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Diese Bücher empfehlen die RNZ-Redaktionen

Die Welt der Bücher ist und bleibt vielfältig. Hier ein paar Lesetipps.

13.10.2022 UPDATE: 16.10.2022 06:00 Uhr 9 Minuten, 24 Sekunden
Es ist schwer den Überblick zu behalten. Foto: dpa​
Die dunkle Seite des Imperiums

"Dark Rome" taucht in das geheime Leben der Römer ein

SACHBUCH Kolosseum, Cäsar, Gladiatoren – das sind wohl die ersten Dinge, die einem beim Gedanken an das "alte Rom" in den Sinn kommen. Und genau darum macht Michael Sommer in seinem Buch "Dark Rome. Das geheime Leben der Römer" (C.H.Beck, 23 Euro) einen großen Bogen. Stattdessen lässt er den Leser auf 246 Seiten in die zutiefst menschlichen Niederungen des einstigen Imperiums eintauchen.

Die Bandbreite ist groß: Sie reicht von Kaisern und Kurtisanen über Giftmischerinnen, Drogendealer und Spione bis zu schwarzer Magie und organisierter Kriminalität – verteilt auf insgesamt zehn Kapitel. Obwohl sich Sommer den dunklen Seiten Roms widmet, geht der Oldenburger Althistoriker selbst äußerst gewissenhaft zu Werke. "Dark Rome" ist keine Aneinanderreihung kolportierter Skandalgeschichten, sondern ein fundiertes Sachbuch, bei dem das Lesevergnügen trotz Faktenfülle nicht zu kurz kommt. Auch schön: Jedes Kapitel ist in abgeschlossene, kleinere Abschnitte unterteilt, so dass man bei der Lektüre auch nach Belieben im Buch hin und herspringen kann.

Die "alten Römer", das waren echte Menschen, die ebenso erhebliche kriminelle Energie entwickelten wie sie Opfer ihrer Lebensverhältnisse wurden und sich den Mitteln ihrer Zeit bedienten – um etwa politisch voranzukommen, sich zu vergnügen oder den sozialen Aufstieg zu schaffen. Es waren Männer und Frauen, die hofften, mittels Fluchtäfelchen ihren Träumen ein Stückchen näher zu kommen und sich von Dealern mit bewusstseinsverändernden Substanzen versorgen ließen – darunter auch auch der Philosophenkaiser Marc Aurel. Bemerkenswert ist im Buch auch immer wieder der Blick auf Frauen der Zeit – zur Sittenstrenge angehaltene Matronen genauso wie Sklavinnen – die bislang oftmals nicht nur wegen einer eher dünnen Quellenlage wenig berücksichtigt wurden.

Wer Christian Pantles "Der dreißigjährige Krieg" oder die Bücher von Bruno Preisendörfer ("Als Deutschland noch nicht Deutschland war. Reise in die Goethezeit.") gerne gelesen hat, wird auch Gefallen an "Dark Rome" finden. (csw)

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Von Krieg, Liebe und Verrat

Ein frühes Werk Joël Dickers gibt es jetzt auf Deutsch

ROMAN Sechs junge Franzosen schließen sich im Zweiten Weltkrieg einer geheimen Spionageeinheit an – darunter der junge Paul-Emile, der für diesen Schritt seinen Vater verlässt, ohne ihm sagen zu können, warum. Die Einheit wird ihm Ersatzfamilie. Er findet dort Freundschaft, Geborgenheit und sogar Liebe, gleichwohl kann er seinen Vater nicht vergessen. 2012 wurde Joël Dicker mit seinem Roman "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" bekannt und hat seitdem vier weitere Bestseller verfasst. In diesem Jahr erschien mit "Die letzten Tage unserer Väter" ein frühes Werk des 37-jährigen Schweizers auf Deutsch (Piper, 416 Seiten, 25 Euro). Sprachlich und stilistisch ist der Roman weniger ausgereift als spätere Werke. Die Geschichte um diese jungen Menschen in Zeiten des Krieges, ihre Zerrissenheit und ihre Verzweiflung ist umso packender – bis jetzt ist es Joël Dickers beste. (shy)


Weiblich, begabt, Arbeiterkind

Das schwierige Frauenleben der Tove Ditlevsen in einer Trilogie

AUTOBIOGRAFISCHER ROMAN Jahrzehnte vor Annie Ernaux schrieb die Dänin Tove Ditlevsen über ihr Leben als Frau und das Milieu ihrer Herkunft – die Arbeiterklasse. Die "Kopenhagen-Trilogie" (Aufbau Verlag) umfasst drei schmale autofiktionale Bände einer monumentalen Schriftstellerin, die ein halbes Jahrhundert nach dem Original nun auch komplett auf Deutsch zu lesen sind. In "Kindheit", "Jugend" und "Abhängigkeit" (je 18 Euro) entfaltet sich auf 450 Seiten – feinsinnig und brutal zugleich – das von Widerständen geprägte Leben der 1917 geborenen Literatin: vom begabten Arbeiterkind, dem die höhere Schulbildung versagt bleibt, über vier gescheiterte Ehen hin zur Drogensucht. Die Erinnerungen gehen unter die Haut, ohne ins Sentimentale abzugleiten. Ditlevsens steiniger Weg endete 1976 im Suizid. Den Weg in die Herzen der Leserinnen hat diese außergewöhnliche Frau gefunden. (teu)


Porträts unserer Erde

BILDBAND Wenn sich Klimaschützer mal wieder irgendwo festkleben und den Hass der Autofahrer auf sich ziehen, dann gerät leicht aus dem Blick, warum die "Rebellen" das tun. Weil sie unseren Planeten in Gefahr sehen. Auf ästhetisch viel ansprechendere Art hat der Fotograf Michael Martin die gleiche Intention. Er zeigt in seinem Bildband "Terra" (Knesebeck, 448 Seiten mit 500 farb. Abb., 75 Euro) die Schönheit unseres Planeten – begleitet von profunden Texten zur Erdgeschichte von ihren Anfängen bis heute. Vom Pazifischen Feuerring über die Anden und den Himalaja bis ins zerklüftete Rift Valley. Martin porträtiert Eiswüsten und Sandwüsten, war unterwegs in Sibirien und im Regenwald. Atemberaubende Aufnahmen von spektakulären Naturphänomenen und Naturlandschaften faszinieren ebenso wie einfühlsame Fotografien der dort heimischen Menschen. Das Bild links zeigt eine Frau am indischen Fluss Ganges. (lex)


DURCHGEBLÄTTERT

Internet und Telefon auf einmal? In den 90er-Jahren fast undenkbar!

SACHBUCH Was haben wir in den letzten 30 Jahren für eine Transformation hinter uns, über die man sich immer so leidenschaftlich beschwert. Ein Blick in die digitale Steinzeit, die uns Adrian Lobe mit "Mach das Internet aus, ich muss telefonieren" (Verlag C.H.Beck, 12,95 Euro) ermöglicht, holt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Bissig erinnert Lobe auf 192 Seiten: an den Hype um die Telekom-Aktie, die Motorola-Urlaubserlebnisse oder die Anfänge des Internets. Oder wie der Autor es ausdrücken würde: ein Smartphone, das uns mehr abverlangt als das Tamagotchi. "Es will ständig gefüttert werden. Und stirbt auch nicht so schnell." bma

Wenn die Midlife Crisis mit Wucht anklopft

SATIRE Was ist besser als Sex und Ruhm? Der Katalane Quim Monzó gibt in seinem Buch "Benzin" (FVA, 256 Seiten, 24 Euro) seine ganz eigene Antwort, die hier aber nicht verraten werden soll. Der etwas überkomplexe Plot stellt jedenfalls – anders als dies der Klappentext andeutet – nicht nur die Kunstszene bloß, sondern auch die Irrungen und Wirrungen eines 50-Jährigen, der eines Neujahrsmorgens erkennt: dieses Leben ist es nicht. Aber wäre es ein anderes gewesen? Rätsel des Jahres! we

Wo exzentrische Philosophen im Kochtopf landen

SACHBUCH Schon durch ihre knallige Comic-Optik entwickeln die Bücher des Katapult-Verlags ordentlich Wumms. Mit der Philosophen-Reihe lässt man’s auch inhaltlich krachen. Band 2 (22 Euro) dreht sich auf 256 Seiten um "Die Kaputten und die Kaputtgemachten". Ein alter Linker, der zum Vordenker der Neuen Rechten wird. Eine Anarchistin, die in den Krieg zieht und im Kochtopf landet. Ein Marxist, dem Tausende zuhören wollen, der die Menschen aber für Idioten hält. Sie alle haben ihre Auftritte – von A wie Angela Davis bis Z wie Slavoj Žižek. dasch

Schaffenskrise?: Eine surreale Gesellschaftssatire

ROMAN Was wäre, wenn die schier ungebremste Fantasie eines Schriftstellers allein durch seine Niederschrift lebendig würde? Mehr noch. Das Fiktive entwickelt ein Eigenleben und der Autor ist nicht mehr Herr über sein Werk, sondern bangt um die Geister, die er rief. Keine ganz neue Idee im Kern. Dennoch erinnert der Roman "Die Erfindung der Wirklichkeit" (folio, 480 Seiten, 28 Euro) daran, dass sich medial (fast) alles fabrizieren lässt. (eka)


Wissenschaft trifft Küche

Bonnie Garmus: "Eine Frage der Chemie"

Roman Es sind die 60er Jahre. Frauen tragen Hemdblusen, suchen an der Universität einen Ehepartner, um dann die glückliche Hausfrau zu mimen. Nicht so Elizabeth Zott. Die Protagonistin des Debütromans "Eine Frage der Chemie" von Bonnie Garmus (Piper, 22 Euro) hat Pläne und will als Chemikerin Karriere machen. Sie ist intelligent, wortgewandt und steht ihre Frau in einer männerdominierten Welt. Doch ihre Liebe zum Beruf ist ebenso groß, wie zu ihrem Kollegen Calvin Evans. Und ehe sie sich versieht, befindet sie sich widerwillig als Moderatorin einer TV-Kochshow in der typischen Frauenrolle.

Garmus zerpflückt auf 464 Seiten die gesellschaftlichen Gepflogenheiten und Stigmatisierungen spitzfindig bis ins Detail. Und auch wenn die 60er Jahre der Vergangenheit angehören, sind die gedanklichen Schubladen heute in vielen Köpfen noch vorhanden. Ein Buchtipp, auch für Männer. (sake)


Bittersüße Liebesgeschichte

Inge Diederichs "Fliederduft und Klassenfrust"

JUGENDBUCH Lüften wir das Geheimnis sofort: Inge Diederichs ist ein phonetisch sehr ähnlich klingendes Pseudonym, hinter dem sich die Heidelberger Pädagogik-Professorin Ingrid Dietrich verbirgt. Nach zahlreichen Fachpublikationen debütiert sie nun mit einem in Heidelberg spielenden Jugendroman "Fliederduft und Klassenfrust" (Verlag tredition, 224 Seiten, 12,99 Euro), der auf Shakespeares "Romeo und Julia" anspielt, aber zu einem versöhnlichen Ende findet. Zwei Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Milieus sind voneinander fasziniert, es kommt zu einer ungewollten Schwangerschaft, aber am Ende schafft der aus problematischen Verhältnissen stammende junge Vater doch noch seinen Schulabschluss. Während ihres aktiven Berufslebens an der PH hat sich die Autorin intensiv mit "Brennpunktschulen" beschäftigt. Unterschwellig spürt man das bei der Lektüre. (voe)


Ganz nah an die Abgründe

Nino Haratischwilis "Das mangelnde Licht"

ROMAN Es geht mal wieder um Georgien: Auf 825 Seiten blickt Nino Haratischwili – geboren in Georgien, inzwischen lebt sie in Berlin – auf die jüngere Geschichte ihrer alten Heimat. Es geht in die Stadt Tiflis, ganz nah an die Abgründe und oft ganz tief hinein. Die Protagonistinnen sind vier junge Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und dennoch miteinander verbunden sind. Die vier Freundinnen lernen sich in der Schule kennen und wachsen in einem Land auf, das sich unter der Perestroika von einem kommunistisch regierten in ein unabhängiges verwandelt und in dem das Leben seiner Bewohner von Umbruch, Krieg und Gewalt bestimmt wird.

Überhaupt: Der Lesende muss einiges aushalten (können), denn der Vorteil von Haratischwilis dramaturgischem und oft sehr anschaulichem Stil ist manchmal auch ein Nachteil. Ja, der Wälzer ist schnell gelesen. Die Figuren sind gut ausgearbeitet. Aber: Die vielen Adjektive wirken oft wie eine Schicht zu viel. Besonders deutlich zeigt sich das an den klischeehaften Darstellungen der Sexszenen. Nichtsdestotrotz ist "Das mangelnde Licht" ein Pageturner, die Geschichte entfaltet einen Sog – auch wenn sie mehr hätte sein können.

Nämlich eine Auseinandersetzung mit der Geschichte Georgiens, über die politischen Umbrüche, die das kleine Land nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion durchgemacht hat. Das Land war nach Aufständen und deren gewaltsamer Niederschlagung innerlich zerrissen. Auch die vier Mädchen in "Das mangelnde Licht" (Frankfurter Verlagsgesellschaft, 34 Euro) bleiben von diesen Umbrüchen nicht verschont. (stk)


Die Büro-Atmosphäre stimmt

BILDBAND Weißer Schreibtisch, Tasse Kaffee, ein Foto der Liebsten und eine Grünpflanze. Das ist wohl für viele Arbeitnehmer das höchste der Gefühle, wenn es um die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes geht. Dass man die Hälfte seines Lebens auch anders verbringen kann, das zeigt der hervorragende Bildband "The Office of Good Intentions. Human(s) Work" (Verlag Taschen, 592 Seiten, 50 Euro). Zum Beispiel mit einem solch inspirierenden Ausblick wie ihn die Mitarbeiterin des NCAR Mesa Laboratory in Boulder, Colorado jeden Tag genießt. Kein Wunder, an dem Forschungsinstitut beschäftigt man sich ja auch mit der Atmosphärenwissenschaft. Die Architekten Florian Idenburg und LeeAnn Suen und der Fotograf Iwan Baan sind der Frage nachgegangen, wie sich die Arbeitswelt verändert hat, wie Bürorealität heute aussieht und welche Ideen es für ihre Alternativen von morgen gibt. Eine inspirierende Lektüre – aber nicht während der Arbeitszeit schmökern! (lex)


"Jetzt bin ich noch viel netter"
"Poesiealbum 186" feiert denHumoristen Hansgeorg Stengel

LYRIK "Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr", ätzt der Volksmund über Menschen, die nicht gerade zur Leisetreterei neigen. Das tat auch Hansgeorg Stengel (1922-2003) nicht, der als Verseschmied ein Meister humorvoller Reimereien war und mit seiner eigenen Eitelkeit kokettierte: "Mein Selbstbewusstsein könnte größer sein" lautet die letzte Zeile seines Gedichts "Was mich betrifft", in dem er behauptet, "Als schönstes Baby zwischen Zeitz und Plauen" geboren worden zu sein: "Die Zeit verstrich. Doch weder Wind noch Wetter / verdarben mir Figur, Profil und Haar. / Im Gegenteil: Jetzt bin ich noch viel netter, als ich vor himundhumzig Jahren war."

Der Kabarett-Autor und Feuilletonist arbeitete für die "Distel" in Ost-Berlin, veröffentlichte zig Gedichtbände und schrieb vor allem für den "Eulenspiegel". Im Westen ist er nur wenig bekannt, aber das könnte sich nun mit der erweiterten Neuedition des "Poesiealbums 186 – Hansgeorg Stengel" aus dem Märkischen Verlag Wilhelmshorst (32 Seiten, 5 Euro) ändern. Der Kulturjournalist Hans-Dieter Schütt hat es aus Anlass des 100. Geburtstags des Poeten für die traditionsreiche Lyrik-Reihe zusammengestellt. Sie wurde 1967 gegründet, 1990 aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt und 2007 von Klaus-P. Anders in Wilhelmshorst wiederbelebt. Zum Glück! Alle zwei Monate erscheinen die schmalen Hefte, die Giganten wie Goethe, Heine oder die Heidelbergerin Hilde Domin genauso mit einer exemplarischen Gedicht-Auswahl würdigen wie internationale Koryphäen, talentierte Außenseiter oder vielversprechende Newcomer. Die Mischung macht’s.

Die Wiederentdeckung Stengels wirkt wie eine Booster-Impfung gegen die aktuelle Krisen-Pandemie. Lesend lacht man sich scheckig – und gesund. Stengel parodierte Louis Fürnbergs SED-Hymne "Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!", zeigte sich zwischen seinen Verszeilen widerständig und riet seinen zur Weitschweifigkeit neigenden Kollegen "Eine Nummer kleiner" zu bleiben: "Formuliere besonnen, / spar-, wirk- und einfühlsam. / Schreib keine Epitonnen. / Höchstens ein Epigramm." Er selbst hielt sich daran – als Könner der Kürze. (voe)


Wie ein riesiges Puzzle

J.K. Rowlings neuer Roman"Das tiefschwarze Herz"

KRIMI Ich muss ein Geständnis ablegen: Obwohl ich ein Vielleser bin, habe ich von der erfolgreichsten Buchreihe der Welt noch nicht eine Zeile gelesen: "Harry Potter" ist komplett an mir vorübergegangen. Dafür verschlingen meine Kinder gerade die Abenteuer des Zauberlehrlings. Dass seine geistige Mutter J.K. Rowling dennoch – unter ihrem Pseudonym Robert Galbraith – zu meinen absoluten Lieblingsautoren zählt, hat aber zwei andere Gründe, und die heißen Cormoran Strike und Robin Ellacott. Keine Krimireihe hat mich die letzten Jahre so gefesselt wie die Geschichten um den vom Leben gezeichneten Detektiv und Kriegsveteran Strike – leidenschaftlicher Biertrinker und Kettenraucher – und seine kongeniale Partnerin, die sich dank ihrer kriminalistischen Fähigkeiten von der Aushilfskraft zur Büropartnerin hochgearbeitet hat.

Neben den beiden charismatischen Hauptfiguren, deren unerfüllte Liebe zueinander sich durch alle sechs Bände zieht, bestechen die Strike-Romane durch einen kaum zu überschaubaren Mikrokosmos an Figuren rund um den jeweiligen Fall. Wie bei einem riesigen Puzzle nehmen die Ermittler jedes Teilchen genau unter die Lupe, und am Ende birgt die kleinste Randnotiz den entscheidenden Hinweis. "Das tiefschwarze Herz" (Blanvalet, 26 Euro) ist ein weiterer Beleg für Rowlings hohe Kunst, Spannung mit Tiefgang zu verbinden – auch wenn sie die Ausdauer ihrer Leser diesmal gewaltig auf die Probe stellt. 118 Seiten dauert es bis zum ersten Mord, insgesamt sind es 1350 Seiten. Aber 1350 wahnsinnig starke Seiten!

Robin ist untröstlich: Vor einigen Tagen wurde sie von Edie Ledwell um Hilfe gebeten. Die Mitentwicklerin einer Zeichentrickserie fühlte sich von einem Fan im Internet terrorisiert. Kurz darauf wird die junge Frau ermordet, ausgerechnet auf dem Highgate Cemetery, wo die von ihr erdachte Kultserie spielt. Die Detektive versuchen, die wahre Identität des Fans herauszufinden, der unter dem Pseudonym Anomie im Internet sein Unwesen treibt.

Doch Anomie ist wahrlich nicht der Einzige, der dort im Schutz der Anonymität auf menschenverachtende Weise hetzt. In den toxischen Winkeln des Netzes treffen frustrierte junge Männer auf psychisch labile Frauen, gewaltbereite Frauenhasser auf überzeugte Neonazis. Und mittendrin die Fans der Trickfilmreihe, deren bedingungslose Liebe zu den Figuren und ihren Erschaffern schnell in mörderischen Hass umschlagen kann: Ein falsches Wort genügt. Mit Internet-Hatern kennt sich die Autorin bekanntlich aus: Offensichtlich hat Rowling ihre unerquicklichen Erfahrungen mit radikalen Trans-Aktivisten auf diese Weise verarbeitet.

Seitenweise verfolgen die Detektive Chats, sie schleusen sich selbst in Foren ein, enttarnen User um User und kommen der Wahrheit so Schritt für Schritt näher. Zum Kreis der Verdächtigen zählen aber nicht nur fehlgeleitete Fans, sondern alle, die von Ledwells Tod profitieren – und das sind einige. (rüb)