Geschichte einer Tauchfahrt zum tiefsten Punkt der Meere
Als sich Jacques Piccard und Don Walsh am 23. Januar 1960 in den U-Boot-Schacht der "Trieste" zwängen, wissen sie nicht, ob sie das Abenteuer überleben.

Von Christian Satorius
Guam. Die Tragödie um das Tauchboot "Titan" zeigt einmal mehr, wie gefährlich und menschenfeindlich die Tiefsee sein kann. Auf dem Weg zum Wrack des weltberühmten Luxusdampfers "Titanic", das in einer Tiefe von 3803 Metern im eiskalten Wasser des Nordatlantiks liegt, implodiert die "Titan" am 18. Juni 2023. Alle fünf Menschen an Bord sind sofort tot. Das hätte auch der "Trieste" passieren können, die sich Anfang des Jahres 1960 zum ersten Mal auf den Weg zum tiefsten Punkt der Weltmeere macht, den Marianengaben.
Es ist der 23. Januar 1960 um die Mittagsstunde: Der Schweizer Jacques Piccard und der US-Amerikaner Don Walsh sitzen in einer zwei Meter großen Metallkugel, atemberaubende neun Kilometer unterhalb der Wasseroberfläche, da hören sie dieses Geräusch. Fast haben sie das Ziel ihrer Mission erreicht: als erste Menschen auf den Grund des Marianengrabens herab zu tauchen, den tiefsten Punkt der Weltmeere – und nun das.
Marine-Offizier Don Walsh erinnert sich später im Time-Magazine: "Es war ein lautes dumpfes Krachen, die ganze Tauchkugel wurde durchgeschüttelt, wie bei einem Erdbeben." "Was ist das?", fragen sich die Männer damals, denn Wasser scheint nicht in die Tauchkugel einzudringen. Es tropft zwar von der Decke, aber das ist nur Kondenswasser, das sich an dem kalten Metall niederschlägt. In der Tiefsee ist es bitterkalt, 2,8 Grad Celsius Wassertemperatur zeigen die Instrumente an, im Inneren der Kugel ist es nur unwesentlich wärmer: 7,2 Grad Celsius.
Ein Leck hatten die beiden in ihrem als "Bathyscaph" (von griechisch "bathys" für "tief" und "skaphos" für "Schiff") bezeichneten Unterwassergefährt mit dem Namen "Trieste" schon vorher ausgemacht: In einer Tiefe von etwa 3000 Metern beginnt Wasser entlang der Kabelkanäle einzudringen. Jacques Piccard bleibt aber ruhig, denn er hat die "Trieste" zusammen mit seinem Vater Auguste konstruiert und kennt sie in- und auswendig. Er weiß, dass der steigende Druck in noch größeren Tiefen die Dichtungen stärker zusammendrückt und das Leck sich so von selbst wieder verschließt. Er behält recht, 1500 Meter tiefer im Schlund des Marianengrabens hört das Tropfen auf.
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Aber jetzt dieses Geräusch. Die Männer überprüfen die Instrumente. Für den Notfall sind sie gut gerüstet, so glauben sie zumindest. Ihre Tauchkugel hat zwölf Zentimeter dicke Wände aus im Vakuum vergossenem Chrom-Nickel-Molybdän-Stahl, im Bereich der Luken sogar noch verstärkt auf 18 Zentimeter. Diese enormen Wandstärken sind notwendig, muss die Tauchkugel auf dem Grund des Marianengrabens doch dem Wasserdruck von über einer Tonne pro Quadratzentimeter standhalten.
Auch ein totaler Stromausfall ist bedacht: Sollte in der ewigen Finsternis der Tiefsee die Elektrizität komplett versagen, so beginnt die "Trieste" konstruktionsbedingt automatisch aufzusteigen. Die eigentliche Tiefseetauchkugel, in der sich die Männer befinden, hängt nämlich an einer weitaus größeren Konstruktion, einer Art tonnenförmigem Auftriebstank, der es im wahrsten Sinne des Wortes in sich hat. Aufsteigen kann die "Trieste", indem sie die 16 Tonnen Eisenschrot, die als Ballast dienen, abwirft, ganz so wie ein Fesselballon, nur eben unter Wasser. Dieser Eisenballast wird mit extrem starken Elektromagneten an seinem Platz gehalten. Sollte der Strom also ausfallen, lassen die Magnete ihre Ladung automatisch los und die "Trieste" steigt zur Wasseroberfläche auf.
Um schneller abtauchen zu können, muss übrigens Benzin aus den Tanks abgelassen werden. Da es leichter als Seewasser ist und schwereres Ozeanwasser in die Tanks nachströmt, beschleunigt sich so der Tauchvorgang. Auch ein Unterwassertelefon ist vorhanden, Notfallmorsecodes sind vereinbart.
Zwar haben die Tiefseetauchpioniere großes Vertrauen in die Berechnungen und Stabilität der verwendeten Materialien, dennoch bleibt die Frage: Woher kommt nur dieses Geräusch? Eine Kollision mit der Felswand? Die Männer warten mit Sorge ab, was wohl als nächstes passieren mag. Dennoch bleiben sie ruhig und besonnen. Nichts passiert – und so setzen sie ihre Höllenfahrt auf den Grund des Marianengrabens fort.
"Um 13.10 Uhr sanken wir sanft zum Meeresboden in 10.916 Metern Tiefe", erinnert sich Walsh später. Sie haben es geschafft: Noch nie zuvor ist ein Mensch so tief in die Meere hinabgetaucht. Jacques Piccard muss sich später gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen, ihn interessiere lediglich der schnöde Rekord. Immerhin hat er mit seinem Vater und Ballonhöhenweltrekordler Auguste Piccard schon 1953 einen Tiefseerekord mit der "Trieste" von damals beeindruckenden 3150 Metern aufgestellt. Über seine Motivation sagt Jacques Piccard damals selbst: "Die zentrale Frage ist doch: Gibt es so weit unten noch Leben?"
Um dieser Frage nachgehen zu können, haben Piccard und Walsh 30 Minuten Aufenthalt am Grund des Marianengrabens eingeplant. Das Problem: Eine von der "Trieste" aufgewirbelte Sandwolke behindert die Sicht und muss sich erst wieder legen. Nach zehn Minuten wagt Don Walsh einen ersten Blick hinaus und glaubt zuerst nicht, was er da im Scheinwerferlicht sieht: Die äußere Plexiglasscheibe ist gesprungen und von Rissen durchzogen. Das also hat in 9000 Metern Tiefe dieses markerschütternde Geräusch verursacht. Zwar gibt es eine zweite Sicherheitsscheibe, dennoch entscheiden sich die Männer für einen frühzeitigen Aufstieg – vorsichtshalber.
Piccard erreicht trotzdem noch sein Ziel: Er kann eine 2,5 Zentimeter lange Garnele und einen 30 Zentimeter langen Plattfisch erkennen. Nach zwanzig Minuten Aufenthalt auf dem Meeresboden steigt die "Trieste" wieder zur Wasseroberfläche auf, wo sie nach drei Stunden und 27 Minuten auftaucht. Auf der Brücke des Begleitschiffs Lewis heißt man sie willkommen: "Bonjour Trieste!" Piccard und Walsh werden wie Helden gefeiert.
Ein solches Unternehmen ist nicht nur gefährlich, sondern auch teuer. Damals, während des Kalten Krieges, sehen viele Zeitgenossen die Gelder prestigeträchtiger in den Wettlauf um den Weltraum beziehungsweise den ersten Menschen auf dem Mond investiert. Und auch heute stört man sich immer noch an den Kosten der bemannten Tiefseeforschung, zumal Tauchroboter um einiges günstiger sind. Die ROVs genannten ferngesteuerten Roboter (Remotely Operated Vehicles) können sich tagelang unter Wasser aufhalten. Dennoch sind sie in der Lage, präzise Messungen durchzuführen, Proben zu nehmen und Daten zu sammeln.
Aber auch die Einsätze der ROVs sind nicht ganz billig, da sie von einem Mutterschiff aus mittels einer Versorgungsleitung gesteuert werden. So gehört die Zukunft der Tiefseeforschung auch den autonom arbeitenden AUVs (Autonomous Underwater Vehicles), die nach ihrer Programmierung alleine in See stechen und später selbstständig wieder zurückkehren können. Nur eines können auch die AUVs nicht: Helden sein, so wie Jacques Piccard und Don Walsh.
TIEFENREKORDE
534 Meter: Kaiserpinguin
1280 Meter: Lederschildkröte
2800 Meter: Tintenfisch
3193 Meter: Pottwal
3803 Meter: Titanic: Das damals größte Schiff der Welt sank auf seiner Jungfernfahrt am 15. April 1912 im Nordatlantik.
7000 Meter: Kronenqualle
10.916 Meter: Das U-Boot "Trieste" sinkt am 23. Januar 1960 mit dem Schweizer Jacques Piccard und dem Amerikaner Don Walsh auf den Grund des Marianengrabens. Die Stelle nennt sich heute "Trieste-Tief".
10.984 Meter: Das Witjas-Tief 1 – benannt nach dem sowjetischen Forschungsschiff Witjas – könnte die tiefste bekannte Stelle der Weltmeere sein. Die Messungen, die 1957 ursprünglich 11.034 Meter ergaben, sind jedoch umstritten.