Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci im Porträt
Schon als Kind sei er stur gewesen, später dann meinungsstark und diskussionsfreudig, aber immer neugierig.

Von Timo Teufert
Wiesloch. Es ist nicht nur ein Spaziergang durch Wiesloch, den Lars Castellucci für ein Porträt in der RNZ ausgewählt hat, es ist ein Spaziergang zu wichtigen Stationen seines Lebens: Angefangen am Elternhaus führt der Weg an seiner Schule, seinem Wohnhaus, dem Wieslocher Wohnzimmer und dem Tafelladen in der Friedrichstraße vorbei. Auf dem Weg berichtet der SPD-Bundestagsabgeordnete, der sich am 26. September wieder zur Wahl stellt, wie er zur Politik kam, was für ihn wichtig ist und woran er sich gerne zurückerinnert.
Aufgewachsen ist der 47-Jährige in der Straße "Zum Keitelbach" und hatte dort eine "super Kindheit": Die beste Freundin wohnte nur ein paar Häuser entfernt, die Großeltern direkt gegenüber. Schon damals habe man ihn in der Weinstadt gekannt, scherzt der Abgeordnete. Denn wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, setzte er das meist mit lautem Gebrüll durch – etwa, wenn es um Süßigkeiten im Supermarkt ging, die ihm verwehrt wurden, oder den Schulweg, auf dem ihn seine Mutter begleiten wollte. "Ein bisschen Sturheit hilft. Das habe ich mir bis heute bewahrt", lacht Castellucci.
Nach der Schillerschule und dem heutigen Ottheinrich-Gymnasium wechselte er in der 11. Klasse ans Walldorfer Gymnasium: "Ich wollte Leistungskurs Politik oder Geschichte machen, beides wurde in Wiesloch nicht angeboten." Der Wechsel sei ein Kulturschock gewesen: "In Walldorf gab es Teppichboden in den Klassenräumen und alle haben sich gut verhalten." Es sei eine Herausforderung gewesen, denn an seine guten Leistungen in Deutsch konnte er zunächst nicht anknüpfen: "Bei mir ging ein Satz über zwei Seiten. Mein Wieslocher Lehrer fand das toll", sagt Castellucci. Sein Walldorfer Lehrer schenkte ihm dagegen ein Buch, wie man sich verständlicher ausdrücken könne: "Das hilft mir bis heute."
Nach seinem Zivildienst im Psychiatrischen Zentrum studierte er Politik, Geschichte und Öffentliches Recht in Heidelberg. Weil seine Eltern geschieden und beide berufstätig waren, gab es kein Bafög. Deshalb spielte Castellucci Orgel. Klavierspielen lernte er schon mit sechs Jahren, nach der Konfirmation auch das Orgelspielen. "Der Klang hat mich fasziniert", sagt er. Bis zu 20 Gottesdienste pro Monat habe er begleitet. Endgültig aufgehört hat Castellucci mit dem Orgelspiel erst vor drei Jahren: "Am Ende war das nur noch öffentliches Üben", sagt er selbstkritisch. Ihm habe einfach die Zeit gefehlt.
Auch interessant
Wie verwurzelt er in Wiesloch und der Region war, sei ihm erst klar geworden, als er ein Jahr lang an der US-Westküste war. Sein Auslandsaufenthalt in San Francisco wurde durch Stipendien der Universität, der Fulbright-Kommission und der Friedrich-Ebert-Stiftung ermöglicht. "Das war für mich eine ganz wichtige Erfahrung um zu schauen, wo komme ich her?" Während dieser Zeit pausierte auch sein anderer Nebenjob: Castellucci leitete zehn Jahre lang den Baiertaler Kirchenchor.
Für die Politik begeisterte er sich, als Johannes Rau 1987 für die SPD als Kanzler kandidierte. "Das Plakat war damals eher konservativ, Rau war vor einer Deutschlandfahne abgebildet. Mich hat es angesprochen." Politisiert wurde er im Elternhaus eines Freundes: "Wir haben mit den Eltern oft die Polit-Magazine im Fernsehen gesehen und anschließend ein Gespräch darüber geführt", berichtet er. Das sei sehr wichtig gewesen. Den damaligen CDU-Kanzler Helmut Kohl konnte Castellucci nicht leiden und war eher den SPD’lern zugeneigt. "Ich hatte immer das Gefühl, dass die die breite Bevölkerung im Blick haben."
Politisch einschneidend sei die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl für ihn gewesen: "Inhaltlich schwankte ich da zwischen Rot und Grün", sagt er. Den Parteieintritt habe er noch lange hinausgezögert, auch weil er Bedenken hatte, dass man ihn wegen seines italienischen Namens nicht wählen würde. Zu den Jusos, der SPD-Jugendorganisation, zog es ihn damals nicht: "Die wollten immer nur, dass Cannabis legalisiert wird. Das hat mich nicht sonderlich interessiert", so Castellucci. Mit knapp 19 Jahren wurde er deshalb Vorsitzender des Ortsvereins Wiesloch, kandidierte 1994 für den Gemeinderat und verpasste den Einzug knapp. "Meinungsstark und diskussionsfreudig" sei er gewesen, erinnert er sich. Doch bald habe er gemerkt: "Wenn ich was bewegen will, dann geht das nur mit anderen zusammen."
In der Zeit nach der Wiedervereinigung, als die Arbeitslosenzahlen auch in Westdeutschland stiegen, habe er bei einem SPD-Neujahrsempfang seine Idee eines Runden Tisches für Arbeit vorgestellt – in Anlehnung an die Runden Tische der Kirchen in Ostdeutschland. Zunächst sei es sehr durcheinander gegangen, erst als der damalige Erste Bürgermeister Franz Schaidhammer die Teilnehmer zur Räson rief, ging es voran: Es entstand die Beschäftigungsinitiative Wiesloch und Umgebung (Biwu), die sich mittlerweile zu einem kleinen Sozialunternehmen entwickelt hat. Getreu dem Motto: Es ist besser Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit, bietet die Biwu Wiedereingliederungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose. "Wenn das nicht gelungen wäre, hätte ich es wieder aufgegeben", sagt Castellucci rückblickend. Später gründete er auch andere Institutionen des bürgerschaftlichen Engagements mit, etwa den Tafelladen oder die Bürgerstiftung. "Wiesloch als Stadt hat zwar nicht viel Geld, aber am bürgerschaftlichen Engagement mangelt es hier nicht."
1999 trat Castellucci erneut bei der Gemeinderatswahl an und erhielt die meisten Stimmen aller SPD-Stadträte, die zweitmeisten im gesamten Rat. Und das, obwohl er nicht Spitzenkandidat war. Den Platz überließ er einer Frau: "Ich habe versucht, die Regel aufzubrechen, dass immer Männer vorne sind." Die 15 Jahre im Wieslocher Rat seien ein super Rüstzeug für den Bundestag gewesen, in den er 2013 mit 39 Jahren gewählt wurde. Zuvor war Castellucci 13 Jahre lang für eine Kommunikations- und Strategieberatung tätig. Damals packte ihn der Ehrgeiz, doch noch neben dem Job zu promovieren, nachdem er am Studienende möglichst rasch die Uni verlassen wollte. "Für mich stand immer fest: Politiker müssen wirtschaftlich immer unabhängig sein." 2013 erhielt er schließlich den Ruf an eine private Mannheimer Hochschule und unterrichtete dort Beratung.
Zwar hat Castellucci über Arbeitsmarktpolitik promoviert, im Bundestag seien aber alle Ausschussplätze in diesem Bereich kompetent besetzt gewesen. "Ich bin neugierig auf Neues und habe mich im Innenausschuss mit Demokratiefragen, Migration und Integration beschäftigt." Außerdem ist der Abgeordnete Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften seiner Fraktion und so ist auch das Thema "Missbrauch in der Kirche" für ihn unausweichlich und kein leichtes Thema.
Nach zehn Jahren als Kreisvorsitzender der SPD-Rhein-Neckar und 14 Jahren im Landesvorstand kandidierte Castellucci 2018 für den Landesvorsitz seiner Partei. Bei einer Mitgliederbefragung unterlag er zwar Leni Breymaier mit nur 39 Stimmen, hielt im Gegensatz zu ihr aber an seiner Kandidatur fest. Auf dem Parteitag trat schließlich der Landtags-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch gegen ihn an und setzte sich knapp durch. "Demokratie führt zu Verletzungen", sagt Castellucci heute. Man müsse es abhaken und weiterarbeiten, das Kapitel sei abgeschlossen.
Ausgleich zum Abgeordnetenmandat findet der 47-Jährige beim Joggen, Radfahren und Schwimmen.



