Doris Erbacher neben ihrer Arbeit „offensichtlich 3“ bei Grewenig. Foto: MR.
Von Matthias Roth
Heidelberg. Transparenz ist Doris Erbacher wichtig. Man soll beispielsweise sehen, dass es bemaltes Holz ist, mit dem sie arbeitet. Die Maserungen scheinen durch die Acrylfarbe durch, die sie aufträgt, und kleine Rechtecke geben, wie Fenster in einer Wand, Durchblicke frei: "offensichtlich 3" heißt eine dieser Arbeiten von 2019, die derzeit in der Heidelberger Galerie Grewenig in Handschuhsheim zu sehen sind. Das leuchtende Rot zieht den Blick auf die mit 40x30 Zentimetern Außenmaß relativ kleine Tafel: auf den ersten Blick ein einfaches Rechteck, in das sechs etwa daumenabdruck-große, ebenfalls rechteckige Löcher gestanzt scheinen, die die Fläche im freien Rhythmus strukturieren. Zusammengehalten wird alles durch die feinen Holzzeichnungen der zugrunde liegenden Platte.
Aber dann, wenn wir glauben, das Bild an der Wand "verstanden" zu haben und fast schon auf dem Sprung sind zum nächsten Kunstobjekt, erfasst uns plötzlich eine Unsicherheit, eine Irritation. Diese rechte Außenkante: ist sie eigentlich wirklich gerade oder nicht eher gewellt? Die Dicke der Holztafel: Ist sie einheitlich plan oder unterschiedlich dick? Die sechs Luken in der Farbfläche: ihre Winkel sind genau betrachtet krumm und schief, so, als ob jemand aus freier Hand versucht hätte, exakte Winkel zu schneiden, es ihm aber letztlich nicht gelungen ist. Und augenblicklich fangen diese unexakten Durchblicke an zu schweben, zu schlingern, zu tanzen.
Das auf den ersten Blick starre Gebilde wird beweglich, lebendig – und nicht selten dreidimensional: Die Holzplatte ist links nicht vollständig bemalt und im oberen Eck angesägt. Sie täuscht so eine sich verändernde Dicke des Materials vor, die real nicht in dieser Weise vorhanden ist. Was wir sehen, ist möglicherweise nicht die Wirklichkeit, sondern nur ein Schein von ihr. Denn so "offensichtlich" wie der Titel der Arbeit ist die Arbeit selbst überhaupt nicht, und der Titel der Ausstellung "ansichtlich" bedeutet, dass man ziemlich genau hingucken muss.
"Ich arbeite gern minimalistisch und spiele mit der Illusion, der Wahrnehmung", sagt die 1953 in Bruchsal geborene Künstlerin. "Was ich mache, sind Sehstücke", und die fordern das Sehen heraus. Ironie blitzt in ihren Augen (der Mund ist von einer FFP2-Maske verhüllt), denn "Seestücke" sind freilich ein altes Genre in der bildenden Kunst. Aber damit hat ihre Arbeit gar nichts zu tun: "Ich wollte nie ‚erzählen‘ in meinen Bildern, das hat mich nie interessiert." Wenn sie berichtet, sie habe auch bei Alfred Hrdlicka in Stuttgart studiert, kann man das anhand der Bilder kaum glauben: "Ich habe mich bald von ihm lösen können."
Minimalismus in der Kunst, das ist das Event der kleinen Abweichung in einem Strom der Wiederholungen. Doris Erbachers Arbeiten auf Papier zeigen das ganz deutlich. Pigmentstaub wurde hier zunächst auf die Fläche gerieben, in die später mit Wasser sehr feine Linien gezogen werden. Die Pigmente lösen und vermischen sich, hinterlassen Spuren, die – einzeln mit der Hand gezogen – das Blatt in subtile Bewegung versetzen. Filigrane Strukturen entstehen so, in einer Technik gearbeitet, für die es möglicherweise keine Vorbilder gibt.
"Es könnte sein, dass ich diese Aquarelltechnik erfunden habe", bekennt die Malerin, die seit 2009, nach längeren Aufenthalten in Berlin, wieder in Heidelberg lebt und ein Atelier in Mannheim hat. Nach dem Studium an der Staatlichen Kunstakademie Stuttgart hatte sie zunächst in Mannheim gearbeitet, war aber bald nach der "Wende" in die neue Hauptstadt gegangen, wo sie auch als Filmemacherin tätig war.
Einfluss auf ihre Arbeit übte vor allem Josef Albers aus, der in den 1960er Jahren in den USA ganz wesentliche Anstöße gab und den sie leider nie persönlich kennenlernen durfte. Aber auch Maler wie Ellsworth Kelly, Donald Judd, Sol Lewitt oder Frank Stella haben möglicherweise inspirierend gewirkt.
Info: Galerie Grewenig, Pfarrgasse 1 (bei der Vitus-Kirche) in Heidelberg-Handschuhsheim, voraussichtlich bis 8. Mai. Zu sehen nach vorheriger Anmeldung über Telefon 06221-475689 und 0151-40101174 oder per E-Mail am info@galerie-grewenig.de; samstags ist die Künstlerin anwesend. Es gelten die jeweils aktuellen Corona-Bedingungen.