Feldforschung auf eigene Faust
Weil Erntehelfer gesucht werden, hat unsere Autorin Wibke Helfrich sich beim Spargelstechen versucht

Spargelstechen ist wie Ostereiersuchen, nur anstrengender: Lucian und ich sind auf der Suche nach kleinen Erhebungen. Die entstehen, wenn der Spargel sein Köpfchen aus dem Sand streckt. Mit einem kräftigen Schwung schlägt Lucian die Folie zurück, die den Erdhügel bedeckt. Und tatsächlich sieht man die ersten ein bis zwei Zentimeter eines Spargels. Lucian legt das Köpfchen vorsichtig mit den Händen frei und schiebt dann routiniert das Stecheisen in die Erde. Voilà! Ein perfekter weisser Spargel.
Hintergrund
Mein persönlicher Tipp: Wenn Sie sich als Erntehelfer bewerben wollen, dann rechnen sie mit Muskelkater! Wer es nicht gewohnt ist, wird in den ersten Tagen die gebückte Haltung sicher spüren. Bewerben Sie sich nur, wenn Sie fünf Tage die Woche und täglich acht Stunden Zeit
Mein persönlicher Tipp: Wenn Sie sich als Erntehelfer bewerben wollen, dann rechnen sie mit Muskelkater! Wer es nicht gewohnt ist, wird in den ersten Tagen die gebückte Haltung sicher spüren. Bewerben Sie sich nur, wenn Sie fünf Tage die Woche und täglich acht Stunden Zeit haben – ansonsten ist der bürokratische Aufwand für die Landwirte zu groß. Außerdem sollten Sie mindestens für einen Monat verfügbar sein, sonst rentiert sich der Einarbeitungsaufwand nicht.
Bei Interesse kann man sich auf www.daslandhilft.de oder www.hegehof.de umsehen.
Dafür musste ich heute Morgen um 7 Uhr aufstehen. Ungewohnt, seit ich im Corona-Homeoffice arbeite. Jetzt ziehe ich sogar das erste Mal seit einer Woche wieder eine Jeans an, anstelle der Jogginghose, und fahre zum Arbeitsantritt auf den Hegehof.
Schließlich hat Peter Hauk, Landwirtschaftsminister, höchstpersönlich einen Hilfeaufruf gepostet: "Erntehelfer gesucht!" So soll die Versorgung der Menschen mit heimischen Lebensmitteln sichergestellt werden. "Bitte helfen sie mit, dass die Arbeit auf den Feldern gelingen kann." Okay, denke ich, wer kann da schon Nein sagen, wenn er so nett gebeten wird.
Dieter Hege erwartet mich bereits am Hof. Skeptisch bewertet er mich auf Landwirtschaftstauglichkeit. Schon mein Vater hatte mich gewarnt: "Spargelstechen kannst du nicht – das ist richtig harte Arbeit." Herr Hege scheint ungefähr das gleiche Vertrauen in meine Fähigkeiten zu haben. "Spargelstechen machen Deutsche oft nicht so gerne, denen ist die Arbeit meist zu schwer." Das Problem sei, dass er nur den Mindestlohn von zur Zeit 9,35 Euro zahlen könne, "da Nahrungsmittel in Deutschland einfach zu billig sind." Dafür würden sich die meisten Deutschen nicht die Finger schmutzig machen, sagt Hege, "für Osteuropäer hingegen ist das noch gutes Geld". Das war natürlich vor der Corona-Krise, als die Wirtschaft florierte und es lukrative Jobs an jeder Ecke gab. Jetzt sind alle Läden, Kneipen, Restaurants, Unis und Kultureinrichtungen geschlossen, plötzlich stehen viele Leute ohne Verdienst und Beschäftigung da.
Da momentan die Landesgrenzen dicht sind, sollte das ja eine klassische Win-win-Situation sein: osteuropäische Erntehelfer fallen aus, lokale Menschen springen in die Bresche. Tatsächlich hat der Hegehof in der letzten Woche 350 Bewerbungen erhalten von Leuten aus der Region, die als Erntehelfer mitmachen wollen. "Eigentlich eine tolle Sache", freut sich der Landwirt, "nur im Moment bedeuten Koordinierungsarbeit und Arbeitsplanung unter solchen Bedingungen einen enormen Zusatzaufwand!"
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Jetzt soll es aber losgehen. Normalerweise würde ich mit dem Mannschaftsbus auf das Feld fahren, aber in Zeiten von Corona kann kein Mindestabstand garantiert werden – also fahre ich mit meinem eigenen Auto. Die Spargeldämme sind im Frühjahr mit zwei Folien abgedeckt. Direkt auf die Erde kommt eine schwarze Plane, die erwärmt den Spargel durch die Sonneneinstrahlung. Etwa 50 Zentimeter darüber ist eine weiße Folie mit Drahtbögen fixiert, die wie ein Mini-Gewächshaus funktioniert. Besonders hübsch sehen die Plastikplanen in der Natur nicht aus.
Warum findet man diese Folien zur Ernteverfrühung hier in der Rheinebene immer häufiger? "Was ist denn die Alternative", fragt Bauer Hege zurück. "Erdbeeren oder anderes Obst und Gemüse aus Spanien oder Marokko? Da kommt dann noch der lange Transportweg hinzu. Außerdem wächst unter der Folie kein Unkraut. So müssen wir keine oder viel weniger Herbizide anwenden. Und wenn es dann wärmer wird, schützen die Folien vor der Wasserverdampfung. Zusätzliches Beregnen bleibt uns erspart". Aus dieser Perspektive habe ich das vorher noch gar nicht betrachtet.
Meine erste Arbeit besteht darin, das zwei Hektar große Feld von der weißen Folie zu befreien. Zu sechst laufen wir an den Dämmen entlang und schlagen die Plastikdecke zur Seite. Nur um alle Hügel freizulegen, müssen wir vier Mal das Feld auf und ab laufen. Lucian grinst mich an: "Wir laufen am Tag schon so zwischen fünfzehn und zwanzig Kilometer." Aha, das Königsgemüse will also hart erlaufen werden. Soll mir recht sein, laufen kann ich!
Erst dann beginnt die eigentliche Ernte: Mein erster Versuch produziert feinsten Bruchspargel – erst falsch gestochen, dann zu fest gezogen. Die Stängel sind aber auch empfindlich! Lucian zeigt es mir noch einmal in Zeitlupe. Es ist gar nicht so einfach zu erkennen, wo der Spargel unter der Erde wächst – eigentlich gerade runter, oder? Während ich meine zweite Stange aus der Erde zaubere (vielleicht ein bisschen kurz, aber immerhin am Stück) und sie stolz meinem strengen Lehrer zeigen will, ist der schon in weiter Entfernung.
Denn beim Spargel ist es nicht so, dass man es sich an einer Stelle gemütlich machen kann und einen Stängel nach dem anderen aus dem Boden zieht. Nur alle paar Meter zeigt sich ein Köpfchen. "Kein Wunder, dass das Zeug so teuer ist" denke ich etwas miesepetrig. Schnell sein Kistchen vollkriegen, ist hier nicht angesagt.
Ein Profi sticht am Tag 120 bis 160 Kilogramm Spargel. Nach einer Stunde habe ich gerade mal fünf Kilo geerntet und mein Rücken beschwert sich bereits über die gebückte Haltung. Nach zwei Stunden kommt Dieter Hege vorbei, um zu schauen, wie es mir ergeht "Tja …", seufzt er, "sehen Sie, wir müssen auch langsamen Arbeitern wie Ihnen den Mindestlohn zahlen, auch wenn sich das in diesem Tempo gar nicht rentiert." Ein ungeübter Erntehelfer schafft am Anfang nur fünf Kilo die Stunde. "Da müsste man für eine Kostendeckung das Kilo für 25 Euro verkaufen – aber wer soll und will das bezahlen?" Und überhaupt: Wie viel Spargel dieses Jahr geerntet und zu welchem Preis er verkauft werden kann, ist momentan durch die Corona-Krise unsicher.
Abends informiert mich Dieter Hege über eine weitere Entwicklung. Er sieht in der momentanen Situation den Einsatz von Erntehelfern aus vielen verschiedenen Haushalten äußerst kritisch. "Die Gefahr ist dann natürlich viel größer, dass das Corona-Virus auf unserem Betrieb eingeschleppt wird. Unsere rumänischen Mitarbeiter haben bereits eine 14-tägige Quarantäne durchlaufen und leben hier rund um die Uhr in ihren Arbeitsgruppen ziemlich isoliert, da ist die Ansteckungsgefahr geringer. Wir wissen noch nicht, wie wir verfahren werden. Aber die Situation ist weitaus komplizierter, als dass wir einfach einheimische Erntehelfer einsetzen können. Noch ist nicht entschieden, wie wir hier vorgehen."
Zu Zeiten von Corona gibt es also nur eine Konstante: Nichts ist am nächsten Tag so, wie es gestern noch geplant war. Ob sich Minister Hauk bei seinem Hilfeaufruf all dieser Herausforderungen für die Betriebe, aber auch die Erntehelfer in spe bewusst war?
Abends verschwindet die Sonne, nach einem wundervoll sonnigen Tag, hinter den Bergen der Pfalz und ich steige mit glutrotem, sonnenverbrannten Kopf nicht ganz geschmeidig in mein Auto. Ich glaube, heute Abend koche ich Spargel und dann werde ich mir jedes hart erarbeitete Stückchen auf der Zunge zergehen lassen … mit ein bisschen Weißwein, spüre ich dann auch bestimmt den Muskelkater nicht mehr.



