Käufliche Küsse und unrasierte Beine
Ein Gespräch mit der Kunsthistorikerin Alexandra Karentzos über die Ausstellung "Frauenkörper".

Von Ingeborg Salomon
Heidelberg. Was kostet ein Zungenkuss? Diese Frage ist im Rotlichtmilieu möglicherweise sogar verhandelbar, aber zumindest in der Kunst gibt es darauf eine ganz klare Antwort. Die französische Performance-Künstlerin ORLAN – so nennt und schreibt sich Mireille Suzanne Francette Port selbst – gibt als Preis fünf Franc an. Die wirft der Betrachter auf einem Foto-Torso oben in eine durchsichtige Röhre, sodass sie unten in einem Gitter landen – genau im Intimbereich. Das Bild "Le Baiser de l’artiste" ist 1977 nach einer Performance entstanden, jetzt ist es Teil der Ausstellung "Frauenkörper" im Kurpfälzischen Museum Heidelberg (KMH).
ORLAN war eine der ersten, die den weiblichen Körper zum Politikum gemacht haben, etliche andere Künstlerinnen unterstreichen durch ihre Werke ebenfalls die Kampfansage "Your Body is a Battleground". Wie diese Form von Selbstermächtigung entstanden ist und warum sie aus der aktuellen feministischen Kunstdiskussion nicht mehr wegzudenken ist, erklärte jetzt Alexandra Karentzos in einem Ausstellungsgespräch. Die 48-jährige Professorin für Mode und Ästhetik an der Technischen Universität Darmstadt machte ihren Zuhörern eindrucksvoll deutlich, wie weit der Weg von der hingegeben schlummernden Venus des 16. Jahrhunderts bis zu den "History Portraits" von Cindy Sherman war.
Die US-Fotografin bedient sich ikonographischer Muster aus Renaissance und Barock, die sie mit künstlichen Körperprothesen kombiniert. So zeigt sie die Figur der stillende Maria mit einer übergroßen, fast aus dem Gewand fallenden Brust und einer goldenen Lockenpracht, die eher einer Karnevalsperücke gleicht. "Cindy Sherman spielt ebenso wie ORLAN mit den Erwartungen des Publikums und parodiert vor allem den Blick der Männer auf den weiblichen Körper", erläuterte Alexandra Karentzos.
Dass diese Werke provozieren, ist ganz im Sinne der Künstlerinnen. Sie demonstrieren überdeutlich, dass die Frau die alleinige Herrin über ihren Körper ist, und dass die Zeiten passiv hingestreckter Weiblichkeit vor lüsternen Männerblicken vorbei sind. Ob das auch bei den Werken der Fotografin Arvida Byström funktioniert, bezweifelten einige Besucherinnen. Die Schwedin ist ein Star auf Instagram, 211.0000 Follower klicken und liken die Beiträge der Netzkünstlerin. Ihr Foto "Upskirt" zeigt sie in gebeugter Pose auf rosa High Heels, dem Betrachter ist ihr spärlich mit einem Leopardenslip verhüllter Po zugewandt. Das Gesicht verschwindet hinter einem Smartphone, gerade ist nämlich ein Selfie in Arbeit.
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Diese Art weiblicher Selbstdarstellung kommt nicht bei allen Frauen gut an. Vor drei Jahren löste "Upskirt" eine hitzige Debatte über Feminismus und Mainstream aus. Kritikerinnen sprachen Byström eine feministische Position ab, mit derartigen Selfies könne man das Patriarchat nicht bekämpfen. Noch aggressiver bis hin zu Vergewaltigungsdrohungen waren Proteste im Netz, als sich Arvida Byström in einem Adidas-Werbespot demonstrativ mit unrasierten Beinen filmen ließ.
Museumsleiter Dr. Frieder Hepp unterstrich, dass die Ausstellung "Frauenkörper" einen Beitrag zum Gender-Diskurs leisten wolle. Etwa 80 Prozent der Besucher seien Frauen, sie verweilten auch länger vor den Exponaten als Männer. Aber vielleicht holen die Herren in der letzten Ausstellungswoche noch auf.
Info: Die Ausstellung "Frauenkörper" wird noch bis 20. Februar im Kurpfälzischen Museum, Hauptstraße 97, gezeigt. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Am Montag (Valentinstag) ist ebenfalls geöffnet, um 15.30 Uhr gibt es eine Themenführung zu "Venus und Amor" und um 18.30 eine Kurzführung durch die Ausstellung.