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Von Simon Scherer
Heidelberg. Kommt ein Konzert in das Privileg eines groß besetzten Sinfonieorchesters, beginnt es am besten mit Strauss. Bester Beweis war der in schier tausend Farben strahlende Sound des Bergen Philharmonic Orchestra, der bei Richard Strauss’ "Don Juan" in erfrischender Explosivität emporschoss. Genau so, wie man diesen fantastischen Klangkörper noch von seinem letzten Gastspiel beim Heidelberger Frühling im Ohr hat.
Ihr Chefdirigent Edward Gardner weiß genau, wo er überall klangliches Potenzial herauskitzeln kann: nebst feurigem Fortissimo eine atmosphärische Idylle, spannungsgeladenes Knistern in grollenden Abgründen oder emporblühende Lieblichkeit. Genauso beweisen die Musiker auch technisch höchste Präsenz, wenn sie punktgenau an Gardners reißerischen Tempobeschleunigungen haften bleiben.
Besonders im Blut lagen den Norwegern schließlich die Emotionen, die noch tiefer in Elgars Cellokonzert wurzelten, das Truls Mørk stark Richtung Verzweiflung tendieren ließ. Neben solch gewaltiger Orchesterfront hätte sein Klang zwar mehr Sonorität vertragen, gleichzeitig entsprachen seine dünnhäutigen Hilferufe zwischen sinfonischer Monstrosität genau dem Wesen des Kopfsatzes.
Die inhaltliche Aussagekraft wurde hierbei faszinierend zwischen Solist, Orchester und Dirigent aufgeteilt, sodass jeder seinen Teil zur Geschichte beitrug. Zusammen ergab das ein orkanartiges Durchleuchten des persönlichen Gefühlshaushaltes, der ordentlich durchgewirbelt wurde. Aus diesem Chaos konnte sich Mørk selbst im Adagio nicht befreien, wo er nach angedeuteten Selbstgesprächen und reflektierender Innenschau gern wieder extravertiert agierte. Selbst im Allegro ging es dergestalt weiter, allerdings mit weniger Depression zugunsten einer aufgehellten Stimmung.
So taten sich für manche Sorgen erste Lösungsansätze auf, wenngleich zahlreiche Melodien immer noch mit ihrem Schicksal haderten. Eine fantastische musikalische Zusammenarbeit war das mit intensiver Inhaltsausleuchtung, nach der eigentlich keine Zugabe (aus Brittens Cello-Suite) nötig gewesen wäre.
Gerade die Eröffnung von Brahms 1. Sinfonie passt thematisch hiernach eigentlich hervorragend. Gardner verortete op. 68 allerdings sofort auf der Sonnenseite und verdichtete das Szenario auf eine große Linie, sodass selbst das einzigartige Oboensolo nicht in andere Welten abtauchte. Seine Intensität verfehlte das mit gewaltiger Sogwirkung aufmarschierende Allegro trotzdem nicht; dennoch hätte Brahms für ein Eindringen in die zerbrechliche Psyche mehr Ecken und Kanten vertragen.
Gardner ist eben einer, der Brahms lieber in ausgeglichener Manier anpackt. In wunderbarer Schlichtheit zelebrierte er das Andante, das sich wohltuend in den Zuhörerherzen einnistete. Inbrünstig und verheißungsvoll stieg er in den Schlusssatz ein, den er genussvoll in die Breite zog. Bei solch beneidenswertem Reichtum an Orchesterfarben waren ihm da keine Grenzen gesetzt.
Nicht minder enthusiastisch war das Publikum in der Stadthalle, das nach Griegs "Kobold" den Heimweg mit William Waltons "Touch her soft lips and part" versüßt bekam.