Heidelberger Energie-Genossenschaft

Von der Studenten-Idee zum Unternehmen

Vor zehn Jahren gründete sich die lokale Energie-Genossenschaft. Ein Interview mit zwei Vorständen.

07.09.2020 UPDATE: 08.09.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 32 Sekunden
Zehn Jahre Heidelberger Energiegenossenschaft: Die Vorstände Laura Zöckler (l.) und Andreas Gissler zeigen die neueste Baustelle: das Dach der Heidelberger Brauerei. Dort entsteht gerade die größte Solaranlage der HEG in der Stadt. Foto: Rothe

Von Denis Schnur

Heidelberg. Genau zehn Jahre ist es heute her, dass 17 Menschen die Heidelberger Energie-Genossenschaft (HEG) ins Leben riefen. Coronabedingt muss das Jubiläumsfest ausfallen, dabei hätten die Verantwortlichen und die Mitglieder noch viel mehr zu feiern. Denn die HEG ist seit 2010 eine Erfolgsgeschichte, sie ist heute professionell aufgestellt, erzeugt nicht nur Solarstrom in der Region, sondern liefert diesen auch gemeinsam mit anderen Genossenschaften direkt an Kundinnen und Kunden. Zum "Geburtstag" der Initiative traf sich die RNZ mit zwei von drei Vorständen – auf dem Dach der Heidelberger Brauerei im Pfaffengrund. Denn dort realisiert die Genossenschaft derzeit ihre größte Solaranlage im Stadtgebiet. Andreas Gissler, 34 Jahre und von Beginn an dabei, und Laura Zöckler, 30 Jahre und seit 2018 im Vorstand, lassen im Interview die letzten zehn Jahre Revue passieren und berichten, was sie noch vorhaben.

Die Idee entstand an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg (PH), wo ein Teil der Gründungsmitglieder studierte. Darunter befand sich auch Andreas Gissler, der heute als Lehrer an der Internationalen Gesamtschule in Heidelberg arbeitet.

Herr Gissler, wie kamen Sie auf die Idee, die Energiewende selbst in die Hand zu nehmen?

Gissler: Ich hatte im Winter 2008/09 ein Seminar zu Erneuerbaren Energien an der PH besucht. Als Seminararbeit habe ich mit zwei Kommilitonen ein Konzept für eine Solaranlage auf dem Dach des PH-Gebäudes erstellt und das auch umgesetzt.

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Klingt kompliziert.

Gissler: War es aber gar nicht. Da wir noch sehr jung waren, wollten wir die Anlage nicht selbst betreiben, sondern haben eine Firma dafür gesucht. Dabei haben wir gemerkt, wie unkompliziert das ist und dass man sich leicht Unterstützung holen kann, wenn man nicht weiterkommt. Da hatten wir Blut geleckt und wollten weitere Projekte umsetzen.

Am 8. September 2010 trafen sich dazu 17 Menschen und gründeten die HEG. Einige von ihnen hatten ebenfalls das Seminar besucht. Zehn Jahre später hat die Genossenschaft 711 Mitglieder. Mit insgesamt 22 Solaranlagen in der Region erzeugt sie bis zu drei Megawatt Ökostrom. Der Vorstand arbeitet weiter ehrenamtlich, in einer Tochterfirma sind mittlerweile jedoch zehn Mitarbeiter beschäftigt.

Aus der Idee einiger Studenten ist ein professionelles Unternehmen geworden. Wie geht das?

Zöckler: Der größte Schritt war wohl 2016. Da haben wir gemerkt, dass wir das Tempo, das für die Energiewende nötig ist, nur mit Ehrenamtlichen nicht hinbekommen. Deshalb haben wir angefangen, hauptamtliche Stellen zu schaffen.

Es ging los mit einer Teilzeitstelle.

Zöckler: Genau, die hat sich erst mal nur um die Mitglieder gekümmert. Mittlerweile haben wir eine Tochterfirma, die Anlagen baut. Dort sind unter anderem eine Metallbauerin und ein Zimmerer beschäftigt.

Weil Sie Geld sparen, wenn Sie die Anlagen selbst bauen?

Gissler: Weil wir so vor allem Zeit und Nerven sparen! Wir müssen nicht auf andere Unternehmen warten und sind in der Umsetzung deutlich schneller. Günstiger ist das aber eigentlich nur bei kleineren Projekten. Bei großen Anlagen wie hier planen wir zwar selbst, suchen uns für die Umsetzung aber Unternehmen.

Auf dem Dach der Heidelberger Brauerei baut die HEG gerade ihre bislang größte Anlage in Heidelberg. Wenn Sie in zwei Wochen fertig ist, werden hier in der Spitze bis zu 289 Kilowatt Strom produziert. Das deckt ein Viertel des Strombedarfs des Bierproduzenten.

Würden 99 weitere Anlagen dieser Größe bis 2025 errichtet, hätte Heidelberg eines seiner Klimaziele erreicht. Wie aufwendig ist das?

Gissler: Das kann ganz schnell gehen. Wir planen eine Anlage in vier bis acht Wochen. Sobald wir dann das Okay des Dachbesitzers haben, dauert es wieder ein paar Wochen, bis wir ans Netz gehen können.

Zöckler: Auch die Kosten sind überschaubar. Es gibt immer noch den Mythos, Solaranlagen wären teuer, aber das stimmt nicht. In der Regel amortisieren sie sich in zehn bis 15 Jahren. Und wenn wir das machen, haben die Dachbesitzer gar keine Kosten, weil wir die Anlage finanzieren.

So läuft es auch im Pfaffengrund. Die Brauerei stellt der HEG ihr Dach zur Verfügung. Im Gegenzug verkauft die Genossenschaft dem Betrieb günstigen, grünen Strom. "Das lohnt sich für uns auch finanziell", betont Brauerei-Inhaber Michael Mack und schwärmt von der Zusammenarbeit. Das Geld für die Investitionen bekommt die HEG von ihren Mitgliedern. 100 Euro kostet ein Anteil, die meisten haben mehr. Insgesamt hat die HEG schon 3,5 Millionen Euro für den Bau von Solaranlagen ausgegeben.

Wer investiert bei Ihnen? Menschen, denen es wichtiger ist mit ihrem Geld Gutes zu tun als Geld zu verdienen?

Gissler: Nicht nur. Auch Menschen, die eine sichere Anlage suchen. Und es ist ja nicht so, als gäbe es bei uns keine Rendite: Ab 1000 Euro können unsere Mitglieder uns Darlehen geben, die mit drei Prozent jährlich verzinst werden.

Und es finden sich genug Mitglieder?

Gissler: Ja, an Investitionen mangelt es nicht. Die Bevölkerung will die Energiewende, das merken wir ganz deutlich.

Das macht sich auch in den Zahlen bemerkbar. Immer mehr Menschen finanzieren immer mehr Anlagen. Im Jahr 2020 ist die Stromerzeugung bisher so stark gestiegen wie in den neun Jahren davor zusammen.

Wieso läuft es im Jubiläumsjahr so gut?

Zöckler: Das hat mehrere Gründe: Die Effizienz der Anlagen hat sich deutlich verbessert, gleichzeitig sind die Preise gesunken. Vergleicht man das mit 2010, haben sich die Kosten halbiert, während sich die Leistung verdreifacht hat. Und unsere Professionalisierung hilft uns natürlich auch.

Aber ginge es nach Ihnen, würde der Ausbau noch schneller gehen?

Zöckler: Er muss schneller gehen, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen.

Was bräuchten Sie dazu?

Zöckler: Mit mehr Flächen könnten wir natürlich mehr ausbauen. Deshalb begrüßen wir, dass die Stadt jetzt bei Neubauten Solaranlagen vorschreibt. Noch besser wäre, wenn man auch bei Sanierungen zumindest begründen müsste, wenn man keine baut. Wenn man sich damit auseinandersetzt, spricht nämlich selten etwas dagegen.

Was würden Sie sich sonst von der Stadt wünschen?

Zöckler: Dass sie und ihre Tochtergesellschaften mehr mit gutem Beispiel vorangehen. So baut die GGH gerade am Höllenstein ein neues Quartier ohne Solarstrom. Auch in der Südstadt entstehen kaum Anlagen. Das ist für uns nicht nachvollziehbar. Man kann doch heute nicht mehr ohne Solaranlagen bauen.

Gissler: Außerdem haben wir ja gemeinsam mit zwei Wohngruppen in der Südstadt gezeigt, wie gut das dort geht. Auf deren Dächern erzeugen wir genug Strom, um 50 Prozent des Bedarfs der Bewohnerinnen und Bewohner zu decken und zudem Ladesäulen für E-Autos und Lastenräder zu betreiben.

Zöckler: Für dieses Modell wurden wir mit Preisen überschütten. Da stellt sich die Frage: Warum nimmt die Stadt das nicht zum Vorbild für andere Quartiere? So schwer ist das nicht. Und wenn sie nicht selbst aktiv wird, soll sie die Flächen freigeben.

Nicht nur für die Versorgung des Südstadtquartiers mit Ökostrom wurde die HEG mit Preisen ausgezeichnet. Den ersten gab es 2013, nachdem man mit einer Baugenossenschaft in Nussloch ein "Mieterstrommodell" entwickelt hatte. Dort konnten erstmals die Bewohner eines Mehrfamilienhauses den Strom vom eigenen Dach beziehen – und zwar günstiger als aus dem Netz.

Die HEG wurde immer wieder ausgezeichnet. Sind das für Sie die Höhepunkte der zehnjährigen Geschichte?

Zöckler: Es gibt vieles, worauf wir stolz sind. Wir waren beim Mieterstrommodell Vorreiter, mittlerweile haben das auch andere übernommen – auch wenn es leider noch nicht Standard ist. 2013 haben wir außerdem gemeinsam mit anderen Energiegenossenschaften die Bürgerwerke gegründet. Seitdem erzeugen wir nicht nur Strom, sondern liefern ihn auch.

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