Bücher trotzen Krisen

Die Frankfurter Buchmesse ist zurück

Stabiler Anker in aufgewühlter See: Neustart zwischen Corona-Krise und Ukraine-Krieg.

15.10.2022 UPDATE: 16.10.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 50 Sekunden

Eine Mitarbeiterin der Frankfurter Buchmesse steht vor der Eröffnungspressekonferenz der Frankfurter Buchmesse an einem Buchstand in der Festhalle. Foto: dpa

Von Heribert Vogt

Frankfurt. Digitalisierung hin, elektronische Medien her: Das gute alte Buch erweist sich in der aufgewühlten See der multiplen Krisen unserer Zeit doch als ein höchst verlässlicher und stabiler Anker. Schon während der Corona-Pandemie feierte das gedruckte Medium eine Renaissance: Plötzlich schrieben selbst Menschen Bücher, von denen man das nie erwartet hätte. Und auch der Energiekrise trotzt das traditionelle Buch: Ohne es jemals mit Strom aufzuladen, hält es extrem lange Zeit. Wer eine kleine Bibliothek sein Eigen nennt, muss zwar vielleicht selbst etwas Energie aufwenden, kann aber doch weitgehend autark neue Welten entdecken.

Von dieser Widerstandskraft wird auch die 74. Frankfurter Buchmesse getragen. Sicherlich, die langfristige Tendenz der zunehmenden Digitalisierung schreitet voran, aber im unübersichtlichen Hier und Heute erweist sich das herkömmliche Buch als bemerkenswert robust. Selbst nach "zwei sehr schweren Jahren" während der Pandemie, so Buchmesse-Direktor Juergen Boos, kommt "die größte internationale Kulturmesse der Welt" nun mit starkem Überlebenswillen zurück. Die Megaveranstaltung (19. bis 23. Oktober) findet wieder überwiegend physisch statt und sehnt sich nach Kontakten.

Comeback mit Fragezeichen

Bei diesem Comeback gibt es jedoch auch Fragezeichen. Der Vorverkauf soll zwar ähnlich stark brummen wie vor der Corona-Zeit. Und mit Ausstellern aus 95 Ländern ist die Buchmesse fast wieder ähnlich international. Aber die Zahl der nun etwa 4000 Aussteller ist gegenüber 2019 (7450) doch deutlich gesunken. Und statt mit einst drei Fachbesuchertagen reichen der Messe dafür nun der Mittwoch und der Donnerstag. Das allgemeine Publikum hat erstmals schon am Freitagmorgen Zutritt, und zwar weitgehend ohne Corona-Beschränkungen. Aber ob die Besucherzahl wieder an die frühere Marke von 300.000 herankommt, steht vorläufig noch in den Sternen.

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Royaler Hochglanz ist jedoch bereits für die Eröffnung am 18. Oktober angesagt: Denn wegen des diesjährigen Gastlandes Spanien kommen König Felipe VI. und Königin Letizia an den Main. Allerdings machen sich dafür die literarischen Topstars in Frankfurt eher rar. Kürzlich starb mit F. C. Delius ein weiterer wichtiger Repräsentant der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Noch lebende Größen wie Martin Walser, Peter Handke, Elfriede Jelinek oder Herta Müller haben zumeist bereits ein hohes Alter erreicht.

Neue Stimmen

Die Buchmesse spiegelt den starken Wandel der Literaturszene wider, die nach einem Generationenwechsel insgesamt weiblicher und internationaler geworden ist. Aber auch die nun anwesenden Krimiautorinnen Donna Leon und Ingrid Noll sind bereits ältere Semester. Zu den wenigen bekannten klassischen Schriftstellern vor Ort gehören etwa Robert Menasse, Péter Nádas, Durs Grünbein und Martin Mosebach. Prominente Buchautoren sind jedoch auch Elke Heidenreich, Florian Illies, Michel Friedman, Richard David Precht sowie Diane und Reinhold Messner.

Besonders wichtig ist gegenwärtig die migrantische Literatur, so auch in Heidelberg: Diesbezüglich sind etwa die Namen Jagoda Marinic´, Saša Stanišic´ oder auch Ijoma Mangold zu nennen. Der kroatischstämmige, in Mannheim aufgewachsene Autor Martin Kordic´ stellt seinen Roman "Jahre mit Martha", der unter anderem in Heidelberg speilt, am 22. Oktober auf dem Blauen Sofa vor.

Wie stark diese Entwicklung ist, zeigt sich auch darin, dass der Georg-Büchner-Preis erstmalig an eine Schriftstellerin geht, die nicht muttersprachlich deutsch aufgewachsen ist: Am 5. November erhält die in der Türkei geborene Autorin Emine Sevgi Özdamar die bedeutendste Auszeichnung in der deutschsprachigen Literatur.

Zeit für Heldinnen

Eine gehörige Portion Heidelberg wird in Frankfurt auf der ARD-Bühne dargereicht. Denn dort geht die Talkreihe "Sheroes – Streiterinnen für die Zukunft" mit der in Heidelberg lebenden Autorin Jagoda Marinic´ auch in diesem Jahr weiter. In der täglich um 14 Uhr stattfindenden Gesprächsrunde ausschließlich mit Frauen geht es um die großen Herausforderungen unserer Zeit. Am 21. Oktober ist etwa die Klimaaktivistin Luisa Neubauer zu Gast. Und am Nachmittag des 22. Oktober folgen auf "Sheroes" noch weitere Bezüge zu Heidelberg – mit der Weinheimerin Ingrid Noll, der Nachrichtenlegende Ulrich Wickert und der Autorin Alexa Hennig von Lange, die an der Heidelberger Poetikdozentur 2003 beteiligt war.

Im Ganzen hat man den Eindruck, dass heute weniger einzelne Literaten als vielmehr die großen Debatten und die angespannte Weltlage die Frankfurter Buchmesse prägen. So wurde der Gemeinschaftsstand russischer Verlage wegen der Nähe der Organisatoren zum Putin-Regime ausgeladen. Dagegen dürfen sich ukrainische Verlage auf einem 100-Quadratmeter-Stand mit Bühne präsentieren. Und der Buchmesse-Samstag steht ganz im Zeichen von Autoren aus der umkämpften Ukraine. Der Friedenspreis geht in diesem Jahr an den Ukrainer Serhij Zhadan.

Info: Die 74. Frankfurter Buchmesse ist von Mittwoch, 19. Oktober, bis Sonntag, 23. Oktober, täglich von 9 bis 18.30 Uhr, Sonntag bis 17.30 Uhr, geöffnet. Privatbesucher können Freitag, Samstag und Sonntag in die Hallen. Tickets für 25 Euro, ermäßigt 15 Euro. Weitere Infos unter www.buchmesse.de 


Gastland Spanien

Als Spanien im 16. Jahrhundert eine Weltmacht war, sprach man von einem Reich, "in dem die Sonne nie untergeht". Heute wird Spanisch von mehr als 500 Millionen Menschen gesprochen. Auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert das Gastland unter dem Motto "Sprühende Kreativität" sein reiches literarisches und kulturelles Leben. Die Buchausstellung "Books on Spain" wird im Ehrengast-Pavillon gezeigt. Die Neuerscheinungsliste zählt 255 Titel in deutscher Sprache – nachfolgend eine Auswahl.

Bernardo Atxaga: "Obabakoak oder Das Gänsespiel" (Union): Das Dorf Obaba in den baskischen Bergen. Hier leben verwirrte Herzen, tote Buchstaben und starrköpfige Hühner. Der Autor zaubert ein sinnliches Labyrinth, erzählt fantastisch Reales, sucht nach Geschichten ohne Ende. Mit diesem Buch erobert Atxaga dem Baskischen einen Platz in der Weltliteratur.






Milena Busquets: "Meine verlorene Freundin" (Suhrkamp): Sie ist Autorin und alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Und obwohl ihre Beziehungen meist scheitern, fühlt sich das Leben behaglich an: Barcelona, der Sommer am Meer. Bis eine Erinnerung sie überfällt – an Gema, die Kindheitsfreundin, die fünfzehnjährig unrettbar an Krebs erkrankte.





 

Almudena Grandes: "Die drei Hochzeiten von Manolita" (Hanser): Manolitas Vorsatz ist es, "nie den Fehler zu begehen, einen schönen Mann zu heiraten". Sie ist bekannt als Señorita "Zählt-nicht-auf-mich". Doch als ihre Eltern nach Francos Machtergreifung im Gefängnis landen, muss sie Verantwortung für die Familie übernehmen.






Antonio Muñoz Molina: "Tage ohne Cecilia" (Penguin): Die Wohnung einrichten, den Hund ausführen: Voller Vorfreude erwartet ein Mann die Ankunft seiner Frau in Lissabon. Während Cecilia, eine Forscherin, ihr Projekt vorantreibt, organisiert er den Umzug. Das Paar lässt ein Leben in New York hinter sich, das durch den 11. September 2001 erschüttert wurde.