Coronakrise wird zur Chefinnensache
Bundeskanzlerin Angela Merkel ruft die "Probe der Vernunft" aus - Schulterschluss mit Jens Spahn

Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Der Händedruck zur Begrüßung bleibt aus, Dutzende von Fotografen im voll besetzten Saal der Bundespressekonferenz halten den vorgegebenen Sicherheitsabstand, als sie sich ans Pult setzt. Angela Merkel kehrt zurück in die Rolle der Krisenmanagerin. Seite an Seite mit Gesundheitsminister Jens Spahn und dem Leiter des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. Sie ruft zu Solidarität und Entschlossenheit in der Corona-Krise auf, wählt dabei gleichzeitig einen freundlichen und besonnenen Ton.
Auf die Frage, ob sie sich in der mit Journalisten voll besetzten Pressekonferenz in Zeiten von Corona noch wohl fühle, gibt sich Merkel entspannt und lächelt. Die anwesenden Journalisten ermahnt sie schmunzelnd, sich nicht ins Gesicht zu fassen. Dem Aussetzen vom Händeschütteln könne sie auch etwas Positives abgewinnen: "Dafür eine Sekunde länger in die Augen gucken und lächeln, und nicht schon mit der Hand beim Nächsten sein, ist auch eine gute Möglichkeit", empfiehlt die Regierungschefin.
Mit Spannung war erwartet worden, was Merkel zur Corona-Krise zu sagen hat. "Wir werden das, was notwendig ist, tun", verspricht sie. Abgetaucht sei sie, zeige keine Führung, hatten ihr Kritiker vorgeworfen. Ein Machtwort der Kanzlerin, so wie in der Finanzkrise 2008, hatte die FDP von ihr gefordert. Keine Regierungserklärung im Bundestag, keine Klinikbesuche – das Krisenmanagement hat sie ihren Ministern überlassen. Während Spahn von Pressekonferenz zu Pressekonferenz eilte, Krisenstäbe koordinierte, in Sachen Corona durch Europa reiste und sich vor Ort in Kliniken ein Bild von der aktuellen Lage machte, schwieg die Kanzlerin und überließ anderen das Feld.
Jens Spahn mache "einen großartigen Job", lobt Merkel. Warum sie sich erst jetzt zu Wort meldet? Die Kanzlerin winkt freundlich ab, weist die Kritik an angeblich mangelnder Führung zurück. Der Gesundheitsminister wisse, dass sie sich nicht erst heute um die Krise kümmere, sagt Merkel. Spahn springt ihr zur Seite, beteuert, er sei mit der Kanzlerin schon seit Januar über das Thema Corona "mit der nötigen Ernsthaftigkeit" im Austausch. Einst innerparteiliche Rivalen, üben Merkel und Spahn den Schulterschluss und rücken in der Krise zusammen. Es ist ihr erster gemeinsamer Auftritt seit dem Ausbruch der Epidemie.
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Eigentlich sei sie zur Pressekonferenz gekommen, um über die Ergebnisse einer Videokonferenz mit den europäischen Staats- und Regierungschefs vom Vorabend zur Krise zu berichten, sagt Merkel. Doch holt sie zum großen Rundumschlag aus, steht Rede und Antwort, um in Zeiten der Unsicherheit zu beruhigen.
Merkels Botschaft: Das Virus sei da, werde es auch länger bleiben. "Das müssen wir alle verstehen", mahnt die Kanzlerin eindringlich. Ganz Europa sei inzwischen von der Krise erfasst. Jetzt gehe es darum, die Ausbreitung zu verlangsamen. "Es geht um das Gewinnen von Zeit", sagt die Kanzlerin ruhig und gelassen. Und der Gesundheitsminister nickt zustimmend. "Wir müssen davon ausgehen, dass 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung sich infizieren werden", spricht Merkel Klartext und stimmt auf schwierige Zeiten ein. Vorsichtsmaßnahmen wie die Absage von Großveranstaltungen – Fußball ohne Zuschauer, geschlossene Theater, abgesagte Messen, all das sei richtig, "nicht egal, nicht umsonst". Schließlich kenne man das Virus nicht ausreichend, und bislang gebe es weder Therapie noch Impfstoff.
Was jetzt geschehe, werde an der Wirtschaft nicht spurlos vorbeigehen. "Wir werden uns rüsten", kündigt Merkel weitere Hilfsmaßnahmen an. Schon am Freitag will sie mit den Vertretern von Industrie und Handel darüber beraten.
Die Kanzlerin gibt den Fels in der Brandung in "einer außergewöhnlichen Situation". Sie mahnt die Gesellschaft, die seit der Migrationskrise vor fünf Jahren teils durchzogen scheint vom Virus des Hasses und der Abgrenzung, zum Zusammenhalt. Es ist ein Satz, der wohl hängen bleiben wird: "Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander schon auf die Probe gestellt. Und ich wünsche mir, dass wir diese Probe auch bestehen."
Merkel will den Blick weiten für die Herausforderung, vor der man stehe, "für die wir aber noch keine Lösung haben", sagt die Bundeskanzlerin, die die Corona-Krise als "europäische Herausforderung" begreift. Nach 75 Minuten verabschieden sich Merkel, Spahn und Wieler. Ein Versprechen wie am 5. Oktober 2008, mitten in der Bankenkrise, gibt auch Merkel an diesem Tag nicht. Heute ist die Lage anders. Deutschland sei "am Anfang einer Entwicklung, die wir noch nicht genau voraussehen können", sagt die Kanzlerin zur historischen Dimension ihres Auftritts. "Die Botschaft sollte sein: Wir werden das Notwendige tun als Land" – auch finanziell. Es wirkt dann doch wie ein Versprechen – allerdings ohne Handschlag.



