Königssaal im Schloss

Die neue Freiheit mit Bach auf dem modernen Flügel

Jean Rondeau spielte beim "Frühling" Bachs Goldberg-Variationen.

10.04.2022 UPDATE: 11.04.2022 06:00 Uhr 1 Minute, 58 Sekunden
Jean Rondeau. Foto: studio visuell

Von Matthias Roth

Heidelberg. Bei dieser Aufführung war vieles anders, als man es kennt. Johann Sebastian Bachs rätselvolles Spätwerk, die Aria mit 32 Variationen "vors Clavicimbal mit 2 Manualen", später benannt nach dem Bach-Schüler Johann Gottlieb Goldberg, der es spielen sollte, gehört heute zu den unangefochtenen Highlights im Konzertbetrieb. Jeder Tastenvirtuose von Rang muss sich ihm einmal gestellt haben, viele glauben gar, es sei eine gute Idee, mit dem Werk zu debütieren. Dabei fangen die Probleme der Interpretation bei der Wahl des Instruments an: Der moderne Flügel macht mit erzwungenen Kompromissen ein anderes Stück aus dieser "Clavier Übung", wie Bach sie nannte.

Der französische Cembalist Jean Rondeau, der die Goldberg-Variationen beim Heidelberger Frühling im gut besuchten Königssaal des Schlosses interpretierte, spielt auf dem Nachbau eines zweimanualigen Instruments deutscher Provenienz (gebaut von Jukka Ollikka, Prag 2018). Historisch von Blandine Verlet in Paris ausgebildet, studierte Rondeau auch Generalbass, Jazz, Komposition und Improvisation – und das merkte man, noch bevor er mit der Aria einsetzte.

Denn diese bereitete er mit einem improvisierten Präludium vor. Und auch die Aria selbst, die viele Besucher mitsingen können oder selbst schon gespielt haben, glich nicht unbedingt dem, was man aus den Noten sicher zu kennen glaubt: Recht langsam im Tempo, aber sogleich reich an zusätzlichen Verzierungen, brauchte es eine Weile, bis man das Gespielte sicher wiedererkannte. Es schien, als schöpfte der Musiker die Musik gerade erst eben, als fiele sie ihm gerade in diesem Augenblick ein, selbst noch unsicher, in welche Richtung sie weiterlaufen würde.

Es gibt nicht viele, die dieses Werk so frei interpretiert haben: Allenfalls Bob van Asperen wagte sich in diese letztlich auch sehr unsicheren Gefilde vor, denn immerhin interpretiert der Künstler ja einen Meilenstein der Literatur für Tasteninstrumente! Der Notentext, der selbst schon detailreich die Verzierungswünsche Bachs vermerkt, wird hier gelesen als Vorlage zur Improvisation und dabei überlagert, fast überwuchert von eigenen Ideen des ausführenden Musikers. (Diese orientieren sich an der historischen Praxis des 18. Jahrhunderts, nicht an späteren stilistischen Auswüchsen.)

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Der 30-jährige Franzose, der in der Szene zunächst wegen seines Struwwelkopfs und eher legerer Konzertkleidung bekannt wurde (er tritt auch in Heidelberg hemdsärmelig auf), hat sich zu einem führenden Experten seines Fachs entwickelt, das wird mit jeder Variation deutlicher. Die stupende Geläufigkeit seiner Finger, die immense Fantasie der weit über die Partitur hinausgehenden Verzierungen, die stilistische Sicherheit und gleichzeitig hohe, fast artistische Virtuosität seiner Wiedergabe, von der man genau weiß, dass man sie exakt so nie wieder hören wird (da der Künstler selbst sie nie wieder exakt so spielen wird), das alles macht Rondeaus Auftritt im Königssaal zu einem singulären Ereignis.

Bei schnellen Sätzen lässt er die Wiederholungen weg, bei langsamen kostet er sie genüsslich aus. Dabei sind die Leichtigkeit der Artikulation und musikalische Inspiration seines Spiels frappierend, auch wenn er manche Variation mit hohem Risiko durchschreitet: Improvisation heißt ja auch, dass nicht alles sofort gelingen muss, und so gibt es (sehr) gelegentliche Fehlgriffe, sogar in der Reprise der Aria ganz zum Schluss. Aber das macht den Abend noch intensiver, die Darbietung noch authentischer. Standing Ovations für einen der interessantesten Musiker der Gegenwart.

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