Und auf einmal ist die Studentin ihrem Dozenten überlegen: Cynthia Thurat und Wolfgang Mondon in Willy Russels "Bildung für Rita" im Zimmertheater. Foto: Mara Eggert
Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Da war doch was? Ja, da war was, und daraus machte der 1947 geborene britische Dramatiker Willy Russel auch keinen Hehl: Bei "Bildung für Rita", seinem bekanntesten Stück, das 1980 in London uraufgeführt und drei Jahre später höchst erfolgreich verfilmt wurde, hatte der Autor den legendären "Pygmalion" George Bernard Shaws für seine Zwecke umgemodelt. Deshalb fühlen sich bei der Premiere des Kammerspiels im Heidelberger Zimmertheater so viele erinnert an Shaws Bühnenstoff und dessen Musical-Version, die unter dem Titel "My fair Lady" Weltruhm erlangte.
"Es grünt so grün" wird diesmal aber nicht geträllert im Delikatessengeschäft Thaliens, dafür grünt Anderes überaus symbolträchtig an der Hauptstraße: ein bewusst an Goethes "Divan" erinnerndes Ginkgo-Topfpflänzchen und eine wie aus der British Library geklaut wirkende grüne Leselampe. Wow, da achtet einer bei den Requisiten ganz genau auf die Details! Auch die übrige Ausstattung des muffigen Dozenten-Büros ist äußerst stimmig, schließlich schaltet und waltet hier ein schon ziemlich abgehalfterter Schöngeist in Gestalt des Literaturwissenschaftlers Frank, dem auf einmal eine frohgemute Betriebsnudel aus der working class ins Studierstübchen flattert.
Wumm, da treffen Welten aufeinander: hier die Frohnatur einer 26-jährigen Friseurin, die sich an der "Open University" unbedingt weiterbilden möchte, da der blasierte Besserwisser, der schon ziemlich angekränkelt ist von seinen privaten wie beruflichen Problemen. Franks Ehe ist gescheitert, und von seinem Dozentendasein scheint er wenig zu halten, weshalb er immer häufiger Halt sucht an einem der Fläschchen mit Hochprozentigem, die er in seinen Bücherregalen versteckt.
Man ahnt, wie das ausgeht: Rita redet zunächst, wie ihr das rot geschminkte Schnäbelchen gewachsen ist, wandelt sich aber im Laufe des Abends zur galanten Salonschlange, die ihrem Professor das Wasser reichen kann, ja, ihm sogar überlegen zu sein scheint. Sie ist die "erste frische Brise in diesem verstaubten Loch", wie ihr Dozent scharfsinnig erkennt. Flötete das Naivchen gerade noch "Scheiße, ist das geil!" über ein Aktgemälde Lovis Corinths, eignet sie sich mir nichts, dir nichts das Vokabular der ästhetischen Debattenkultur an.
Während der Ära Margaret Thatchers wurde das Stück viel gespielt. Damals verstand man Ritas Bildungsbeflissenheit auch als Protest gegen den Neoliberalismus des Establishments. Diese Lesart ging mit den Jahren flöten, und so ist es kein Wunder, dass "Educating Rita", wie das Stück im Original hieß, mehr und mehr in Vergessenheit geriet. Wie gut, dass es Joosten Mindrup nun wieder aus der Versenkung geholt hat. Er tat das mit etlichen Zugeständnissen an unsere Zeit. Die Figuren kennen Smartphones, "Harry Potter" und ein Gesöff, das angeblich Flügel verleiht. All das gab es noch nicht, als "Educating Rita" entstand, aber René Heinersdorff hat mit seiner Bearbeitung von Angela Kingsford-Röhls Übertragung das Sprachmenü mit heutigen Zutaten gewürzt. Und die schmecken dem stets auf hohes Niveau und gute Unterhaltung erpichten Zimmertheater-Pub-likum bestens. Es feiert die Inszenierung mit rhythmischem Applaus und trampelnden Füßen.
Verdient haben sie diesen Beifall alle: an erster Stelle Cynthia Thurat, die ihre Betriebsnudel Rita so schön betriebsnudelig spielt und deren Wandlungsprozess glaubwürdig macht; dann natürlich Wolfgang Mondon, der als angegrauter Literaturdozent in Ritas Gegenwart seinen zweiten Frühling erlebt und in den Schnapsdrossel-Szenen glücklicherweise nicht übertreibt (diese Gefahr besteht ja); und schließlich Joosten Mindrup, der als Regisseur und Ausstatter ganz klare Akzente zu setzen versteht. Deshalb sei an dieser Stelle eine Prognose gewagt: Das Ding wird laufen und laufen und laufen.
Info: Zimmertheater Heidelberg, Kartentelefon: 06221/21069.