Hinterher ist man immer schlauer
Nagelsmann zögert, Baumgartner fliegt - Schiedsrichter Aytekin: "Hat mir selbst leid getan"

Ampelkarte für Christoph Baumgartner (l.): Schiri Aytekin (r.) musste eingreifen. Foto: dpa
Von Nikolas Beck
Mainz. Es ist wahrlich kein alltäglicher Vorgang, dass ein Schiedsrichter nach einem Bundesligaspiel unaufgefordert den Dialog mit den Medienschaffenden sucht. Am Samstagnachmittag aber hatte Deniz Aytekin Redebedarf. Ganz offensichtlich beschäftigte den 40-jährigen Unparteiischen eine seiner Entscheidungen nach der Hoffenheimer 2:4-Niederlage in Mainz ganz besonders. Ein Umstand, der umso bemerkenswerter ist, da an der Rechtmäßigkeit seines Pfiffs in der 41. Minute niemand zweifelte.
Es war allerdings ein Pfiff mit weitreichenden Folgen: Weil Hoffenheims bereits verwarnter Startelf-Debütant Christoph Baumgartner sich verschätzte und gegen Mainz-Keeper Robin Zentner aus vollem Lauf leicht nachtrat, sah der 19-Jährige die Ampelkarte. Schon auf dem Feld war deutlich zu sehen, dass Aytekin liebend gerne ein Auge zugedrückt hätte - wenn er denn eine Wahl gehabt hätte. "Mir hat das selbst leid getan", räumte der Fifa-Schiedsrichter in der Mixed Zone ein. Durchaus habe er registriert, dass Baumgartner noch versucht hatte, den Fuß wegzuziehen. Es gehe aber, so Aytekin, gar nicht darum, wie viel er den Mainzer, der den Ball bereits fest in beiden Händen gehalten hatte, trifft. "Aber er trifft ihn eben - ich kann nicht sagen: ,das ist ein junger Spieler, da mache ich beide Augen zu‘."
Und so kam es, wie es kommen musste: In Unterzahl eine 2:0- und ab der 66. Minute eine 2:1-Führung zu verteidigen, ging lange gut - aber nicht lange genug. Zu zehnt fehlte der TSG am Ende schlicht die Kraft. Und als Boetius mit dem Ausgleichstreffer auch den Traum vom Europapokal platzen ließ ein Stück weit auch der Wille, sich gegen die anrennenden Hessen bis tief in die Nachspielzeit hinein zu wehren. "Baumi", wie der junge Österreicher, der nach seinem Platzverweis gar nicht wusste, wohin mit sich selbst, genannt wird, hatte seinem Team einen Bärendienst erwiesen. Das wusste auch Aytekin: "Ich will in solch ein Spiel natürlich nicht auf diese Weise eingreifen", zeigte sich der Spielleiter sympathisch empathisch, während seine Worte beinahe wie eine Entschuldigung klangen: "Ich bin selbst mit Leib und Seele Fußballliebhaber - aber ich muss den Regeln Geltung verschaffen. Er wird das nie wieder machen."
Ähnlich erfrischend offen war das, was Julian Nagelsmann zur vielleicht entscheidenden Szene zu sagen hatte. "Das war eine total dämliche Gelb-Rote Karte", diktierte der TSG-Trainer ungefragt in die Journalistenblöcke. "Da nehme ich auch kein Blatt vor den Mund, das darf ihm nicht passieren, wenn er Bundesliga spielen will." Und noch mal: "Beide Aktionen waren einfach dämlich." Nagelsmann ging mit seinem Talent hart ins Gericht, hatte für seinen Schützling aber den entscheidenden Ratschlag parat: Fehler werden gemacht, um aus ihnen zu lernen. Schließlich sei es immer gut, wenn man solch einen Dämpfer früh in der Karriere habe, so der Fußballlehrer nach seinem letzten Spiel für Hoffenheim: "Das ist eine schöne Entwicklungschance für ihn. Er ist ein toller Spieler, der eine großartige Zukunft vor sich hat."
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Nagelsmann wäre nicht Nagelsmann, würde er nicht immer auch die eigenen Entscheidungen hinterfragen. So räumte der 31-Jährige ein, bereits nach der ersten Gelben Karte gegen Baumgartner, der auch in der Vorwoche unmittelbar nach seiner Einwechslung im ersten Bundesligaspiel überhaupt verwarnt worden war, darüber nachgedacht zu haben, den hochbegabten Österreicher vom Feld zu holen. Im Austausch mit seinem Trainerteam sei man dann allerdings zu dem Entschluss gekommen, mit Rücksicht auf die Psyche des Teenies mit dem Wechsel zumindest bis zur Pause zu warten. So war es Schiri Aytekin, der Baumgartners vorzeitigen Feierabend einläuten musste. "Hinterher ist man immer schlauer", sagte Nagelsmann. Das galt im Bundesligafinale für Hoffenheims Trainer genauso wie für Christoph Baumgartner.