Kubas "Man in Black" Eliades Ochoa

Buena Vista Social Club-Gitarrist mit intimem Album

Der begnadete Gitarrist und Songwriter Eliades Ochoa schlägt neue Pfade ein.

28.05.2023 UPDATE: 28.05.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 26 Sekunden
Blues, Plena und Poetisches: Buena-Vista-Social-Club-Star Eliades Ochoa zeigt sich auf seinem neuen Album „Guajiro“ überraschend experimentierfreudig. Foto: M. Giorgeschi

Von Daniel Schottmüller

Havana. Compay Segundo ist tot. Vor 20 Jahren hat mit dem stilvollsten unter Kubas Fedora- und Schnauzbartträgern der Kopf des Buena Vista Social Club das Zeitliche gesegnet. Die Lieder, die er und seine Mitmusiker hinterlassen haben, sind geblieben. "Chan Chan", "Dos Gardenias" oder "Candela" begleiten auch in der Rhein-Neckar-Region noch so manchen sommerlichen Mojito auf der Terrasse, den Salsa-Kurs in der Tanzschule oder die Urlaubsfahrt Richtung Süden.

Son Cubano lautet der Überbegriff für diese rhythmische, handgemachte Musik, die mit ihrem Frage-Antwort-Gesang und den augenzwinkernden Alltagserzählungen wie der spritzig aufgelegte Bruder des Blues anmutet. Schade, dass die Größen dieses Stils nicht mehr unter uns sind. Und noch trauriger, dass sie der Welt nur ein Album hinterlassen haben, auf dem die beinahe hypnotische Wirkung ihrer Klänge zutage tritt. Aber nicht so schnell. Zumindest ein Buena-Vista-Mitglied erfreut sich nämlich noch bester Gesundheit: Eliades Ochoa.

Mit seinen schroffen Gesichtszügen, schwarzem Hut und Cowboystiefeln wird der 76 Jahre alte Gitarrist und Sänger schon lange als Johnny Cash Kubas gefeiert. Damals, als der "hombre de negro" mit dem Grammy-prämierten Buena Vista Social Club Weltruhm erreichte – es war das Jahr 1997 –, war er mit 50 quasi noch ein junger Springer. Zumindest im Vergleich zu den Veteranen Compay Segundo und Ibrahim Ferrer, die schon lange vor seiner Geburt gesungen hatten und mit denen er ein unvergessliches Gespann bildete. Dabei stach nicht nur die Fingerfertigkeit des Saitenkünstlers hervor. Wer sich Wim Wenders bewegenden Dokumentarfilm "Buena Vista Social Club" (1999) anschaut, sieht ihn gleich in der Eingangsszene bei Segundos "Chan Chan" mitschmettern: "De Alto Cedro voy para Marcané / Llego a Cueto, voy para Mayarí!"

Heute, ein Vierteljahrhundert später, ist Eliades Ochoa so etwas wie der Elder Statesman des Son. Und doch unterscheidet sich sein neues Album "Guajiro" von den Klassikern der Musica Cubana wie "Guantanamera" oder "Oye Como Va" , die in den Bars von Havanna und Trinidad zur Touristenbespaßung serviert werden. Ochoas aktuelle Songs repräsentieren vielmehr das Intimste, was er je aufgenommen hat. "Das Album erzählt meine Geschichte", verriet er kurz vor der Veröffentlichung. "Jeder Song hat eine große Bedeutung für mich."

Bei den Aufnahmen hat er sich auf eine Reihe von Gleichgesinnten verlassen. Produzent Demetrio Muñiz fungierte jahrelang als Leiter der Tourneeband – er bildet also eine direkte Verbindung zu Buena Vista. Aber dann ist da noch der Mississippi-Blues-Mundharmonikaspie-ler Charlie Musselwhite, die Fania-All-Stars-Legende Rubén Blades oder die Indie-Rockerin Joan Wasser, besser bekannt als Joan As Police Woman. "Creo En La Naturaleza" leiht die Amerikanerin nicht nur ihre Geige: Sie übersetzt Ochoas bewegende Lyrik über den Sonnenaufgang, die Sterne und die Freude an Musik und Familie ins Englische.

Nicht nur mit diesem sphärischen Duett betritt Eliades Ochoa, der 1946 am Nordhang der Sierra Maestra geboren wurde, Neuland: "Seit vielen Jahren spiele ich traditionellen Son Cubano, aber an diesem Punkt in meinem Leben wollte ich etwas anderes machen. Ich habe Kollaborationen schon immer geliebt, wollte offen für andere Rhythmen sein und mit verschiedenen Künstlern zusammenarbeiten." Gut so.

Wie viel Energie im Zusammenspiel entstehen kann, beweist "Se Soltó Un León". Hier versucht sich der Mann mit der rauen Stimme an einer puerto-ricanischen Plena – das wuchtige Ergebnis glänzt mit einem fulminanten Bläserarrangement. Überhaupt hat das Album nichts mit Seniorenmusik zu tun. "Guajiro" packt vom ersten "Vamos!" an. Auch weil zahlreiche Mitmusiker von der größten aller Karibikinseln mit beseeltem Spiel und Gesang zu dem leidenschaftlichen Elf-Song-Mix beitragen.

Aber was war der Auslöser für das späte Erblühen von Ochoas Songwriting-Ambitionen? Die Zeit sei einfach reif, die Inspiration stark gewesen, betont der 76-Jährige: "Es ist eine andere Phase in meinem Leben als zu der Zeit, als wir Buena Vista machten", wagt er eine Erklärung. "Compay und Ibrahim kamen mit einem immensen Background daher und vielen Geschichten – das Album mit ihnen zu machen, öffnete mit einem Mal Türen zur ganzen Welt. Jetzt fühlt es sich nach dem richtigen Zeitpunkt an, um meine eigenen Geschichten zu erzählen."

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