Rainald Grebe in Mannheim

Schweben, fallen und fliegen

Mit seinem Tourauftakt in Mannheim bot der Kabarettist eine Flugstunde der absurden Art.

17.05.2022 UPDATE: 18.05.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 22 Sekunden
Rainald Grebe.Foto: dpa

Von Daniel Schottmüller

Mannheim. Einer erfahrenen Stewardess hat Rainald Grebe sein Lied gewidmet. "Ob Flugangst oder Vogelschlag, bei Turbulenzen oder Druckabfall / Bei aggressiven Betrunkenen, im Falle eines Super-GAUs: Ich strahle Ruhe aus." Der 51-Jährige spricht mehr, als dass er singt. Fast regungslos steht er am Mikro, den Blick gesenkt, während Jenny Thiele sanfte Synthesizer-Akkorde durch das Capitol schweben lässt. Als der letzte verhallt ist, dreht sich Grebe um und geht. War’s das? Ist das Konzert des Kabarettisten schon nach einer halben Stunde vorbei?

Nicht ganz. Grebe überlässt der Jugend das Cockpit. Fortuna Ehrenfeld, die Band, die sein neues Album poppig aufgepeppt hat, ist dran. Und so hingebungsvoll, wie das in Pyjamas gewandete Trio in den nächsten Minuten die Instrumente bearbeitet, würde man Martin Bechler, Jenny Thiele und Jannis Knüpfer wünschen, dass ihnen statt eines höflich nickenden Kabarettpublikums, eine wilde Partycrowd gegenübersteht. Überhaupt ist den ganzen Abend über ein dezentes Gefühl von Reibung spürbar.

Er habe sich vor seiner Musik und sich selbst gelangweilt, hat Grebe zu Beginn in einer seiner spärlichen Ansagen verraten. Deshalb verbarrikadierte er sich mit Martin Bechler im Heimstudio in Brandenburg, um an einem neuen Klang zu basteln: Synthies, E-Gitarren, Background-Gesang und Beats statt Ein-Mann-Klavier-Unterhaltung. In Mannheim bringt die Combo diese "Popmusik" – so auch der Albumtitel – jetzt zum ersten Mal zusammen auf die Bühne. Und, zunächst ist das für alle Seiten etwas gewöhnungsbedürftig. Die Band übertönt Grebe immer wieder. So manche seiner an Helge Schneider erinnernden Absurditäten gehen im Wummern der Bässe unter, was das Publikum sichtlich fremdeln lässt. Umgekehrt hat man das Gefühl, dass der bedächtige 51-Jährige die Energie der Ehrenfelder ausbremst. Kann die Crew das Steuer noch rumreißen?

Die Antwort: ja. Denn genau wie die Flugbegleiterin, die altersmilde betrachtet, wie ihre jungen Kolleginnen in Shanghai shoppen und in Paris mit den Piloten flirten, weiß auch Grebe: Am Ende funktioniert’s nur, wenn die Trolleys gemeinsam durch den Zoll gerollt werden. Und so kehrt er, von seinen Mitmusikern groovig angeschoben, mit "30-jährige Pärchen" auf die Bühne zurück. Zum ersten Mal an diesem Abend wird ein ganzes Lied lang durchgelacht. Grebe kann’s ja auch: Niemand wird den Satz "Reich mir mal den Rettich rüber" jemals wirkungsvoller aussprechen als er.

Auch interessant
DAI Heidelberg: Die eigene Lust ungeniert ausleben
Kalush Orchestra: Die Ukraine im ESC-Freudenrausch
Heidelberg: Völkerkunde-Museum zeigt historische Bilder aus Indien

"Haltet eure Brechtüten bereit", warnt der Westfale – ganz die Flugbegleiterin –, bevor Blödelbarde und Band als nächstes ein wildes Medley aus Karaoke-Klassikern und Stimmungsliedern auf das Publikum niederprasseln lassen. "Angels", "Frankreich, Frankreich", "Krawall und Remmidemmi" und schließlich "Hey Jude". Jetzt sind die Zuschauer so weit aufgewärmt, dass sie sogar bei einem der neuen Songs mitsingen. Die dämliche Dada-Zeile: "Wissenschaft ist eine Meinung, die muss jeder sagen dürfen" geht auch einfach verdammt gut ins Ohr.

Am Ende stehende Ovationen für Grebe und Begleitung. Daraus spricht auch die Dankbarkeit, den Melancholiker unter Deutschlands Kabarettisten überhaupt noch mal live erleben zu dürfen. Das ist alles andere als selbstverständlich: 2014 diagnostizierten Ärzte die Autoimmunerkrankung Vaskulitis. Es folgten sechs Schlaganfälle in einem einzigen Jahr. Seitdem ist der Tod in Rainald Grebes Texte getropft, wie er in einem Interview verriet. Auch in Mannheim: "Der Tod hat eine Wampe, der Tod hat sich grad verspielt", singt er in der Zugabe. "Ich seh den Tod im Spiegel, Hallo Hallo Hallo Hallo, er ist hier". Aber das Leben eben auch! Und ja, vielleicht muss sich der Kabarettist mal aus Gesundheitsgründen kurz absetzen, aber es gibt ja noch eine Überfliegerin an Bord: Jenny Thiele. Die quirlige Frau an den Tasten übernimmt bei Grebes Opus magnum "Brandenburg" den Gesang. Zum hymnischen Chorus steigt aber auch der Altmeister wieder ein. "Berlin, Halleluja, Berlin", singt schließlich der ganze Saal geschlossen. Der Start mag turbulent gewesen sein, aber vielleicht gerät diese Tournee ja doch noch zum Höhenflug.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.