Über diese Themen hat Steinmeier mit der RNZ gesprochen (plus Video)
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender nahmen sich über eine Stunde Zeit für die RNZ

Von Christian Altmeier
Sein Herz in Heidelberg verloren hat der Bundespräsident zwar nicht. Dennoch sind Frank-Walter Steinmeier und seine Gattin Elke Büdenbender derzeit auffallend häufig in der Stadt am Neckar. Erst vor wenigen Wochen war das Staatsoberhaupt anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg. Und Elke Büdenbender kommt demnächst in royaler Gesellschaft, wenn sie die von hier stammende Königin Silvia von Schweden beim Heimatbesuch begleitet. Am Mittwoch war es dann ein weiteres Mal soweit: Steinmeier und Büdenbender besuchten nicht nur die Sommerakademie der Begabtenförderungswerke (siehe unten). Zuvor nahm sich das präsidiale Paar auch mehr als eine Stunde Zeit für einen Besuch bei der Rhein-Neckar-Zeitung.
Beide sprachen mit Geschäftsleitung, Chefredaktion und Redakteuren in einem offenen und teils direkten Hintergrundgespräch über eine Vielzahl politischer wie persönlicher Themen. Und auch wenn Steinmeier einen erneuten Besuch nicht ausschloss: Seine scherzhafte Bemerkung, dass sich das Paar in Heidelberg fast schon eine Wohnung nehmen könne, schränkte er gleich augenzwinkernd ein. Denn man wolle den Studentinnen und Studenten schließlich keinen Wohnraum wegnehmen.
Ob mit oder ohne Wohnsitz: Der Besuch bei der Rhein-Neckar-Zeitung war Steinmeier ein besonderes Anliegen. "Es ist fast eine Verpflichtung, hierher zu kommen, angesichts der Geschichte dieser Zeitung", sagte er zur Begrüßung im Konferenzraum der RNZ. "Schließlich war einer der Gründer, Theodor Heuss, mein erster Amtsvorgänger in der Nachkriegsrepublik. Jemand, der die Geschichte dieser Republik sehr nachhaltig mitbestimmt hat", lobte der Bundespräsident - mit zwei historischen Fotos von Heuss im Rücken.

Auftakt im Hof der RNZ: Frank-Walter Steinmeier begrüßt die Redakteure (v.l.) Christian Altmeier, Christoph Moll, Daniel Bräuer, Maren Wagner und Annette Steininger (verdeckt Frederick Mersi).
Dabei ist der eher kleine Konferenzraum eigentlich nicht für hohen Besuch vorgesehen. Doch weil der Verlag an seinem Standort investiert und einige Gebäude derzeit saniert werden, musste die Runde ausweichen. "Normalerweise hätten wir schönere Räume", bedauerte RNZ-Herausgeberin Inge Höltzcke. Doch sei die Sanierung eben unumgänglich geworden - auch aus energetischen Gründen.
Auch interessant
Damit war man schon mitten im ersten Thema, dem Umweltschutz. So wollte Chefredakteur Klaus Welzel vom Staatsoberhaupt wissen, ob er glaube, dass die Klimaschutz-Bewegung die Politik auf Dauer beeinflusse. "Die Fridays for Future-Bewegung hat die Politik bereits nachhaltig verändert", entgegnete Steinmeier energisch. "Keine Partei wird die Dramatik des Klimawandels mehr leugnen können". Zum einen, weil mit großer Dringlichkeit und Leidenschaft darauf aufmerksam gemacht werde - und das von der oft als unpolitisch bezeichneten Jugend. "Zum anderen aber auch, weil diese Aktivitäten durch sichtbare Veränderungen begleitet werden, von der Gletscherschmelze bis zu den Bränden am Amazonas", so der Präsident.
Auch die Auswirkungen der Klimaschutz-Debatte auf das persönliche Verhalten der Verbraucher wurden thematisiert. Dabei herrschte der Eindruck vor, dass es häufig eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen an die Politik und den persönlichen Konsequenzen gebe.
Eine Konsequenz wurde dann aber doch offenbar. Steinmeier und seine Frau reisen heute innerhalb Deutschlands zunehmend mit der Bahn. Auch deshalb, weil die Zeitersparnis von Inlandsflügen marginal sei. Manchmal spare man sogar Zeit, wenn man statt des Fliegers die Bahn nehme. Dienstreisen ins weiter entfernte Ausland lassen sich jedoch nun einmal ohne Flieger nicht bewerkstelligen. Und auch zurück nach Berlin ging es für den Tross ab Frankfurt per Flugzeug.

Lebhafte Diskussion: Frank-Walter Steinmeier forderte mehr Einsatz für die Demokratie.
Das große Thema von Steinmeiers Präsidentschaft ist die Zukunft der liberalen Demokratie. Diese gerät durch den weltweiten Aufstieg von Nationalismus und Populismus zunehmend in Gefahr. "Die Einflusssphären in der Welt sind dabei, sich neu zu ordnen. China und Indien sind als gewichtige Spieler hinzugekommen. Das verunsichert auch die bisherigen Mächte und lässt Machtdemonstrationen leichter eskalieren", sagte das Staatsoberhaupt nachdenklich. "Gleichzeitig erleben wir auch in Teilen der westlichen Gesellschaften eine neue Faszination des Autoritären - Menschen, die die Verteidigung der liberalen Demokratie nicht als vordringliche Aufgabe ansehen." Der großen Mehrheit bei uns blieben Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, demokratische Streitkultur und fairer Umgang mit Minderheiten aber ein Kernanliegen. "Etwas selbstbewusster und lauter dürfte diese große Mehrheit gelegentlich sein", mahnte der Bundespräsident allerdings.
Zu den derzeit viel diskutierten Themen zählt auch die Deutsche Einheit, die 30 Jahre nach dem Mauerfall noch immer nicht vollendet ist. Ein Umstand, der keineswegs nur die Älteren betrifft. "Ein Teil der ostdeutschen Bevölkerung ist entweder kurz vor oder nach der Einheit geboren worden. Wir haben es also mit einem wachsenden Anteil an der Bevölkerung zu tun, die die unmittelbaren Erfahrungen der Teilung gar nicht mehr gemacht hat", erklärte Steinmeier. Viele von ihnen wüssten aber, dass diejenigen, die in den Westen gegangen sind, Chancen gehabt hätten, die den anderen verwehrt geblieben seien. "Auch bei den nach 1990 geborenen setzt sich dadurch das Gefühl der Benachteiligung fort", so Steinmeier.
Einen weiblichen Aspekt brachte Elke Büdenbender dann in die Debatte ein. "Ich habe vor einiger Zeit eine sehr erfolgreiche IT-Unternehmerin aus den neuen Bundesländern kennengelernt. Ihre Mutter war in der DDR Direktorin eines großen staatseigenen Betriebs. Die heute erfolgreiche Tochter erzählte mir, wie sie nach der Wende arbeitslos wurde. Sie saß dann vor einem Mitarbeiter des Arbeitsamtes, der aus Bayern gekommen war und der zu ihr sagte: ’Wenn Sie alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Kindern sind, können Sie doch nicht arbeiten.’ Das hat sie damals sehr empört. Diese Erfahrungen der Frauen aus dem Osten in der vereinten Gesellschaft sind bis heute spürbar. Viele Frauen aus der DDR haben den Eindruck, dass das, was sie in ihrem Leben geleistet und erreicht haben, nicht gewürdigt wird", zeigte Büdenbender ein weiteres Problem der Vereinigung auf.
Mit einem klaren Bekenntnis zur gedruckten Zeitung erfreute der Präsident schließlich die Redakteure. Diese biete nicht nur ein haptisches Erlebnis, sondern auch "Sickerwissen". Beim Blättern erfahre man Dinge, die man ursprünglich gar nicht wissen wollte. Zum Abschied legte der Präsident dann noch Hand an. Einen Wasserfleck auf dem Tisch wischte er mit einer Serviette sorgsam weg, bevor er seinen Platz verließ.



