Der Aletschgletscher im Kanton Wallis, um 1870. Foto: Milan Chlumsky
Von Milan Chlumsky
Mit dem Karbondruckverfahren, das auch die feinsten Töne der schwarz-weißen Glasnegative in größter Schärfe wiedergibt, erlangte Adolphe Braun in Europa und in den USA während der 1860er Jahren ein großes Renommee. Er, der 1828 als Zeichner für Firmen in Paris begonnen hatte, zog 1843 ins heimatliche Elsass zurück, wo er ein eigenes Atelier in Dornach bei Mühlhausen eröffnete. Fasziniert vom neuen Medium Fotografie, begann er Blumen und Pflanzen aufzunehmen, die er als Vorlage für seine Entwürfe von Textilstoffen verwendete. 1854 war für Braun das Jahr des Durchbruchs: Sein Album "Fleurs photographiées" (Fotografierte Blumen) wurde von der Fachpresse hochgelobt. Nicht nur Stoffhersteller standen bei Braun Schlange, um von seinen Vorlagen zu profitieren, auch viele Zeichenschulen und Akademien baten um Zusendungen.
In der zweiten Hälfte der 1850er Jahre begann Braun, neben Landschaften im Elsass auch Kunstwerke in Museen zu fotografieren - nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa. Es gab zwar zahlreiche Fotografen, die in Museen Gemälde, Bilder und Zeichnungen fotografierten, Braun war durch die hohe Qualität der Abzüge jedoch der tonangebende Künstler. Bald musste er seinen Bruder Charles und seine Söhne Henri und Gaston ins Boot holen. Allein die Gemälde im Louvre zu fotografieren, überstieg seine Kräfte. Auf den Louvre folgten Wien, Florenz, Weimar, Basel, Berlin, Oxford. Endlich war es möglich, neben Gemälden auch Michelangelos oder Dürers Zeichnungen nach Fotografien zu studieren. Die kleine Firma in Dornach kam kaum nach, denn inzwischen waren auch Brauns ebenfalls gefeierte Panoramaaufnahmen aus der Schweiz, Paris, Savoyen und Italien in Alben erschienen. Alles schien wunderbar zu laufen, Braun musste expandieren.
Doch 1870 war es mit dem Frieden vorbei. Der Ausbruch der "blutigen Maiwoche" in Paris, der Überfall durch die preußische Armee ließen das Schlimmste erwarten. Als am 27. September 1870 die weiße Flagge über dem Straßburger Dom gehisst wurde, wusste Adolphe Braun, was zu tun war: seine Fotografen sowohl nach Straßburg als auch nach Paris und nach Belfort - der letzten Stadt, die nach dem Durchmarsch der preußischen Truppen noch stand - zu schicken. Die 4750 Toten auf französischer Seite (von 17.700 Soldaten) gaben in Belfort ein Bild davon, wie heftig die Kämpfe waren.
Braun gelang es mit seiner Energie, die Firma zu retten und auch wieder auf Reisen zu gehen, nach Ägypten und Italien, um den Papst und die Sixtinische Kapelle aufzunehmen. Und er fotografierte die Alpen. Der Aufstieg auf den Gipfel des Mont Blanc gelang ihm, was den Gebrüdern Bisson, den fotografischen Erstbesteigern des Mont Blanc, 1861 verwehrt geblieben war. In den sechs Jahren, die Braun noch blieben, eröffnete er Niederlassungen in den USA und in London, er belieferte unermüdlich Institutionen und Privatleute. Zeitweise hatte die Firme über 100 Mitarbeiter, hunderttausende Bilder landeten in seinen penibel geführten Archiven. Braun war zum Global Player aufgestiegen, der es verstand, mit richtigen fotografischen Themen und Bildern in höchster Qualität den Markt zu erobern. Sein größter Konkurrent, Fratelli Alinari in Italien, mussten ihm den Vortritt lassen.
Im Jahr 1877 starb Adolphe Braun 65-jährig. Sein Sohn Gaston konnte durch Assoziationen mit anderen fotografischen Ateliers die Tradition fortführen. Christian Kempf, der große Kenner des elsässischen Fotografen, hat über 40 Jahre akribisch das Werk der Dynastie Braun analysiert. Für die Ausstellung im Münchener Fotomuseum entdeckte der Direktor Ulrich Pohlmann zudem die mehr oder minder "geheime" Kollaboration Brauns mit dem Bayerischen König Ludwig II, die 1872 begann. Der Monarch hatte Braun gebeten, bei der Vervollständigung seiner Sammlung, die um die Kunst und Architektur des Ancien Régime (des Sonnenkönigs Ludwig XIV. und Ludwig XVI.) kreiste, zu helfen und ihn mit exquisiten Fotografien zu versorgen.
Für zwei große Premieren sorgt also diese Ausstellung: die Entdeckung der geheim gehaltenen Auftragsarbeiten für Ludwig II. (sie umfassen etwa 30.000 Aufnahmen) und eine überzeugende Dokumentation über das Savoir-faire eines unvergleichlichen Fotografieunternehmers. Schon die Reproduktion der in ursprünglicher Größe aufgenommenen Venus von Milo aus dem Pariser Louvre ist atemberaubend - sie ist 90 mal 130 Zentimeter groß. Es darf gerätselt werden, wie groß (und schwer) die Kamera mit dem entsprechenden Objektiv war und wie groß die Glasplatte mit der lichtsensiblen Kollodiumschicht. Sie musste in einem eigens dafür präparierten Zelt gleich nach der Belichtung entwickelt werden. Der Abzug der Venus von Milo ist durch das schöne weiche Licht eines der schönsten Bilder der Ausstellung.
Info: "Adolphe Braun. Ein europäisches Photographie-Unternehmen und die Bildkünste im 19. Jahrhundert". Münchener Stadtmuseum, bis 21. Januar. Der schöne Katalog (Schirmer/Mosel) kostet 39,80 Euro. www. muenchen-stadtmuseum.de