Heidelberger Tankturm. Foto: Alex
Von Matthias Roth
Heidelberg. Die fesche Ida Coblenz, Tochter eines jüdisch-deutschen Weinhändlers, verdrehte dem jungen Stefan George offenbar den Kopf, aber statt den jungen Dichter zu heirateten, entschied sie sich 1895 für den Konsul Auerbach. Im selben Jahr erschienen Georges "Bücher der Hirten- und Preisgedichte der Sagen und Sänge und der hängenden Gärten".
Richard Dehmel vergaß die Sammlung in seiner Zeitschrift zu erwähnen, woraufhin sich Ida beschwerte. Offenbar mit gewichtigen Argumenten, denn sie und Dehmel wurden ein Paar und heirateten nach der Scheidung vom Konsul: Ausgerechnet Georges größten Lyrik-Konkurrenten zog sie dem Meister vor! George entsagte - Ida und den Frauen insgesamt - für immer.
Als Mathilde Schönberg den Komponisten mit dem Maler Gerstl betrog, fiel der Gatte ebenfalls in eine tiefe Krise - und stieß auf die Gedichte aus den "Hängenden Gärten" Georges: "Wenn ich heut nicht deinen leib berühre", hieß es da in Georges spezieller Orthografie, "Wird der faden meiner seele reissen".
Schönberg stürzte sich in die Arbeit und schuf die ersten Stücke, die musikalisch nicht mehr der alten Harmonik gehorchen, die immerhin rund vier Jahrhunderte lang die Musik im Innersten zusammengehalten hatte. Die 15 Gedichte aus Georges "Buch der Hängenden Gärten" in Schönbergs Vertonung zählen zu den ersten Kompositionen in freier Tonalität: Es war der Beginn einer musikalischen Entwicklung, die 1908 niemand absehen konnte, die aber das gesamte Jahrhundert der ernsten Musik prägen sollte.
Jetzt konnte man den Zyklus im Rahmenprogramm der Heidelberger George-Ausstellung im Betriebswerk des TankTurms hören und wurde gleichzeitig von Albrecht Dümling höchst kompetent über die Entstehungshintergründe beider Zyklen, des lyrischen wie des musikalischen, informiert.
Er verkörpert ein Stück der Heidelberger Literaturgeschichte: der Schriftsteller Stefan George. Repro: Friederike Hentschel
Die fabelhaft intonationssichere Mezzosopranistin Truike van der Poel und der Pianist J. Marc Reichow interpretierten diese Lieder ebenso klanglich nuanciert wie rhythmisch und dynamisch pointiert. Die bisweilen schwülstige Rhetorik des Dichters, selbst mehr vokale Klangkunst als sprachliche Beschreibung eines Gefühls, wurde höchst artifiziell in Musik übertragen, die Wagners "Tristan" ebenso wenig leugnet wie den Wunsch nach der "luft von anderem planeten" (ein weiteres George-Gedicht, das Schönberg in seinem Streichquartett op. 10 vertonte). Lieder von Conrad Ansorge, Theodor W. Adorno und Anton Webern umrahmten Dümlings Vortrag.
Das Eunoia Quintett gastierte kurz zuvor am gleichen Ort mit "Pasolini in Ostia", einer Komposition des Fortner-Schülers Rolf Riehm (2013). Die Sopranistin Johanna Greulich sang sie mit zirzensischen Koloraturen und gestaltete sie auch gestisch. Textgrundlagen für das Werk sind ein Polizeibericht über die Verhaftung des mutmaßlichen Pasolini-Mörders und Arien-Texte aus der Matthäuspassion, die Riehm neu interpretiert. Eine beeindruckende Aufführung, der Werke von Robin Hoffmann und Andreas Frank folgten.