Freiheit und Gerechtigkeit
Die Filmtage finden in diesem Jahr Open Air und online statt

Von Wolfgang Nierlin
Heidelberg. Im 35. Jahr ihres Bestehens werden die Filmtage des Mittelmeeres ausnahmsweise zu einem Sommerfestival. Zumindest klimatisch nähert sich die beliebte Veranstaltung damit jenen zwölf Ländern an, aus denen die insgesamt 14 Filme des Programms stammen. Wegen der Corona-Pandemie und dem damit verbundenen Infektionsschutz haben sich die Veranstalter vom Montpellier-Haus und vom Medienforum im Karlstorkino entschieden, die Filmschau Open Air zu präsentieren.
Mit dem Garten des Völkerkundemuseums habe sie dafür einen besonders schönen und lauschigen Ort gefunden. Zwischen dem 16. und dem 27. Juni wird dieses Kleinod in der Heidelberger Altstadt mit etwa 70 Sitzplätzen zur Hauptspielstätte. Daneben ist an drei Tagen die Sommerbühne vor dem Karlstorbahnhof Austragungsort. Außerdem werden die meisten Filme, die wie immer in der originalen Sprachfassung mit deutschen oder englischen Untertiteln laufen, wetter- und pandemiebedingt online verfügbar sein.
Passend zur Jahreszeit und den äußeren Rahmenbedingungen des Festivals spielen mehrere Filme des vielfältigen Programms im Sommer. Während viele Madrilenen vor der Hitze flüchten, um ihre Ferien am Meer oder in den Bergen zu verbringen, lässt sich die junge Heldin in Jonás Truebas heiter-melancholischem Film "La virgen de agosto" ("The august virgin") durch die spanische Hauptstadt treiben. In hellen, freundlichen Bildern erlebt sie sich und die Stadt auf eine neue Weise. Sie begegnet alten Bekannten und Fremden, beginnt neue Beziehungen und entdeckt dabei Vertrautes im Unscheinbaren sowie viel Wahres über sich und ihre Gefühle im Alltäglichen.
Ungleich düsterer und weniger menschenfreundlich ist hingegen der ebenfalls von sommerlicher Hitze imprägnierte italienische Film "Favolacce" ("Bad tales") der Zwillingsbrüder Damiano und Fabio D’Innocenzo. Angesiedelt in einer römischen Vorstadtsiedlung, deren Bewohner von Missgunst, Neid, Frustration und Wut zerfressen sind, zeigt der Film in vielen kleinen Episoden und Geschichten ein erschreckendes Bild moralischer Verrohung. Unter dem dünnen Firnis der Zivilisation lauern menschliche Abgründe, deren Opfer hier vor allem die Kinder sind.
Hintergrund
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Wo & wie: Die 35. Filmtage des Mittelmeeres finden vom 16. bis zum 27. Juni in Heidelberg im Garten des Völkerkundemuseums, Hauptstraße 235, sowie auf der Sommerbühne vor dem Karlstorbahnhof statt. Fast alle Filme können auch online über
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Wo & wie: Die 35. Filmtage des Mittelmeeres finden vom 16. bis zum 27. Juni in Heidelberg im Garten des Völkerkundemuseums, Hauptstraße 235, sowie auf der Sommerbühne vor dem Karlstorbahnhof statt. Fast alle Filme können auch online über die Plattform Festhome TV gestreamt werden.
Rahmenprogramm: Am 19. Juni spielt die Worldmusic-Band AYWA anlässlich der 60-jährigen Städtepartnerschaft zwischen Heidelberg und Montpellier ein Konzert. Außerdem präsentiert das Montpellier-Haus vom 10. Juni bis 9. Juli eine Ausstellung, die sowohl die Entstehung als auch die Hintergründe von Aurels Animationsfilm "Josep" dokumentiert.
Karten & Programm: unter https:// www.filmtage-mittelmeer.de/ und https://www.montpellier-haus.de/. Karten können bereits im Vorverkauf erworben werden.
Auf ganz andere Art abgründig wiederum ist der Film "The man who sold his skin" ("Der Mann, der seine Haut verkaufte"), mit dem die Filmtage eröffnet werden. Inspiriert von einer Arbeit des belgischen Künstlers Wim Delvoye, verbindet die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania darin in artifiziellen Bildern eine Satire auf die Kunstwelt mit einem Flüchtlingsdrama. Für seine vermeintlich persönliche Freiheit lässt sich ein syrischer Flüchtling auf einen Teufelspakt mit einem Starkünstler ein: Um ein Visum zu ergattern, verkauft er seinen Rücken für eine großflächige Tätowierung, wodurch sein Körper zum prestigeträchtigen Kunstwerk wird und er sich als Mensch zugleich in eine Ware verwandelt. Kaouther Ben Hania betrachtet mit ihrem schillernden Film allerdings nicht nur die Perversionen des Kunstbetriebs, sondern auch den Umgang des Westens mit Flüchtlingen. "Weißt du, was schlimmer ist als Teil des Systems zu sein? Vom System ignoriert zu werden", bringt ausgerechnet der zynische Künstler diese Doppeldeutigkeit auf den Punkt.
Die Suche nach Freiheit und der Kampf für Gerechtigkeit stehen auch im Mittelpunkt von einigen weiteren Filmen des Programms, die sich mit politischen Themen und historischen Ereignissen beschäftigen und dabei oft vom Spannungsverhältnis zwischen traditionellem und modernem Leben erzählten. Besondere Erwähnung verdienen diesbezüglich unter anderen die neuen Filme der beiden Altmeister Costa-Gavras ("Adults in the room") und Robert Guédiguian ("Gloria Mundi") sowie der Animationsfilm "Josep" des Illustrators und Comic-Zeichners Aurel. Dieser handelt vom Schicksal des spanischen Malers Josep Bartolí (1910-1995), der im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner gegen die Faschisten kämpfte und danach mehrere Jahre in französischen Lagern unter unmenschlichen Bedingungen interniert war. "Nicht schlafen, nicht träumen – schauen", zitiert der Film mit seinem Motto eingangs den spanischen Dichter Antonio Machado.



