Heidelberg

Tugsal Moguls Medizindrama beim Stückemarkt

"Wir haben getan, was wir konnten"  vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg - Expeditionen in die Todeszone

03.05.2021 UPDATE: 04.05.2021 06:00 Uhr 1 Minute, 54 Sekunden
Beeindruckend selbst am Computer-Bildschirm: Per Livestream überzeugte das Hamburger Ensemble mit einer medizinisch-theatralen Recherche über Leben und Tod im deutschen Gesundheitswesen. Foto: Arno Declair

Von Heribert Vogt

Heidelberg. Operation gelungen, Patient tot. Dieser Befund wird im Hinblick auf die deutschen Krankenhäuser auf die Bühne gebracht. Demnach ist die Humanität in den Kliniken der Ökonomisierung und der Effizienzsteigerung infolge der Agenda 2010 zum Opfer gefallen. Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg gastierte mit der Online-Aufführung von Tugsal Moguls fesselndem Medizindrama "Wir haben getan, was wir konnten" beim Heidelberger Stückemarkt. Geboten wurden spannende Expeditionen in die Todeszone der Krankenhäuser, wo der Kampf ums Überleben tobt.

Das ist ein Bereich, der während der Corona-Pandemie ohnehin ständig im Blickpunkt steht. Dennoch gelang es der Live-Aufführung in der Inszenierung Moguls, einen wahren Bühnen-Thriller hinzulegen. Das geschah einmal durch die gekonnte Darstellung des inhumanen Maschinentaktes in den Kliniken. Zum anderen glückte auf frappierende Weise ein Kunstgriff: Der extreme Dauerstress auf den Krankenstationen wurde in harter Montage kontrastiert mit Barockmusik – das Schreckliche und das Schöne in direkter Kollision.

Ein Zusammenstoß von Welten, der ganz tief reingeht und Fragen aufwirft. Nach dem hektischen Gebrüll bei den immer wieder scheiternden Reanimationsversuchen atmet man bei dieser getragen-melancholischen Musik durch. Es entsteht eine wohltuende Distanz zum Todeskampf. Und dies schafft Raum zum Nachdenken über die wesentlichen Dinge des Lebens. Zumindest wird den Medizinfabriken mit ihren unausweichlichen Fakten eine andere Welt der emotionalen Befreiung entgegengestellt. Vielleicht kann man noch weiter generalisieren und sagen, dass es offenbar gerade die Kultur ist, die in Zeiten der Lebensbedrohung einen Impfstoff gegen die Verzweiflung bietet.

In Hamburg stehen die Schauspieler Yorck Dippe, Ute Hannig und Christoph Jöde gemeinsam mit den Musikern Tobias Schwencke (Cembalo, musikalische Leitung), Swantje Tessmann (Geige und Bratsche) sowie John Eckhardt (Kontrabass) auf der kahlen Bühne. Dort wechselt ihr Outfit zwischen spartanischem Klinik-Grünweiß und üppiger barocker Lebensart (Bühne sowie Kostüme: Ariane Salzbrunn). Und die Darsteller überzeugen nicht nur durch souveräne Monologe, sondern auch durch beeindruckende Gesangsleistungen.

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Freund Hein – der Tod – hält in der Todeszone der Intensivstationen ohnehin reiche-schlimme Ernte. Aber wenn das Sterben Alltag ist, wird es irgendwann für das medizinische Personal auch zur Routine. Und das hat fatale Folgen für alle Beteiligten. In der Hamburger Inszenierung haben dann auch zwei Pflegekräfte und ein Apotheker ihren ethischen Kompass längst verloren – skandalöse Fälle, die es in Deutschland tatsächlich gegeben hat. Der Apotheker hat so fehlerhaft wie gewinnmaximierend Krebsmedikamente hergestellt. Die Krankenschwester mit ihren 35 Dienstjahren stellt fest: "Wir arbeiten hier wie im Krieg." Sie "verkürzt" das Leiden der Patienten. Im Hinblick auf die acht Toten sagt sie zum Krankenhaus-Chaos: "Ich habe die Macht zu gestalten."

Aber damit nicht genug: Schließlich hat noch ein Krankenpfleger als "größter Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte" seinen Auftritt. Er löste bei Patienten selbst Notfälle aus, um dann beim Rettungsversuch zu glänzen. In der Folge wurden 135 Leichen exhumiert, nachgewiesen wurden über 80 Morde. Sicherlich die große Ausnahmeerscheinung im Gesundheitswesen, aber sie war eben doch möglich.

Unvergessen ist Tugsal Moguls Debütstück "Halbstarke Halbgötter" beim Heidelberger Stückemarkt 2011 im Großen Hörsaal der Chirurgischen Klinik. Und auch die jetzige digitale Aufführung riss den Zuschauer mit.

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