Festivalleiter Rainer Kern im Interview
Vom 1. Oktober bis zum 14. November wird es dabei neben Konzerten auch diverse andere kulturelle Projekte geben. Vor dem Auftakt sprach unser Autor Peter Wiest mit Rainer Kern.

Rainer, das Enjoy Jazz Festival wird mittlerweile von verschiedener Seite als kultureller Botschafter der Region geschätzt und auch gefördert. Welche Bedeutung hat das für Sie?
Rainer Kern: Wir freuen uns darüber. Dass die Anerkennung für unsere Arbeit in den letzten Jahren vielleicht nochmals zugenommen hat, ist auch ein Zeichen dafür, dass sich das Bewusstsein für die Bedeutung gesellschaftlich relevanter Meta-Themen verändert, die von Beginn an in dem Konzept von Enjoy Jazz angelegt waren. Im Übrigen war der Jazz schon immer ein Schmelztiegel genau solcher großer Themen: Unterdrückung, Ausgrenzung, Rassismus, Inklusion, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit – in welchem anderen Genre wird das seit 100 Jahren derart konsequent aufgezeigt und verhandelt wie im Jazz?
In den letzten Jahren sind bei Enjoy Jazz neben der Musik immer mehr neue und andere Projekte dazu gekommen. Weshalb ist Ihnen das so wichtig?
Natürlich sind und bleiben wir in erster Linie ein Musikfestival. Aber wir sind eben auch ein Diskurs-Festival. Für mich ist eine Beschäftigung mit Musik und Kunst im Allgemeinen nur mehrdimensional möglich oder sinnvoll. Die Beschäftigung und Konfrontation mit Kunst lehrt einen, mit komplexen Systemen oder Situationen besser umgehen zu können. Wir wollen Angebote unterbreiten, sich mit aus der Musik heraus entwickelten Themen und Fragestellungen auch außermusikalisch auseinanderzusetzen, wenn das zu einer perspektivischen Erweiterung oder Verdichtung eben dieser Themen führt. Aber alles, was wir neben dem Konzertprogramm anbieten, basiert letztlich auf einem musikalischen Impuls.
Welche Themen-Schwerpunkte gibt es im neuen Programm?
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Eine Jazzszene, die bei Enjoy Jazz schon immer stark repräsentiert war, ist die jüdische und insbesondere die israelische. Da lag es natürlich nahe, dass wir uns an den Feierlichkeiten zu "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" beteiligen. Und das nicht nur mit einem einzelnen Konzert, sondern mit einer ganzen Veranstaltungsreihe, einschließlich einer großen Auftragskomposition. Dann haben wir zwei Veranstaltungen zum Thema Intersektionalität im Programm: eine partizipative und eine, die zugleich der Start einer neuen Reihe ist, der "Christian Broecking Lecture", mit der wir an den unserem Festival sehr verbundenen Anfang des Jahres verstorbenen großen Jazz-Publizisten erinnern möchten.
Neben bekannten Namen treten beim "Festival für Jazz und Anderes", wie es ja offiziell heißt, immer auch weniger oder überhaupt nicht bekannte Künstler auf. Welche sind das in diesem Jahr?
Noch nicht bekannte Künstler trifft es meiner Erfahrung nach eher. Über Melanie Charles habe ich ja schon gesprochen. Auch ihre Kollegin Angel Bat Dawid, eine Sängerin und Klarinettistin, hat mich mit ihrem Debütalbum "Oracle" wirklich tief berührt. Und die griechische Pianistin Tania Giannouli, die sich in den letzten zwei Jahren mit drei sehr unterschiedlichen Projekten zum Festivalliebling entwickelt hat, muss natürlich ihr neues und herausragendes Trio mit Oud und Saxofonen vorstellen.
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Wird es wie ab und an in den letzten Jahren auch dieses Mal wieder einen Artist in Residence geben?
Nein. Wir haben diese Pläne bewusst verschoben. Ein Artist in Residence braucht insbesondere die Freiheit, Dinge ausprobieren zu können, ungewöhnliche Projekte zu initiieren, überraschende Besetzungen zusammenzustellen. All das ist durch die aktuelle Situation nicht in dem Maße gegeben, wie wir uns das für einen Artist in Residence wünschen.
Erstmals ist in diesem Jahr ein Festival-Plakat eingeführt worden, das ab sofort fester Bestandteil von Enjoy Jazz sein wird. Was hat es damit auf sich?
Den Gedanken, die bildende Kunst künftig korrespondierend einzusetzen, hatte ich schon lange. Nun hat sich eine außergewöhnliche Chance ergeben, die wir einfach nutzen mussten: Frida Orupabo, eine der spannendsten Protagonistinnen der gegenwärtigen Kunstszene, ist große Jazzliebhaberin und hat mit einem ihrer Werke ein künstlerisches Festivalplakat gestaltet. Mehr noch: Neben diesem Plakat wird es im kommenden Jahr eine signierte und nummerierte Kunst-Edition des Motivs in Kleinauflage geben, mit deren Erlös, auf ausdrücklichen Wunsch von Frida Orupabo hin, ausschließlich Künstler, Künstlerinnen und Kunstprojekte gefördert werden sollen.
Wird es neben den bereits traditionellen Spielorten in Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen auch wieder neue geben?
In diesem Jahr sind wir unter anderem erstmals im Kloster Stift Neuburg zu Gast. Außerdem wird es Veranstaltungen im Kunstverein Heidelberg, im Landfried Tabakmuseum Heidelberg, in der Benjamin Franklin Elementary School in Mannheim und im Patrick Henry Village Heidelberg geben – allesamt großartige Orte, die wir bislang noch nie bespielt haben.
Immer wieder werden Stimmen laut, das Festival auch mal zu "exportieren", vielleicht in eine andere deutsche Region oder sogar ins Ausland. Ist so etwas mittel- oder langfristig angedacht?
Wir sind zwar ein internationales Festival, fühlen uns aber in der Metropolregion und den Festivalstädten Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen sehr wohl. Wir wollen diesem wunderbaren Kultur-Standort weiterhin und dauerhaft die Treue halten. Natürlich ist ein dankenswerterweise stetig wachsendes Renommee ohne ein adäquates wirtschaftliches Wachstum auf Dauer nicht zu haben. Diesen Spagat müssen wir hinbekommen. Und ich bin zuversichtlich, dass uns das auch gelingen wird. Denn ich bin mir sehr sicher, dass alle – Festival, Kommunen und Partner – die Zukunftsfähigkeit eines solchen weltweit bestens eingeführten Flaggschiff-Projekts gemeinsam gewährleisten werden. Dies ist eine Kulturregion. Das ist kein Verdienst, sondern eine Verpflichtung. Und wir wollen unseren Teil dazu beitragen, diese Verpflichtung Jahr für Jahrs aufs Neue einzulösen.



