"Nirgends außer hier": Mössingen organisierte Streik gegen Hitler

Mössingen (dpa/lsw) - "Hitler bedeutet Krieg" - das war den Menschen in Mössingen schon im Januar 1933 klar. Damals war Hitler gerade erst an die Macht gekommen. Was dann passierte, war deutschlandweit einzigartig: Die Mössinger organisierten einen Generalstreik

31.01.2013 UPDATE: 31.01.2013 06:01 Uhr 2 Minuten, 8 Sekunden
Der Tübinger Kulturwissenschaftler Bernd Jürgen Warneken blättert in seinem Buch über den Generalstreik von Mössingen vor 80 Jahren. Der Protest der Menschen in dem Ort am Fuße der Schwäbischen Alb gegen die Machtergreifung Hitlers war deutschlandweit einzigartig: 800 bis 1000 Menschen gingen auf die Straße, zwei Fabriken wurden lahmgelegt. Fotograf: Marc Herwig/dpa
Mössingen (dpa/lsw) - "Hitler bedeutet Krieg" - das war den Menschen in Mössingen (Kreis Tübingen) schon im Januar 1933 klar. Damals war Hitler gerade erst an die Macht gekommen. Was dann passierte, war deutschlandweit einzigartig: Die Mössinger organisierten einen Generalstreik, um ihren Unmut über die Machtübernahme der Nationalsozialisten zu zeigen. Am 31. Januar 1933 - an diesem Donnerstag vor 80 Jahren - gingen 800 bis 1000 Menschen auf die Straße, zwei Fabriken wurden lahmgelegt. Am Ende rückte die Polizei an und machte dem Treiben ein Ende. Doch die Stadt am Fuße der Schwäbischen Alb tut sich bis heute schwer mit diesem historischen Erbe.

Einen Tag nach der Machtergreifung Hitlers hatte die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) deutschlandweit einen Generalstreik ausgerufen. Doch nur die Mössinger machten mit. "Es war die einzige größere Aktion an diesem Tag", sagt der Tübinger Professor Bernd Jürgen Warneken, der ein Buch über den Generalstreik verfasst hat. "Da ist nirgends nichts gewesen außer hier", so brachte es eine Zeitzeugin auf den Punkt, die Warneken interviewt hat. Diesen Ausruf hat er als Buchtitel gewählt.

Warum gerade das 4000-Einwohner-Dorf Mössingen gegen Hitler aufbegehrte, dafür gibt es keine ganz eindeutige Antwort. Etwa 30 Prozent Wählerstimmen hatte die KPD damals in Mössingen, weshalb es als "rotes Dorf" galt, erzählt Warneken. Welf Schröter, der mit seiner Frau Irene Scherer im gemeinsamen Talheimer Verlag die Neuauflage des Streik-Buchs herausgebracht hat, hält die Rolle der KPD hingegen für weniger bedeutsam. Mössingen sei in den 20er und 30er Jahren seiner Zeit voraus gewesen, und unter der Jugend habe eine Aufbruchsstimmung geherrscht.

Doch die Nationalsozialisten sorgten dafür, dass die Demonstranten aus Mössingen nicht als Helden in die Geschichte eingingen. Auch nach dem Krieg wurde der Streik in der politisch konservativ geprägten Region mit Kommunismus und Stalinismus in Verbindung gebracht, erklärt Warneken. "Bis heute sind viele in der Stadt zurückhaltend, was die Erinnerung an den Streik betrifft. Im Gemeinderat distanzierten sich die Freien Wähler und die CDU deutlich von den vielen zum Jubiläum geplanten Aktivitäten, die hauptsächlich von zivilgesellschaftlichen Gruppen angestoßen werden", sagt der Kulturwissenschaftler.

Oberbürgermeister Michael Bulander (parteilos) geht es deshalb vor allem um einen Dialog. Die Stadt wolle mit den geplanten Veranstaltungen im Jahr 2013 die Bürger ins Gespräch bringen. "Der Widerstand ist ein Alleinstellungsmerkmal Mössingens, und er war richtig und legitim", sagt der Rathauschef. Doch auch andere Meinungen, wie sie etwa sein Stellvertreter vertritt - ein alteingesessener Mössinger, der die Ausschreitungen am Streiktag kritisiert - müssten akzeptiert werden.

Die bis heute anhaltende Uneinigkeit über den Umgang mit den Geschehnissen erklärt auch, warum der Mössinger Generalstreik bis heute relativ unbekannt ist. Zum 70. Jubiläum im Jahr 2003 wurde - gegen den Widerstand konservativer Politiker im Gemeinderat - zumindest eine Gedenktafel in Mössingen errichtet. Diese späte Ehrung erlebte allerdings nur noch ein Zeitzeuge mit: Jakob Textor, der ein Plakat für den Streik gemalt hatte. Er starb 2010 im Alter von 102 Jahren. Ihn persönlich würdigte die Stadt bis zu seinem späten Tod nicht. An seinem 100. Geburtstag entschied sich der Gemeinderat gegen eine Würdigung, erzählt Welf Schröter. "Und das, obwohl er sich in besonderer Weise um die Demokratie verdient gemacht hat."

Zum Jubiläumsjahr wollen nun zahlreiche Vereine und Initiativen auf das Engagement der Menschen vor 80 Jahren aufmerksam machen. Neben einer Ausstellung, Vorträgen, Diskussionen ist unter anderem ein Theaterstück am historischen Ort geplant.

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