Ernst-Friedrich von Kretschmann

Der Hotelier ist auch mit 80 Jahren noch kein bisschen müde

Dem Unternehmer und Manager gelingt das, woran fast alle anderen scheitern: Ein Fünf-Sterne-Stadthotel in Familienbesitz zu halten.

15.08.2018 UPDATE: 19.08.2018 06:00 Uhr 5 Minuten, 24 Sekunden
Hausherr: Ernst-Friedrich von Kretschmann vor dem Haupteingang seines Hotels.
Foto: Johannes Hofmann​

Von Ingrid Thoms-Hoffmann

Heidelberg. Wer Ernst-Friedrich Gottfried Oskar von Kretschmann heißt, der ist zur Haltung verpflichtet. In allen Lebenslagen. Von Kindesbeinen an. Da gibt es kein "ich würde aber lieber…". Nicht mal im Kopf setzt sich so ein Satz fest, geschweige denn, dass er je ausgesprochen werden würde. Wer Ernst-Friedrich Gottfried Oskar von Kretschmann heißt, der zitiert nicht nur Goethe: "Was Du ererbst von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen", sondern er handelt danach.

Ein Leben lang. Dieser Mann des aufrechten Gangs und des perfekten Erscheinungsbildes, der mehr oder weniger alle Berühmtheiten dieser Welt kennt, ist in seiner Heimatstadt Heidelberg so etwas wie der Grandseigneur der "guten Gesellschaft". Ein vornehmer, weltgewandter Herr, der den vorbildlichen Handkuss beherrscht, die Musik Richard Wagners liebt und auf Englisch, Französisch und Spanisch perfekt parlieren kann.

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Dieser Mann erweckt den Eindruck, er wäre mit goldenen Löffeln im Mund geboren und hätte in jungen Jahren nichts anderes tun müssen, als sich ins gemachte Nest zu setzen. Welch großer Irrtum. Denn Ernst-Friedrich Gottfried Oskar von Kretschmann, den auch noch im Alter von 80 Jahren (am gestrigen Freitag feierte er seinen Geburtstag), ein bisschen die Aura eines Playboys (wieder ein Irrtum) umgibt, ist ein risikobereiter Unternehmer, ein überlegter Manager, einer, dem das gelang und immer noch gelingt, woran fast alle anderen scheitern: Ein Fünf-Sterne-Stadthotel in Familienbesitz zu halten.

Dank ihm, seiner Frau Sylvia und Tochter Caroline gehört der "Europäische Hof" zu einem der besten Hotels in Deutschland. Die Großeltern Fritz und Luise Gabler, die 1906 das Hotel erwarben, wären vermutlich stolz auf ihren Enkel, der für die Menschen aus aller Welt ein ausgezeichneter Gastgeber war und ist - und der über sich selbst sagt: "Ich bin nicht der Hotelier zum Anfassen."

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Aber was ist er denn dann? Dieser Mann, der einem bei 38 Grad im Schatten wie aus dem Ei gepellt gegenübersitzt, der die rosarote Krawatte (bei jedem anderen würde sie peinlich wirken) samt entsprechendem Einstecktuch zum dunkelgrauen Anzug mit großer Eleganz und Selbstverständlichkeit trägt?

Zunächst einmal ist er ein glänzender Erzähler. Vier Stunden reden wir und es ist keine Sekunde langweilig, vielleicht auch, weil Ernst-Friedrich von Kretschmann vom Hundertsten ins Tausendste kommt. Weil die Erzählstränge sich überschneiden und plötzlich etwas ganz Neues entsteht.

Noch sind wir beim Zweiten Weltkrieg, als sein Vater in Stalingrad starb. Von Ostpreußen war er einst nach Heidelberg zum Studium gekommen, verliebte sich, heiratete und blieb. Die Erinnerungen an den Vater sind schwach. Er war ja erst vier Jahre alt. Die Spiele mit ihm sind ihm im Gedächtnis geblieben.

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"Ich war immer auf mich selbst gestellt", bricht es plötzlich aus ihm hervor. Und er erzählt, dass ihm als Erstgeborenem eine angemessene Erziehung zustand. Nach vier Jahren Volksschule ging es ab ins "Landerziehungsheim" Schloss Salem, jenes Internat, das ein Sammelbecken für die Söhne der Gutbetuchten war. "Ich war in Englisch und Französisch eine Niete", kann er heute herzhaft lachen. Nach sieben Jahren war Schluss mit der elitären Schulausbildung. Der Großvater befürchtete, dass der Filius nach dem Abitur und Studium für immer für die Hotellerie verloren wäre. Doch von da an ging es bergauf - ohne Abitur, ohne richtige Lehre, ohne je eine Hotelfachschule von innen gesehen zu haben. "Ich war immer auf mich selbst gestellt" - da bekommt dieser Satz seinen tieferen Sinn.

Der ferne Traum vom "Tellerwäscher zum Millionär" ging nicht so ganz in Erfüllung. Aber der vom Praktikanten in der Küche zum erfolgreichen Hotelier und Geschäftsmann ist ja auch nicht zu verachten. Den 17-jährigen Ernst-Friedrich ("man machte das, was die Erwachsenen von einem verlangten"), schickten die Großeltern auf die Ecole Supérieure de Commerce nach Neuchâtel in der Schweiz. Hier sollte er neben Finanzbuchhaltung auch die französische Sprache erlernen. Ein ganzes intensives Schuljahr blieb er dort, musste an der Schule auch während der Ferien Kurse belegen, bis er in der Praxis durchstarten konnte.

Der Großvater, dieser international anerkannte Hotelier, kannte sie ja alle, die Besten der Besten seiner Kollegen und die waren auch gerne bereit, seinen willigen Enkel aufzunehmen. Praktika an Praktika schloss sich an. In den feinsten Hotels in Bonn und Düsseldorf, in der Schweiz und in England. Der junge, wissbegierige Mann lernte alles kennen. Die Küchen, die Restaurants. Er arbeitete am Empfang und er arbeitete sich hoch. Mit 20 hatte er seine erste Festanstellung als Kaufmännischer Angestellter im Schlosshotel Pontresina in der Schweiz, von dort ging es nach Hamburg ins "Vier Jahreszeiten", ein Jahr später war er im Pariser Hotel "Le Bristol" zum Empfangssekretär aufgestiegen, die gleiche Funktion nahm er im Ritz in Madrid ein.

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So viel Eifer belohnte seine Familie mit dem Posten eines stellvertretenden Direktors im heimischen "Europäischen Hof". Doch so richtig niederlassen wollte sich der Strebsame nicht. Amerika peilte er an. In New York führte er als stellvertretender Direktor das "Regency Hotel" an der Park Avenue. Das amerikanische Vergnügen endete aber sehr plötzlich, nämlich als die Army den jungen Deutschen einziehen wollte. Glaubhaft konnte die Heidelberger Familie versichern, dass der Jungspund am Neckar dringend gebraucht wurde. "27 Jahre war ich weg von Heidelberg und ich bin gerne zurückgekommen."

Daran dürfte auch Sylvia, die Freundin aus dem Sandkasten, ihren Riesenanteil gehabt haben. Aus dem niedlichen Mädchen war eine attraktive und kluge junge Frau geworden, die Volkswirtschaft studierte und die sich vor allem vorstellen konnte, mit ihm zusammen das Hotel zu führen.

Wenn Ernst-Friedrich von Kretschmann von seiner Frau spricht, dann schwingt immer eine große Bewunderung vor ihrer Leistung mit. Sie ist immer noch das, was sie von Anbeginn war: Das Herz und die Seele in diesem internationalen Betrieb. Sie hält den Kontakt zu den Gästen, ist für alles Ästhetische in dem Fünf-Sterne-Haus mit seinen 100 Zimmern, den Suiten und Service-Apartments zuständig, marschiert Tag für Tag morgens um 6 Uhr durchs Hotel und überprüft höchsteigen die Toiletten - ausgestattet mit Gummihandschuhen, aber auf Highheels. Sylvia von Kretschmann, die bestangezogenste Frau Heidelbergs, die Stilikone mit der Wespentaille, die mit 77 Jahren eine Energie versprüht, von der das gesamte Hotel profitiert und natürlich auch ihr Mann. Der sagt: "Wir haben bewiesen, dass man durch harte Arbeit auch Erfolg haben kann."

Dazu gehört eine Tochter, die sich auf das Wagnis Luxus-Hotel eingelassen hat. Die ihre eigene Karriere als Unternehmensberaterin in Berlin aufgab und jetzt das Haus leitet, die schlaflose Nächte hat, wenn die Gästenachfrage sich anders als geplant entwickelt, die den "Europäischen Hof" vor dem Hintergrund der sich rasant ändernden Rahmenbedingungen strategisch weiterentwickelt, die versucht, das Haus noch stärker für die Heidelberger zu öffnen, die ihre Augen und Ohren überall hat, die mit anonymen Kritiken auf Bewertungsportalen umgehen muss und die lachend sagt: "Hier braucht man schon Nehmerqualitäten, denn man wird mit allem konfrontiert, was das Leben und die menschliche Psyche so bietet."

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Die von Kretschmanns können damit umgehen. Es ist ihr Leben. Ein bisschen froh ist der Senior aber schon, dass die Betreuung der Gäste für ihn nur noch einen kleinen Teil ausmacht. "Mit 80 Jahren kann ich das nicht mehr", gesteht er offen.

Dafür kann und will er noch Vieles. Dass seine Arbeitswoche immer noch sechs Tage hat, davon will er nicht lassen und auf seinen täglichen kilometerlangen Spaziergang von seinem (gemieteten!) Haus bis zum Hotel auch nicht. Hier vergräbt er sich in seine Unterlagen. Er ist der Herr der Immobiliengesellschaft; das zweite Standbein des Hotels. "Ich wollte schon immer entwickeln, planen, bauen", sagt er. Das ist seine Leidenschaft. "Reich werden kann man dabei nicht. Wir haben nie Gelder aus dem Hotel herausgezogen, sondern Gewinne sofort investiert." In Anbauten, Ausbauten, Tiefgarage, in Apartments oder den Wellnessbereich. Oder in die Ladengeschäfte, die für beständige Mieteinnahmen sorgen. Die Grundlage, weshalb das Grandhotel in einer Stadt wie Heidelberg überleben kann.

Es sind vornehmlich die ausländischen Touristen, die im "Europäischen Hof" absteigen. "Wir haben 65 Prozent internationale und 35 Prozent inländische Gäste, also genau andersherum als sonst in der Stadt", ergänzt Caroline von Kretschmann. Die geschäftsführende Gesellschafterin ist es auch, die sagt: "Ohne die Gäste aus den Golfstaaten könnten wir das Hotel nicht halten." Ihr Vater nickt und erzählt die ergreifende Geschichte eines arabischen Clans, der jetzt ein Jahr im Hotel wohnte und bei dem sich alle um eine junge Frau von 18 Jahren kümmerten, die im Uni-Klinikum an Leukämie behandelt wurde. Aber es sind auch die vielen Heidelberger "Stammgäste", die dem Hotel die Treue halten, für die es nichts anderes gibt, als hier ihre runden Geburtstage, Hochzeiten oder Taufen zu feiern. Man geht eben in den "Europäischen Hof".