Impfwillige und Impfstoff braucht es noch
Das Kreis-Impfzentrum im Gewerbegebiet "Breite Seite" ist seit Mittwoch startklar. Am 22. Januar soll es in Betrieb gehen.

Von Tim Kegel
Sinsheim. Entspannung? Der Corona-Inzidenz-Wert im Rhein-Neckar-Kreis war gerade auf 127,3 gesunken; am 22. Dezember lag er noch bei 254,2. Und mit der Eröffnung des Kreis-Impfzentrums in den früheren Parsa-Hallen im Gewerbegebiet "Breite Seite" war der 13. Januar auch so ein denkwürdiger Tag.
Hintergrund
> Zu 90 Prozent wirksam – was heißt das eigentlich beim Thema Impfstoffe? Man sollte meinen, dies bedeutet, dass nach der Verabreichung eines Vakzins neun von zehn Menschen von einer Erkrankung geschützt sind. "Stimmt nicht", sagt das renommierte Leibniz-Institut für
> Zu 90 Prozent wirksam – was heißt das eigentlich beim Thema Impfstoffe? Man sollte meinen, dies bedeutet, dass nach der Verabreichung eines Vakzins neun von zehn Menschen von einer Erkrankung geschützt sind. "Stimmt nicht", sagt das renommierte Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, welches regelmäßig in Zusammenarbeit mit Berliner Forschern eine "Unstatistik" mit populären Missverständnissen und Folgerungsfehlen herausgibt.
Die Untersuchung der Wirtschaftswissenschaftler ging so: Wäre der Impfstoff wirksam bei 90 Prozent der Menschen, die sich impfen lassen, so würde dies bedeuten, dass bei einer Impfung aller 83 Millionen Menschen in Deutschland 90 Prozent geschützt wären. Zehn Prozent – in diesem Fall 8,3 Millionen – können sich anstecken. Dies wären jedoch weit mehr Infizierte als bisher der Fall. Daher muss es anders gemeint sein.
"Die 90 Prozent beziehen sich nicht auf die Gruppe der Geimpften, sondern auf jene der Infizierten", schreiben die "Unstatistik"-Fachleute. Und sie beziehen sich auf eine Studie von "Biontech" mit 43.000 Teilnehmern, von denen die eine Hälfte den Impfstoff, die andere Hälfte ein Placebo bekam. Eine Woche nach der zweiten Impfung habe es 94 bestätigte Covid-19 Fälle gegeben. Die "Wirksamkeit" wird in einem Protokoll der Studie von Pfizer definiert, erläutern die Forscher weiter, indem nun der Anteil der Covid-19-Fälle unter den tatsächlich Geimpften durch den Anteil der Erkrankten in der Placebo-Gruppe geteilt wurde. Um den Wert nun in Prozenten auszudrücken, wird dieser von "1" abgezogen und mit 100 malgenommen. Daraus lässt sich ableiten, dass es bei den Geimpften acht, in der Gruppe mit Placebo etwa 86 Fälle gegeben hat. Dies entspricht nun ziemlich genau einer Reduktion von etwa 90 Prozent. Und das bedeutet auch, dass sich die Angabe auf den Anteil an Infizierten, nicht auf jenen der Geimpften bezieht.
"Zu 90 Prozent wirksam", sagen die "Unstatistiker", beziehe sich weder auf neun von zehn Menschen, die zur Impfung gehen, noch auf alle Studienteilnehmer oder gar die Impfwilligen in Deutschland. Deshalb sprechen die Wissenschaftler auch von einer relativen Risikoreduktion mit Bezug auf die Infiziertenzahl, nicht jedoch von einer absoluten Reduktion mit Bezug auf sämtliche Geimpfte. Ein Unterschied, räumen sie ein, der "für viele Menschen schwer zu verstehen" sei. Wichtig sei auch, dass sich 90 Prozent Wirksamkeit auf die Verminderung von Infektionen beziehe, "nicht von schweren Erkrankungen oder gar Todesfällen". Dass die Reduktion "in gleichem Maß" durchschlägt, könne man derzeit "nur hoffen". (tk)
"Wir sind startklar", sagte Landrat Stefan Dallinger mit Betonung auf dem "Wir". Es fehle nur noch immer der Impfstoff. Nun soll nach Informationen der Landesregierung ab dem 22. Januar geimpft werden. Termine könnten dann ab dem 19. Januar vereinbart werden. Die Verzögerungen erklärt sich der Landrat damit, dass man sich im Bund "richtigerweise nicht nur auf einen Impfstoff-Hersteller verlassen" habe. Dallinger könne "die Ungeduld" der Menschen gut nachempfinden, will sich selbst impfen lassen und meint, dass die Impfung Voraussetzung "für die Rückkehr zu unserem normalen Leben ist". Trotzdem wurde beim Auftakt mehrfach die Freiwilligkeit betont und von "all denen, die geimpft werden wollen" gesprochen.
An der Impf-Strecke stehen Statisten bereit. Mitarbeiter des Landratsamts spielen die Stationen durch, die Stimmung ist heiter. Im Einbahnstraßen-System geht es vom Check-in durch die Stationen. "Eine Stunde inklusive Wartezeit" soll ein Impfvorgang dauern, etwa 500 Menschen können dann maximal pro Tag in der Halle behandelt werden, zunächst Senioren um die 80 Jahre, Risikogruppen, Leute aus Pflegeberufen. Maximal zehn Personen sollen zeitgleich die Stationen durchlaufen, im Zeitraum von 7 bis 22 Uhr. Bei der Terminabsprache wird die Impfberechtigung geprüft und gleich ein zweiter Impftermin gebucht. Hierzu benötigter Impfstoff wird vorgehalten, "damit nichts knapp wird". Es gibt vier Impfkabinen.
Aufklärung habe einen hohen Stellenwert, sagen Dezernatsleiterin Doreen Kuss und Christoph Schulze, verantwortlicher Arzt beim Gesundheitsamt. Gäste im Impfzentrum sehen nach der Anmeldung bei einer Gruppenaufklärung mit bis zu sechs Personen einen Informationsfilm, der auch mit englischen und türkischen Untertiteln versehen ist; sie sprechen mit Ärzten, etwa über Vorerkrankungen und Impfrisiken, und können Fragen stellen. Ihr Einverständnis erklären sie nach der Lektüre eines Aufklärungsbogens schriftlich und per Ankreuzen.
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Verabreicht werden soll in Sinsheim zunächst voraussichtlich der "mRNA"-Impfstoff von Biontech/Pfizer, ein Impfstoff neuester Generation. Der Aufklärungsbogen zur Corona-Impfung – verfasst vom Robert-Koch-Institut am 11. Januar – war beim Präsentationstermin nicht vor Ort zu bekommen, kann aber im Internet auf der Seite des Landratsamts eingesehen werden.
Der Aufklärungsbogen hat fünf Seiten und umreißt Nutzen- und Risikopotenziale der verschiedenen Impfstoffe. Erläutert wird darin auch die Wirkweise der "mRNA", die eine "Bauanleitung" für jedes einzelne Eiweiß des Körpers und "nicht mit der menschlichen Erbinformation – der DNA – zu verwechseln" sei. Der Impfstoff enthalte eine "Bauanleitung" für "einen einzigen Baustein" des Virus: Das Spikeprotein, welches "für sich alleine harmlos" und der Impfstoff deshalb nicht infektiös sei.
Die "mRNA" des Impfstoffs, heißt es weiter, werde "nicht ins menschliche Erbgut eingebaut", sondern im Körper abgebaut. Dann werde auch kein Virus-Eiweiß mehr hergestellt. Die Spikeproteine würden vom Immunsystem als Fremdeiweiße erkannt, wodurch "Abwehrzellen aktiviert" und gebildet würden, neben Antikörpern gegen das Spikeprotein. Hierdurch entstehe eine "schützende Immunantwort". Das Blatt sagt außerdem, dass eine geimpfte Person "mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erkranken" werde, wenn sie mit dem Erreger in Kontakt komme. Studiendaten würden zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken, bei geimpften Personen um, je nach Impfstoff, 95 oder 94 Prozent geringer sei als bei nicht Geimpften. Wie lange der Impfschutz anhält und ob Geimpfte das Virus weiterverbreiten können, sei derzeit allerdings "noch nicht bekannt".
Nach der Impfung ist ebenfalls ärztliches Personal zur Stelle. Geimpfte warten noch 15 Minuten in einem Ruhebereich. Dort ist auch der Notfallraum, der, wie Schulze umschreibt, "mit einem Notfallkoffer und allen nötigen Utensilien" ausgestattet sei. Die Kabine liegt, von Blicken geschützt, in einer Nische hinter den zahlreichen Trennwänden.
Komplikationen träten "etwa ein Mal pro Tag"auf, sagt Kuss auf Nachfrage der RNZ. Diese Erfahrung mache man im Heidelberger Impfzentrum, das seit 27. Dezember in Betrieb ist. Überwiegend handle es sich hierbei um "allergische Reaktionen" oder Kreislaufprobleme. Die Zahl hält Kuss für "eher positiv", weil sie zeige, dass der Impfstoff gut vertragen werde. Zur bisherigen Impfbereitschaft wurde wenig Konkretes gesagt, nur dass man aus den Rückmeldungen der Impfteams in stationären Einrichtungen eine "recht hohe" Bereitschaft wahrnehme. "Wir erfassen es aber nicht", sagt Kuss. "Überwältigt" sei man allerdings von den vielen Bewerbungen zur Mitarbeit in den Impfzentren, wird Landrat Dallinger in einer Pressemeldung zitiert.
Hohe Sicherheitsvorkehrungen gelten auf dem Gelände, dessen vordere Hallen auch als Corona-Testzentrum dienen. Die Zugänge sind getrennt. Keine Angaben machen die Verantwortlichen über den Lagerort des Impfstoffs. Auch wurde darum gebeten, auf das Fotografieren der Hallenanordnung von oben "aus polizeirechtlichen Gründen" zu verzichten. Ein Sicherheitsdienst überwacht den Gebäudekomplex rund um die Uhr.
Die Anmeldung für einen Termin läuft einzig und allein über eine Telefon-Hotline und eine Internetseite des Gesundheitsministeriums: Für Sinsheims Oberbürgermeister Jörg Albrecht verbesserungswürdig; er sorgt sich, dass hierdurch gerade die Klientel "Hochbetagte, alleinstehend, im Eigenheim, pflegebedürftig ein bisschen durchs Raster fallen könnte". Gleichzeitig ist er sich sicher, dass die Verantwortlichen "aus nachvollziehbaren Gründen nicht gleich einen reibungslosen Ablauf garantieren können". Dennoch ist er überzeugt: "Jeder wird sein Bestes geben."
Info: Terminvereinbarung ab 19. Januar unter Telefon 116.117 oder www.impfservice.de



