RNZ-Corona-Podcast - Folge 83

"Omikron beeinflusst die Debatte um die Impfpflicht"

Geht es überhaupt noch um den Schutz der Allgemeinheit?  Uni-Chefvirologe Hans-Georg Kräusslich über eine Debatte ohne festes Ziel.

14.01.2022 UPDATE: 14.01.2022 19:40 Uhr 3 Minuten, 14 Sekunden

Von Klaus Welzel

Heidelberg. Bei der Impfpflicht gehen die Meinungen auseinander. Was sagt eigentlich der Virologe anhand der Omikronwelle dazu? Fragen an Hans-Georg Kräusslich, den Chefvirologen am Heidelberger Universitätsklinikum in der 83. Folge des RNZ-Corona-Podcasts.

Prof. Kräusslich, Omikron überrollt das Land, die Infektionszahlen steigen. Brauchen wir angesichts des eher schwachen Verlaufs einer Infektion überhaupt eine Impfpflicht?

Es stimmt schon, bei Omikron-Infektionen kommen weniger Menschen in die Kliniken und auf die Intensivstation. Trotzdem werden sich – angesichts der hohen Infektiosität der Variante – sehr viele Menschen anstecken und deswegen auch eine Menge Menschen in die Kliniken kommen. Aktuelle Zahlen aus den USA besagen, dass die Wahrscheinlichkeit, in die Klinik zu müssen mit Omikron vierfach geringer ist, die Gefahr, an dieser Infektion zu versterben, etwa zehnfach geringer, als bei den vorherigen Varianten. Das bedeutet zwar weniger Belastung in den Kliniken, aber in den USA sind dennoch vielerorts die Intensivstationen voll und täglich versterben 1600 Menschen an Corona. Sehr viele davon aber ungeimpft. Insofern ist es nach wie vor äußerst wichtig, sich impfen zu lassen. Die Aussage, Omikron sorgt für einen leichten Verlauf, deshalb infiziere ich mich schnell damit, dann bin ich durch – die ist falsch. Man weiß eben nicht, ob man zu dieser Gruppe gehört – oder zu jener.

Die Vorsitzende des Ethikrates betont ja, ihr Votum sei durch die Variante Delta geprägt gewesen. Sehen Sie da ebenfalls einen Unterschied?

Ja, das macht einen deutlichen Unterschied. Bis eine Impfpflicht umgesetzt werden könnte, hätten wir sicherlich Sommer, die aktuelle Omikronwelle dürfte im März weitgehend durchgelaufen sein, sie wird dadurch nicht mehr aufgehalten. Die zentrale Frage ist aber: Was will man mit einer Impfpflicht erreichen? Wesentlich ist der Allgemeinschutz, das Eindämmen der Ausbreitung. Nun werden sich zum einen wegen der hohen Infektiosität sehr viele Menschen mit Omikron anstecken, sodass die Zahl der Genesenen zunimmt. Zudem schützt die Impfung gegen Omikron nicht so gut vor Infektion (wohl aber vor Erkrankung) und es infizieren sich auch Geimpfte, die das Virus weitergeben können. Natürlich bleibt es richtig und wichtig, sich impfen zu lassen, um den individuellen Schutz zu erreichen. Aber der Individualschutz alleine reicht eventuell nicht, um eine Impfpflicht rechtssicher zu begründen. Und der Allgemeinschutz vor Infektion wird durch Omikron teilweise unterlaufen.

Was ja genau diese Fragen aufwirft.

Für mich stellt es sich so dar, dass seit letztem Spätsommer über eine Impfpflicht diskutiert wird, ohne dass wir wirklich vorankommen und ohne zu definieren, was genau gemeint ist. Auch in Österreich, wo die Impfpflicht zum 1. Februar beschlossen wurde, gibt es eine erneute Diskussion, wie und ob man das angesichts Omikron so umsetzt. Also ja, Omikron beeinflusst die Debatte um die Impfpflicht eindeutig und das ist auch richtig.

Stiko-Chef Mertens wiederum lehnt mittlerweile eine Impfpflicht ab, weil sie praktisch kaum umzusetzen ist. Und dann gibt es noch die andere, ganz praktische Frage, dass es mit einer Impfung nicht getan sein wird, sondern immer wieder aufgefrischt werden müsste – kann es da überhaupt verlässliche Empfehlungen geben?

Aus meiner Sicht ist es zunächst nicht glücklich, wenn ein Vertreter der Ständigen Impfkommission seine Empfehlung mit Problemen der Umsetzung begründet, die Stiko hat eine andere Aufgabe. Aber sicherlich wäre es generell hilfreich gewesen, wenn man in der Debatte frühzeitig klar dargelegt hätte, was genau gemeint ist. Es gab eine heftige Diskussion, ob man die allgemeine Impfpflicht einführt oder ablehnt, aber die konkrete Umsetzung blieb unklar. Dafür braucht es ein Impfregister, das aktuell nicht besteht, wer wird geimpft, wie oft und bis wann? Natürlich ist das in der Pandemie im Fluss, aber es ging immer nur um Impfpflicht: Ja oder Nein. Da blieb meines Erachtens zu vieles zu lange unklar und ist es immer noch.

Wem raten Sie denn zur vierten Impfung – auch wenn die meisten Menschen noch nicht einmal die dritte Spritze erhalten haben? Und welchen zeitlichen Abstand empfehlen Sie?

Es gibt Daten aus Israel, die zeigen, dass nach einer erneuten Impfung, also nach der vierten Spritze, die Menge an Antikörpern wieder auf den Stand kurz nach der dritten Impfung ansteigt. Das ist gut, aber nicht sehr gut. In Israel wurde empfohlen, Personen mit Immunschwäche oder schweren Erkrankungen erneut zu impfen. So sehe ich es im Moment auch, vielleicht auch für Menschen in hohem Lebensalter mit einem Abstand von ca. fünf Monaten nach der dritten Impfung. Aber aktuell sicher nicht für alle. Man sollte auch bedenken, dass eventuell im Frühsommer ein an Omikron angepasster Impfstoff für die Auffrischung verfügbar sein könnte. Das könnte besser sein, als sich jetzt frühzeitig erneut mit dem bisherigen Impfstoff impfen zu lassen, wenn kein erhöhtes Risiko besteht. Wobei wir natürlich noch nicht wissen, ob es mit dem angepassten Impfstoff genauso gut klappt; das müssen wir abwarten.

Wir sprachen schon des Öfteren über die Anpassung der Impfstoffe. Dauert diese nun doch länger, als ursprünglich von Ihnen erwartet?

Die Annahme war immer, dass zum Ende des ersten Quartals die Zulassung eingereicht werden könnte, wenn alles gut läuft. Omikron wurde erstmals im November beschrieben; schneller kann es nicht gehen, wenn man entwickeln, testen und herstellen muss. Insofern könnte vielleicht im Mai/Juni damit breit geimpft werden, das wäre meiner Meinung nach unglaublich schnell.

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