RNZ-Forum mit Richard-Wagner-Ur-Enkelin

Eine schrecklich durchschnittliche Familie

Nike Wagner war zu Gast im Alten Theatersaal - Eine ganz und gar nicht diskrete Weltfrau

23.11.2018 UPDATE: 25.11.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 59 Sekunden

Nike Wagner und RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel beim "RNZ-Forum" im Alten Saal des Heidelberger Theaters. Über ein Jahr hat es gedauert, bis ein gemeinsamer Termin gefunden wurde. Das Publikum dankte es mit großem Beifall. Foto: Joe

Von Ingrid Thoms-Hoffmann

Heidelberg. Welch eine Wohltat: Da sitzt eine junge Frau von 73 Jahren auf der Bühne, die so großartig schnörkellos redet, fast schon wie aus einer anderen Welt gefallen. Wann haben wir denn das letzte mal so klare Worte gehört? Bei Nike Wagner, der Ur-Enkelin des viel bewunderten und viel geschmähten Richard Wagners, gibt es keine taktischen, strategischen Spielchen. Sie beschönigt nichts. Nichts aus ihrer schrecklich normalen Familiengeschichte, nichts, wenn es um den Ahnen geht, den man einen großen Antisemiten nennt und den sie in feiner Abstufung als Antijudaisten bezeichnet.

Hintergrund

Zitate von Nike Wagner

"Wir wurden nicht erzogen, sondern frei gelassen".

"Wir sind alle familiengeschädigt".

"Meine Großmutter Winifred war ein Herrenreiter-Typus".

"Die Wagners waren und sind auch nicht besser als der Rest der

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Zitate von Nike Wagner

"Wir wurden nicht erzogen, sondern frei gelassen".

"Wir sind alle familiengeschädigt".

"Meine Großmutter Winifred war ein Herrenreiter-Typus".

"Die Wagners waren und sind auch nicht besser als der Rest der deutschen Gesellschaft".

"Die Villa Wahnfried war kein Hort des politischen Widerstands".

"Da sehen Sie mal, was man als Kind für ein Zeug aufschnappt und gar nicht um die Bedeutung weiß" (Antwort, als Klaus Welzel sie damit konfrontierte, dass ihr Plüschhase "Vorkämpfer Adolf Hitlers" und der selbstgeschnitzte Speer "V2" hieß).

"Meine Generation ist erst relativ spät aufgewacht" (über die späte Aufarbeitung der Nazi-Zeit).

"Ich hatte Glück, ich kam rechtzeitig in gute Gesellschaft, in die Gesellschaft von jüdischen Musikern. " (auf die Frage, ob es für sie eine Befreiung war, Bayreuth zu verlassen).

"Ich verehre Karl Kraus nach wie vor, und auch seine antifeministischen Sprüche muss man im Kontext seiner Frauenverehrung sehen. Es ging ihm immer um die Selbstbestimmung des Individuums - auch Frauen sollten über ihre Körper bestimmen dürfen, und sei´s in der Prostitution".

"Für mich ist Siegmund Freud unter anderem auch ein ganz großer Kulturtheoretiker. Mit seinem psychoanalytischen Instrumentarium lässt sich ja nicht nur familiäres Geschehen verstehen. Es dient auch als Erklärungsmuster für Aggressionen und Kriege." (auf die Frage, inwieweit sie die Psychoanalyse als Handwerkszeug in ihrem viel beachtete Buch "Wagner - Theater" heranzog).

"Wir reden über Menschenrechte. Beethoven hat Menschenrechte komponiert".

"Ich habe hier einen wunderbaren Protektor, nämlich Dr. Dr. Peter Volz. Der sagt immer zu mir, Du gehörst nach Heidelberg. Und tatsächlich treffe ich hier auf ein wunderbares Publikum und es ist die universitäre Luft hier, die mir sehr behagt".

(Auf die Frage, warum sie sich in Heidelberg so intensiv engagiert. Sie gehört dem Kuratorium des "Heidelberger Frühlings" an, ist Honorarprofessorin an der Pädagogischen Hochschule, hat eine enge Verbindung zum Kurpfälzischen Museum. Anm. d.Red.: Nike Wagner und Peter Volz kennen sich seit 2009. Damals bat Volz in seiner Eigenschaft als Vorsitzende des Freundeskreises des Kurpfälzischen Museums die Literaturwissenschaftlerin den Festvortrag zum Museumsabend zu halten. Nike Wagner kam und verliebte sich in die Stadt. Mit Volz ist sie seit dieser Zeit befreundet).

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Natürlich kann ein Abend, können die eineinhalb Stunden des RNZ-Forums, nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben dieser Frau widerspiegeln. Aber was für ein Ausschnitt! Dass es so tiefgründig, informativ, und äußerst kurzweilig zuging, war einmal mehr dem RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel und seinen kenntnisreichen Fragen zu verdanken. Für oberflächliches Geplänkel ist da kein Platz - einer der Gründe, weshalb die RNZ-Foren, so um die 50 dürften es mittlerweile sein, einen ungebremsten Zulauf finden.

So auch beim RNZ-Forum. Der Alte Theatersaal bis auf den letzten Platz besetzt. Im Publikum unter anderem auch der ehemalige Kultusstaatssekretär Michael Sieber und RNZ-Verlegerin und Chefredakteurin Inge Höltzcke.

Der große Applaus galt einer Frau, die Persönliches preisgab, die selbstironisch und sehr strukturiert antwortet, die nicht verhehlte, dass sie immer noch darunter leidet, dass sie nicht die Festspielleitung in Bayreuth übernehme konnte. Diese "diskrete Weltfrau", wie sie einmal in einer der vielen Laudationes genannt wurde, die gar nicht so diskret ist, hat sich von einer Familie befreit, die tief in den Nationalsozialismus verstrickt war und von einem miefigen Bayreuth. Heute ist sie überzeugte Europäerin. Auf die Frage, welchen kulturpolitischen Wunsch sie unbedingt in Deutschland umgesetzt sehen möchte, kommt ohne eine Sekunde des Zögerns: "Europa, Europa, Europa - alles andere folgt dann daraus".

Nike Wagner ist es gewohnt zu erzählen. Über ihre Nähe zu ihrem Ur-Ur-Großvater Franz Liszt, der das erste Bonner Beethoven-Fest ausrichtete, das sich 2020 zum 175. Mal jährt und das, welch schöne Fügung, unter ihrer Intendanz das große Jubiläum zum 250. Geburtstag von Beethoven feiert. Und wie damals, bei ihrem Verwandten, gibt es in der ehemaligen Hauptstadt keinen anständigen Aufführungsort. "Wie sich die Situationen doch über die Jahrhunderte gleichen", sagt Nike Wagner und versichert, dass es "kein rituelles Abspielen aller neun Symphonien" geben wird.

Hintergrund

Nike Wagner, geboren am 9. Juni 1945, ist die Ur-Enkelin von Richard Wagner und die Tochter von Wieland Wagner (1917 - 1966) und seiner Frau, der Tänzerin und Choreografin Gertrud (1916-1998) In der Villa Wahnfried in Bayreuth wuchs Nike (in der griechischen

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Nike Wagner, geboren am 9. Juni 1945, ist die Ur-Enkelin von Richard Wagner und die Tochter von Wieland Wagner (1917 - 1966) und seiner Frau, der Tänzerin und Choreografin Gertrud (1916-1998) In der Villa Wahnfried in Bayreuth wuchs Nike (in der griechischen Antike Siegesgöttin) mit ihren drei Geschwistern auf. Sie studierte Musik, Theater - und Literaturwissenschaft in Berlin, Chicago, Paris und Wien und promovierte über Karl Kraus und die Erotik der Wiener Moderne. Seit 1975 arbeitet sie als freiberufliche Kulturwissenschaftlerin. Sie ist Vize-Präsidentin der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, die jährlich den Büchnerpreis verleiht. Seit 2014 ist sie Intendantin des Bonner Beethovenfestes, von 2004 bis 2013 leitete sie das Kunstfest "pèlerinages" (Pilgerschaften) in Weimar. Seit 1986 lebt Nike Wagner mit ihrem zweiten Mann, dem Musikwissenschaftler Jürg Stenzl in Wien. Ihre Tochter Louise aus erster Ehe ist Choreografin und Bühnenbildnerin.

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Natürlich beleuchtet sie auch ihre Zeit in Weimar, dieser Kleinstadt, wo das "Heilige" der Geistesgrößen im Hinterkopf schwebt und wo man "keinen Menschen trifft, egal, zu welcher Tageszeit man dort aus dem Zug steigt". Für sie war Franz Liszt an diesem Ort so lebendig wie sonst an keinem. Zu sprechen kommt das Tandem auf der Bühne auch auf Hamburg, wo sie das Angebot zur Kultursenatorin unter Ole von Beust ablehnte. Wegen des zu geringen Kulturetats und weil es da diesen Rechtspopulisten Roland Schill in der Regierung gab.

Es ist ihre Familiengeschichte, die das Publikum hören will. Viele wissen um die Streitereien der Brüder Wolfgang und ihrem Vater Wieland, bei denen Wolfgang Wagner nach dem Tod des Bruders die Oberhand gewann und den Zweig seiner Familie fest in Bayreuth etablieren konnte. Die Gäste wollen von ihr hören, wie sie damit umgeht. Da fallen Sätze wie: "Die Arbeit meines Vaters wurde in die Vergessenheit gestoßen". Für sie ist es nach wie vor "schmerzhaft", wie ihr die Türen für Bayreuth verschlossen wurden. Dreimal trat Nike Wagner um die Intendanz für Bayreuth an, einmal sogar mit dem weltbekannten Gerard Mortier, dreimal unterlag sie. Sie konnte das Vermächtnis ihrer Eltern nicht retten.

Von ihrem Vater erzählt das Multitalent mit großer Zuneigung, von seinem "Neu-Bayreuth" Anfang der 50er Jahre, seiner künstlerischen Opposition und seiner"Bühnenrevolution". Er setzte das Schlüsselwort "Werkstatt" gegen den "Tempel" Bayreuth. Nike Wagner erinnert sich auch an die Villa Wahnfried und die unbeschwerten Kindheitsjahre mit ihren drei Geschwistern. Und an die Mauer, die ihr Vater im Garten bauen ließ, damit er nicht mit ansehen musste, wie seine Mutter Winifred nach dem Krieg "ihre Nazi-Brut" bewirtete. Und sie bestätigt Klaus Welzel, dass ihr Vater, der 1966 im Alter von 49 Jahren an einem Bronchialkarzinom starb, noch in den 60er Jahren lästere, dass seine Mutter wohl noch immer an den Endsieg glaubte. Was der Sohn der Mutter nie verzeihen konnte: Dass sie Hitler in die Familie geholt hatte.

Es hätte noch stundenlang so weitergehen können. Aber die total erkältete Nike Wagner bat im Vorfeld den hustenden Chefredakteur um Nachsicht. Der Applaus galt am Ende beiden - auch für das Durchhalten.

Info: Das nächste RNZ-Forum gibt es schon am 15. Januar 2019 im Heidelberger Theater. Gast wird dann Jürgen Boos, der Chef der Frankfurter Buchmesse sein. Thema: Verschwindet im 21. Jahrhundert das Lesen?