ein, verschwindet nach und nach das Denken. Es ist hier im Übrigen eine besondere Fähigkeit von Menschen, Empathie zu zeigen, Hilfsbereitschaft, und sich auch eines Geschöpfes anzunehmen, das nur noch da ist, dessen Gehirn durch die Demenz zerstört wurde oder jemandem, der schwer geistig behindert ist.
Frage an den Mediziner: Gibt es so etwas wie einen intelligenten Blick?
Wenn ich mich als Mediziner mit einem Patienten unterhalte, dann braucht es nicht vieler Worte, um zu erkennen, der andere versteht, was ich ihm sage oder er versteht es nicht. Das ist übrigens völlig unabhängig davon, ob jemand vielleicht aufgeregt ist, was ja gelegentlich vorkommt. Aber ob es einen intelligenten Blick gibt? Das halte ich für sehr problematisch.
Macht Computerarbeit dumm? Beschränkt es mich in meinen intellektuellen Möglichkeiten, wenn ich alles googeln kann?
Ich denke, dass das die Denkleistung eher fördert. Auch das Suchen ist eine Leistung. Der Kopf wird frei von einigem Ballast, weil ich mir nicht mehr alles merken muss.
Umgekehrt werden Diskussionen abgekürzt.
Im Gespräch zum Beispiel kann man nicht mehr alles behaupten, weil das sofort überprüft werden kann. Das finde ich sehr gut.
Ihre Vision für das Jahr 2030: Werden wir alle schlauer sein als heute?
Ich bezweifle, ob wir alle intelligenter sein werden, aber wir haben sicherlich noch besseren und schnelleren Zugang zu Zahlen, Daten, Fakten und damit zu mehr Wissen. Es bleibt die Herausforderung, dieses Mehr an Wissen auch sinnvoll und effektiv zu nutzen. Dann sind wir schlauer.