Eine Fabrik zieht um - Von Schwetzingen nach Waghäusel
Der Stahlbehälter-Hersteller Pfaudler verlagert seine Produktion von Schwetzingen nach Waghäusel

Die von Jonas Kühnen (links) und Martin Reiniger demontierte Oberwalze der Rollenbiegmaschine ist bereit zur Verladung. Foto: Lenhardt
Von Harald Berlinghof
Schwetzingen. Alles kommt auf den Prüfstand", betont Peter Munkes, seit Mitte 2017 Standortleiter der Pfaudler GmbH in Schwetzingen. Aber auf den Prüfstand kommen die Fertigungsabläufe am bisherigen Standort Schwetzingen nicht etwa nur deshalb, weil der neue Standortleiter eigene Vorstellungen davon hat, wie ein moderner Industriebetrieb zu funktionieren hat. Vielmehr bietet sich die Gelegenheit, den Betrieb neu zu organisieren, weil die Fabrik zur Herstellung von emaillierten Stahlbehältern mit Mann und Maus und mit Sack und Pack die Spargelstadt verlässt und sich in Waghäusel ansiedelt. Das bisherige Gelände ist einfach zu groß geworden. Ein Neubau auf der "grünen Wiese" wäre teurer geworden als der Umzug in die bereits bestehenden Fabrikhallen der ehemaligen Pressenfabrik Schuler im Gewerbegebiet von Waghäusel, erklärt Munkes.

In der neuen Pfaudler-Fabrik in Waghäusel ist der Großofen (rechts) zum Brennen der emaillierten Behälter bereits aufgebaut. Firmenbild
Die Planungen für den Standortwechsel laufen seit fast zwei Jahren, mittlerweile haben die "industriellen Möbelpacker" mit dem Umzug begonnen. "Fast jeder Handgriff will dabei minutiös geplant sein", betont Munkes. Dass ein Unternehmen seine gesamten Maschinen an einen Standort verlagert, der kaum 20 Kilometer entfernt liegt, ist ein eher seltener Vorgang. Meist sind bei solchen Standortverlagerungen die osteuropäischen Staaten das Ziel. Wegen der günstigeren Lohnkosten. "Natürlich war das auch bei uns eine Option. Aber wir haben uns für die Region entschieden, weil wir die Nähe zu wichtigen Kunden wie etwa der BASF nicht verlieren wollten und auch weil wir in Waghäusel unsere erfahrenen Mitarbeiter behalten können. Außerdem hätten wir im Ausland das Label "Made in Germany" verloren. Und das zählt bei vielen unserer Kunden zu Recht immer noch etwas", erklärt Munkes.
Hintergrund
Biegen - Schweißen - Emaillieren. Fertig ist der Pfaudler Industriebehälter. So einfach kann es sich anhören. Und doch ist es, genauer hingeschaut, so viel komplizierter, aus dicken Stahlblechen und kuppelförmigen Deckeln und Böden Behälter für die Chemie- und Pharmaindustrie
Biegen - Schweißen - Emaillieren. Fertig ist der Pfaudler Industriebehälter. So einfach kann es sich anhören. Und doch ist es, genauer hingeschaut, so viel komplizierter, aus dicken Stahlblechen und kuppelförmigen Deckeln und Böden Behälter für die Chemie- und Pharmaindustrie herzustellen. Die Schwetzinger Fertigungshalle, von außen schon beeindruckend durch ihre schiere Größe, strotzt im Innern vor Technik. Doch Industrie 4.0 und Fertigungsroboter sind hier bislang kein Thema. Die Stahlbehälter in Größen bis zu 120 Kubikmeter Inhalt entstehen noch weitgehend in Handarbeit. Die Hände der überwiegend aus Facharbeitern bestehenden Belegschaft bedienen freilich gewaltige Walzmaschinen, Schweißmaschinen oder Heizöfen, in denen die Emaille gebrannt wird. Schicht um Schicht wird die Emaille im Innern und auf der Außenfläche der Behälter aufgetragen und bei 800 bis 900 Grad Celsius im Ofen gebrannt. Bis zu acht Schichten sind im Innern, wo die Emaille aggressiven oder hochreinen Flüssigkeiten ausgesetzt ist, nötig. Nicht umsonst lautet einer der Werbeslogans: Außen hart, innen hart im Nehmen.
Nach dem Schweißen der Behälter geht es in den Röntgenbunker, wo die Schweißnähte überprüft werden. Mit Wasser wird eine Druckprobe gemacht. Dann wird alles innen und außen sandgestrahlt, handgeschliffen und noch einmal sandgestrahlt. Mit einer so genannten Farbeindringprüfung wird jede Pore, die noch vorhanden ist erkannt. Die Emailleschicht ist extrem glatt, bei der geringsten Beschädigung wird der Behälter unbrauchbar. Fällt einem Arbeiter ein Werkzeugteil in den Behälter, ist das eine Katastrophe. Alles muss dann runter und neu aufgetragen werden.
1884 erfindet der deutschstämmige Bierbrauer Casper Pfaudler in Rochester/USA eine Methode, um Stahlbehälter für das Brauen von Bier unter Vakuumeinfluss zu nutzen. Dazu ist aus hygienischen und Stabilitätsgründen eine Emaille-Auskleidung im Innern nötig. 1907 will Pfaudler mit einer Fertigungsstätte in Schwetzingen den deutschen und europäischen Markt erobern. In den 1920er Jahren wird die Chemieindustrie auf die emaillierten Stahlbehälter aufmerksam wegen ihrer chemisch neutralen Verhaltensweise und der hohen Korrosionsbeständigkeit. Auch die Pharmaindustrie nutzt bald Pfaudler-Behälter wegen ihrer günstigen Hygiene-Eigenschaften. Rund 200 Behälter fertigt Pfaudler heute jährlich für Kunden in aller Welt. Das Unternehmen produziert außer in Schwetzingen auch in USA, Brasilien, Indien, China und Europa. Und bald in Waghäusel.
Der Umzug ist für die Planer, die Mitarbeiter und die Produktion eine Herausforderung, bietet aber auch Chancen. "Eigentlich sollte jedes Industrieunternehmen, einmal zugespitzt formuliert, alle 20 Jahre umziehen. Denn dabei lernt man die eigene Firma sehr gut kennen", meint Munkes. Man stellt fest, was sich im Fertigungsprozess über viele Jahre als Routine eingeschliffen hat. In der Folge können Arbeitsabläufe überprüft und neu strukturiert werden, der Materialfluss wird optimiert. Das neue Fabrik-Layout wird teilweise bereits jetzt in Schwetzingen eingeübt und simuliert. Ganz am Anfang stand eine im eigenen Haus erarbeitete Machbarkeitsstudie. Nicht nur der Abbau, sondern auch der Aufbau in Waghäusel stellt hohe Anforderungen an den Ablaufplan. Wo müssen Datenleitungen in der Waghäuseler Halle liegen, wo Acetylenleitungen für die Schweißmaschinen? Es stellt sich die Frage, ob man bestimmte Dinge wie Bohrwerke, Brennschneidemaschinen, Drehgestelle und Stutzenschleifmaschinen noch braucht, oder ob sich einige Arbeiten an externe Firmen verlagern lassen. Doch für die rund 200 Mitarbeiter gibt es eine Beschäftigungsgarantie bis ins Jahr 2022. Im Standortsicherungsvertrag ist festgelegt, dass die Mitarbeiter als Gegenleistung für drei Jahre 38,5 Stunden wöchentlich statt der bisherigen 35 Stunden arbeiten. Man versucht die Beschäftigten in die Veränderungen, die sich mit dem Umzug ergeben, einzubeziehen.

Michel Bachmann schweißt Stutzen, während in seinem Rücken das Verladen der Besäummaschine stattfindet. Foto: Lenhardt
Bis zum Februar 2019 soll der Umzug auf das Gelände der Firma Schuler, einem Pressenhersteller mit mehreren Standorten in Deutschland, weitgehend abgeschlossen werden. Gefühlt befindet man sich aber schon mitten im Umzug. Zumindest planerisch.
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Die Standortverlagerung erfolgt während des laufenden Betriebs der Fabrik und soll möglichst wenig Produktionsausfälle verursachen. "Wir wollen permanent lieferfähig bleiben", so Munkes. Für eine Übergangszeit von etwa vier Monaten werde man parallel an zwei Standorten produzieren. Der Rohbau erfolgt noch in Schwetzingen, der Ausbau der Behälter und die Auslieferung bereits von Waghäusel aus.
Im Büro des Standortleiters Peter Munkes hängt ein fast zwei Meter breiter, dicht beschriebener Ablauf- und Terminplan des gesamten Umzugsmanövers, auf dem die exakte Abfolge der Abbauarbeiten festgehalten ist. Die "Möbelpacker" sind spezialisierte Verladeteams mit mehreren Tiefladern, die dann das Herzstück der Fabrik in Teilen über die Autobahn nach Waghäusel transportieren.

Die Maschine zur "Kantenbesäumung" der Stahlbehälter wird auf den Lkw zum Transport ins neue Werk nach Waghäusel gehoben. Foto: Lenhardt
Der Transport des großen Brennofens, in dem die Stahlbehälter ihre Emailleauskleidung erhalten, ist der spektakulärste Akt des Umzugs. Über die Kosten eines solchen Kraftaktes schweigt man sich in Schwetzingen aus. Als aber vor ziemlich genau vier Jahren die Heidelberger Druckmaschinen von Heidelberg nach Wiesloch inklusive der großen Druck-Vorführmaschinen umzogen wurden die Kosten mit acht Millionen Euro beziffert. Bei Pfaudler liegt das Budget für den Umzug geschätzt eher noch ein wenig höher.



