Celeste singt schmerzbefreit
Für Soulstar Celeste ist die Zeit des Verschwinden-Wollens zu Ende. Außerdem reingehört haben wir auch bei Mavis Staples, Betterov, Jörg Holdinghausen und Steiner & Madlaina.

Von Steffen Rüth
Es sah ganz nach einer Weltkarriere aus – wie damals, bei Adele oder Amy Winehouse. 2020 gewann Celeste einen Brit-Award als "Rising Star", mit ihrem 2021 veröffentlichten Debütalbum "Not Your Muse" hüpfte die Sängerin und Songschreiberin auf Platz eins der Charts und ihre kraftvolle Soulpop-Single "Stop This Flame" sowie das jazzig-dramatische "Shame" entwickelten sich zu Hits mit Stehvermögen. Doch das alles ist vier, beinahe fünf Jahre her.
Es folgte eine Phase der kreativen Hemmnis, die pandemische Karrierebremse, ein Beziehungsende und nervenraubende Meinungsverschiedenheiten mit der Plattenfirma (Kurzform: Das Label wollte Hits, Celeste Kunst). Dem Ausnahmetalent schien das Momentum abhandengekommen zu sein, während es bei Kolleginnen wie Raye oder Olivia Dean um einiges besser lief. Jetzt aber kommt es endlich, das zweite Album von Celeste Epiphany Waite (geboren in Kalifornien, Mutter Britin, Vater Jamaikaner). Und tatsächlich ist es exquisit geworden, aber auf eine tastende, in zarte Melancholie getauchte Weise. "Woman Of Faces" ist keines dieser Pop-Alben, das einen durchschüttelt, bis der Kopf brummt. Es nähert sich lieber subtil an und wirkt dabei wie das poetische Stolpern in eine ungewisse, aber neugierig stimmende Zukunft.
"Ich habe lange gebraucht, um den Schmerz in mir zu akzeptieren, mit ihm zu leben und die Anteile, die mich besonders quälen, zu ersticken", erzählt die 31-Jährige beim Videocall. Sie kommt gerade vom Yoga. Zeit, aus den Sportklamotten zu schlüpfen, hatte Celeste nicht, trotzdem bleibt die Kamera an. Von Eitelkeit keine Spur, und das bei einer Künstlerin, die durchaus den flamboyanten Auftritt hinzulegen weiß, so wie im Sommer in Glastonbury.
"Das Schreiben", erzählt sie, "hat mir immer mehr geholfen, ein erwachsener Mensch zu werden." Im Opener "On With The Show" geht Celeste auf Konfrontationskurs mit ihren Ängsten und ihrer Trauer – geschrieben hat sie das Lied nach der Trennung, am Tiefpunkt. "Ich wusste nicht einmal, ob ich überhaupt noch leben will." Im tiefgründigen "Keep Smiling" gelingt es ihr dann, ein Lächeln wiederzufinden – "selbst wenn es noch ein gequältes ist ..."
"Could Be Machine" rechnet anschließend harsch mit dem Alltag unterm Brennglas der sozialen Medien ab. "Ich brauche nicht noch mehr Hetze, Konkurrenzkampf und ätzendes Verhalten", betont Celeste. "Ich möchte mein Leben mit so viel Empathie, Hingabe und Liebe füllen wie nur möglich." Im Titelsong "Woman Of Faces" und dem finalen "This Is Who I Am" legt sie schließlich sogar noch ein paar Drama-Schippen drauf, assistiert vom London Contemporary Orchestra unter der Leitung von Robert Ames. "Die Wunden verheilen nur langsam", weiß die Künstlerin, "aber ich fühle mich endlich so stark, dass ich wieder zu 100 Prozent Celeste sein will!"
Info: Das Album "Woman Of Faces" ist aktuell erhältlich. 2026 spielt Celeste Konzerte in Köln und Berlin.
Rosalia und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.
Sound der Woche
Mavis Staples
Sad And Beautiful World
Soul Rezensionen dieses Albums starten meist mit einem Hinweis auf das Alter der Sängerin. Eigentlich ungalant bis unverschämt, denn Mavis Staples’ Stimme zeigt auch mit 85 keine Anzeichen von Schwäche. Unter den zehn neuen Titeln finden sich eine ergreifende Interpretation von Tom Waits’ "Chicago"(unterstützt vom unnachahmlichen Buddy Guy), Curtis Mayfields "We Got To Have Peace" und Leonard Cohens zum Niederknien schöne "Anthem". Die Welt von heute ist nicht die, die sich die zuletzt zweifach Grammy-nominierte Staples wünscht. Ihre Sehnsucht nach Harmonie spiegelt sich in der behutsamen Songauswahl – aber auch in der Weise, wie sie sich diese Lieder zu eigen macht. (gol) ●●
Für Fans von: Aretha Franklin
Bester Song: Godspeed
Betterov
Große Kunst
Rock Betterov will hörbar mehr mit dem Nachfolger seines Debütalbums "Olympia". "Große Kunst" soll genau das sein, was der Titel ankündigt: Da sind Streicher, Pathos, wie er in der Oper zu finden ist, und der Drang, die innerdeutsche (Familien-)Geschichte aufzuarbeiten. Musikalisch bleibt der Thüringer im Post Punk von Interpol verwurzelt, textlich macht er sich auf zu neuen, düstereren Ufern – und nimmt dabei in Kauf, sich ein paar Narben einzufangen. (han) ●●
Für Fans von: Drangsal
Bester Song: Papa fuhr immer einen großen Lkwm
Jörg Holdinghausen
Da draußen
Liedermacher Ziemlich oldschool, dieses Liedermacher-Album, das Jörg Holdinghausen da abliefert. Aber, gut, was will das schon heißen in Zeiten, in denen Haftbefehl Reinhard Mey in die Charts befördert. Holdinghausen jedenfalls, sonst als Bassist unter anderem mit Judith Holofernes unterwegs, liefert auf seinem ersten Solo-Werk zarte Lieder, kleine Geschichtchen, vertonte Poesie. Manchmal auch mit größerem Brimborium, am stärksten aber nur zur sanft gezupften Gitarre. (sös) ●●
Für Fans von: Reinhard Mey
Bester Song: Da draußen
Steiner & Madlaina
Nah dran
Indie "Niemand weiß, wie lange ein Augenblick dauert", singen Steiner & Madlaina. Stimmt. Was aber jeder weiß, der nur ein paar Minuten in ihr viertes Studioalbum reinhört, ist, dass es pickepackevoll ist mit denkwürdigen Momenten. Hier schmettert ein Kinderchor im Walzertakt, da sorgen Streicher für Sakralstimmung. Und bevor die kecke Zeile "Bin so glücklich aufgewacht, dass es mir Sorgen macht" angeschnurrt kommt, grooven Bass, E-Gitarre und Handclaps um die Wette. Wegen ihres schieren Talents gelten die beiden Freundinnen ja schon länger als großes uneingelöstes Versprechen der helvetischen Popszene. Ob einer der 14 bittersüßen "Nah dran"-Songs nun den Durchbruch bringt? Die Daumen sind gedrückt! (dasch) ●●●
Für Fans von: Mine
Bester Song: Mama, ich bin ein reicher Mann



