Immer schön schlagfertig und spitzzüngig
"Die Zeit fährt Auto" mit Songs und Texten aus der Kneipe von Kurt Tucholsky bis Udo Lindenberg im Heidelberger Zwinger 1.

Von Alexandra Beilharz
Heidelberg. Eine etwas düstere Kneipe mit grauem Holzmobiliar: Männer und Frauen in schwarzen Kostümen lungern, schon bevor das eigentliche Spiel beginnt, mit Bierflaschen an Tischen und Tresen herum. Im Hintergrund sind Schlagzeug, Klavier und Keyboard aufgebaut, eine Frau spielt auf einem Akkordeon so vor sich hin.
Dann der erste Song: "Wohin ich immer reise, ich fahre nach Nirgendland …". Diese Verse aus Mascha Kalékos "Kein Kinderlied" (1968) geben den Ton vor: Heimatlosigkeit und Sorgen. Gefühle, die sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mit Wirtschaftskrise und Kriegsgefahr verbanden.
Intendant Holger Schultze hat diese Revue im Zwinger 1 des Heidelberger Theaters in Form eines virtuosen Liederabends inszeniert, bei dem drei Männer und zwei Frauen Texte und Songs vortragen. Eine wichtige Rolle kommt dabei – wie im titelgebenden Gedicht "Die Zeit fährt Auto" von Erich Kästner – der Geschwindigkeit zu und dem damit verbundenen Gefühl, die Zeitläufte nicht aufhalten zu können. Ein zügiges Tempo bestimmt auch den Spielablauf: Die Vorstellung dauert eineinhalb kurzweilige Stunden ohne Pause.
Die meisten Texte stammen von Kurt Tucholsky, von Kästner und Brecht. Bekannte und alte Lieder wie "Surabaya Johnny" werden geschickt mit Neuem wie "Unscharf mit Katze" von Sven Regener verwoben. Kästners "Sachliche Romanze" ("Als sie einander acht Jahre kannten") wird zur Musik von Udo Lindenberg vorgetragen.
Zum stets gegenwärtigen Zwischenmenschlichen kommen Themen wie Wohnungsnot, Kriegsgefahr, Inflation und Wirtschaftskrise. Doch die schweren Themen werden humorvoll und im wahrsten Sinne des Wortes leichtfüßig vorgebracht: Beeindruckend, wie das Ensemble auch schwierige Tanzeinlagen mit Charleston- und Tangoschritten meistert (Choreografie: Sabrina Stein).
Musikalisch wird, begleitet von Tobias Nessel (Schlagzeug) und Johannes Zimmermann (Klavier und Musikalische Leitung), ebenfalls eine große Bandbreite geboten: Vom klassischen Gesang über Chanson bis zu Rock- und Punkrhythmen oder dem Spiel mit Tonhöhen, wenn die Darsteller in unterschiedliche Bierflaschen pusten.
Ein anderes Mal zieht einer der Schauspieler eine knallgrüne Blockflöte hervor und begleitet mit einer dünnen und traurigen Weise die ebenso traurigen Verse "Und einsam bist du sehr alleine" aus Kästners "Kleinem Solo".
Galgenhumor und Sprachwitz kommen jedenfalls nicht zu kurz, wenn sich das Quintett aus drei Schauspielern und zwei Schauspielerinnen die Bälle zuspielt. Eva Maria Nikolaus (als Gast) schöpft sängerisch eine große Bandbreite von der tragisch-naiven Matrosen-Jenny über opernhafte Koloraturen bis zum Rockigen aus. Henriette Blumenau besticht als Einheizerin bei den Tanzeinlagen.
Sie und Alexander Maria Schmidt, auch er ein Gast, führen schlagfertig und spitzzüngig die ganze Dialog-Absurdität von Tucholskys "Ein Ehepaar erzählt einen Witz" vor. André Kuntze gibt den jungen Mann zwischen Resignation und Verschlagenheit, während Andreas Seifert den Typus des versoffenen Alten verkörpert, der trotz allem den Durchblick und die da oben genau durchschaut hat.
Die ausgewählten Songs und Texte kommentieren aber nicht nur die Politik und Gesellschaft der damaligen, sondern eben auch der jetzigen Zeit. Diese Bezüge sind gewollt. Tucholskys Kritik an Militär und Gesellschaft, der angstvolle Blick in eine ungewisse Zukunft sind wieder sehr aktuell. Besonders ergreifend im Angesicht des heutigen Kriegsgeschehens ist da natürlich eines der letzten Couplets, der Vortrag von Tucholskys "Der Graben" (Musik von Hanns Eisler): "Denkt an Todesröcheln und Gestöhne / Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne".
Bühnenbild (Peer Rudolph) und Kostüme (Erika Landertinger) harmonieren ebenfalls bestens bei diesem unterhaltsamen und gleichwohl nachdenklich stimmenden Abend. Schultzes Inszenierung gibt den düsteren Themen dennoch eine gewisse Leichtigkeit und vergisst darüber nie den künstlerischen Anspruch. So ist das Publikum zu Recht begeistert. Die nächsten Vorstellungen sind schon fast ausverkauft, ab Ende Dezember gibt es wieder Karten.
Info: "Die Zeit fährt Auto" im Zwinger 1 des Heidelberger Theaters. Tel.: 06221/58-20000 oder tickets@theater.heidelberg.de