Nur eine Innovation: Wer sich mithilfe des „Hand-O-Mat“ abfotografiert, kann sich ähnliche Handhaltungen in der Kunstgeschichte anzeigen lassen. Foto: Kunsthalle Mannheim
Von Stefan Otto
Mannheim/Stuttgart. War es nicht einmal so, dass man ins Museum gegangen ist, um ein Original zu betrachten? Das wird, wenn es nach den Museen geht, auch so bleiben. Dennoch arbeiten sie selbst an der digitalen Präsentation und Vermittlung ihrer Bestände. "Vom Werk zum Display – 32 digital kuratierte Räume", das vor einem Jahr begonnene gemeinsame Projekt des Kunstmuseums Stuttgart und der Kunsthalle Mannheim, startet nun in die erste Umsetzungsphase.
"Wir möchten innovative Angebote schaffen, die Ausstellungen und Sammlungswerke in den digitalen Raum erweitern, um damit auch jüngere Zielgruppen zu begeistern", erklärt Johan Holten, der Direktor der Mannheimer Kunsthalle. Als erste Amtshandlung, sobald er im Herbst 2019 die Nachfolge von Ulrike Lorenz angetreten hatte, initiierte der Däne denn auch einen Antrag bei der Kulturstiftung des Bundes, die in ihrem Fonds Digital schließlich 15 digitale Projekte für eine Förderung auswählte. Das gemeinsame und "richtungsweisende digitale Vorhaben" der Kunsthalle Mannheim und des Kunstmuseums Stuttgart erhielt in diesem Zuge eine Summe von 880 000 Euro, die es ermöglichen soll, mit neuen digitalen Ästhetiken und Ausdrucksformen zu experimentieren und modellhafte Angebote zu entwickeln.
Seit Februar vergangenen Jahres erforschen so beide Häuser gemeinsam Wege, um für 32 ausgesuchte Kunstwerke aus ihren Sammlungen jeweils ein maßgeschneidertes Vermittlungsformat zu schaffen. Für jedes der ausgewählten Werke – darunter Objekte aus dem 19. Jahrhundert bis hin zu zeitgenössischen Arbeiten – wird aktuell eine individuelle digitale Präsentationsform entwickelt. "Zentral ist für mich die Frage, wie man die Digitalisierung von Kunst aus der spezifischen Form eines Werkes ableiten kann", erläutert Holten. Der Ausgangspunkt seines Ansatzes sind daher die jeweiligen Eigenschaften einzelner Werke, etwa ihre Räumlichkeit, ihre Haptik oder Oberflächenstruktur, die in den digitalen Übersetzungen möglichst angemessen repräsentiert werden sollen.
"Spätestens die Corona-Pandemie und die Schließung der Museen hat uns gezeigt, dass wir in der digitalen Vermittlung über das reine Abbilden von Werken schnell an unsere Grenzen stoßen", ergänzt der 45-jährige Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler. "Deshalb erforschen wir in diesem Projekt, welche zusätzlichen Möglichkeiten geschaffen werden können, um Werke plastischer, spannender und erkenntnisreicher zu vermitteln – und das über Alltagsgeräte wie das Smartphone."
An diesem kreativen Prozess und seiner Steuerung sind Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen beider Museen beteiligt. Dazu läuft eine Zusammenarbeit mit der Wiener Fluxguide Ausstellungssysteme GmbH. Die derzeitigen Beschränkungen im Zuge der Pandemie stellen dabei auch hier eine Herausforderung dar. So können, anders als ursprünglich angedacht, die Diskussionen um die einzelnen Werke nicht vor den Originalen stattfinden, sondern der Gedankenaustausch der Beteiligten aus Stuttgart, Wien und Mannheim beschränkt sich auf Online-Konferenzen.
Dennoch entstehen im Moment die Ideen, die bereits heute auf ein künftig vielfältiges Angebot digitaler Präsentation und Kunstvermittlung schließen lassen. Wilhelm Leibls kleines Gemälde "Die rechte Hand aus dem Langbehn-Bildnis" (1877) aus der Sammlung der Mannheimer Kunsthalle wird etwa nun in eine Anwendung übersetzt, mit der die Nutzer die akribisch porträtierte, besondere Handhaltung des Kunstkritikers selbst nachstellen und neu entdecken können. In einem sogenannten "Hand-O-Mat" soll das Foto der eigenen Geste zur Bildersuche ähnlicher Handhaltungen in der Kunstgeschichte genutzt werden können. Dafür wird eine Datenbank aus den Sammlungsbeständen beider Museen und darüber hinaus zur Verfügung stehen.