Digitale Bildungsplattform steht möglicherweise vor dem Aus
Kultusministerin Eisenmann "entsetzt" über Gutachten - "Elektronische Lehr- und Lernassistenz" sollte längst getestet werden

Symbolfoto: dpa
Von Daniel Bräuer und Axel Habermehl
Stuttgart. Technische Mängel, fehlende Sicherheitstests, viele offene Fragen: Bei der baden-württembergischen Bildungsplattform "Ella" treten mehr und größere Probleme auf als bisher bekannt. Das geht aus einem Gutachten hervor, das ein Stuttgarter IT-Experte für das Kultusministerium erstellt hat.
Eigentlich sollte die "Elektronische Lehr- und Lernassistenz" seit Februar an rund 100 Schulen im Land getestet werden. Das Projekt soll Lehrern ermöglichen, landesweit mit Kollegen Wissen zu teilen, Unterrichtsmaterial auszutauschen und auf Medien von einem Speicher im Netz (Cloud) zuzugreifen. Außerdem sind Kalender-, E-Mail- und Videokonferenz-Funktionen geplant. Auch Schülerinnen und Schüler sollen über "Ella" mit ihren Lehrern und Klassenkameraden kommunizieren können.

Susanne Eisenmann. Foto: dpa
Doch wegen technischer Probleme stoppte Ministerin Susanne Eisenmann (CDU) den Probelauf im Februar und gab ein Gutachten in Auftrag. Eine Kurzfassung ging nun an den Bildungsausschuss des Landtags. Darin lobt der Gutachter zwar die "gute Basisinfrastruktur mit soliden Komponenten und Herstellern", die Verwendung "kosteneffizienter Open-Source-Komponenten" und die guten Erweiterungsmöglichkeiten.
Doch die Mängel sind gravierend: Ein richtiges Betriebskonzept - fehlt. Aussagekräftige Belastungstests der Einzelteile und des ganzen Systems für bis zu 1,5 Millionen Anwender - fehlen. Dokumentation in relevanten Bereichen - "größtenteils nicht vorhanden". Ein externer "penetration test", um die Risiken von Hackerangriffen zu zeigen - bislang nur angekündigt. Hervorgehoben werden auch Probleme bei der Identifizierung der Nutzer: "Die Plattform entspricht derzeit (...) nicht den gewünschten Anforderungen an Bring your own Device (den Einsatz privater Geräte, Anm. d. Red.) und eine moderne Web-Applikationsplattform."
Im Landeshaushalt sind für "Ella" über die kommenden zwei Jahre knapp 24 Millionen Euro eingeplant, 8,7 sind schon geflossen. Ansprechpartner des Ministeriums ist der landeseigene IT-Dienstleister BITBW. Dieser arbeitete mit dem kommunalen IT-Zweckverband KIVBF zusammen, der wiederum 90 Prozent der Arbeiten an einen Generalunternehmer vergeben hat. Auch daran gibt es Kritik.
Die Walldorfer fluid Operations AG, ein Datenbankspezialist aus dem Umfeld der SAP, ist zwar "für solide Cloud-Infrastrukturen bekannt", wie das Gutachten lobt. Doch wurde die Firma im März von der US-amerikanischen Veritas aufgekauft. Zwar arbeiten die Entwickler weiterhin von Walldorf aus. Doch seien "die Wartung und Weiterentwicklung der Cloud-Software gefährdet", heißt es in der Analyse. Veritas wollte am Donnerstag keine Stellungnahme abgeben, ohne das Gutachten zu kennen.
Eisenmann zeigt sich "schlichtweg entsetzt". "Dass Privatfirmen beauftragt wurden, habe ich erst aus dem Gutachten erfahren", sagt die Ministerin. Sie werde nun prüfen, wie es mit dem Projekt weitergehen kann. Das Gutachten nennt dazu zwei Möglichkeiten: Eine Reparatur des jetzigen Systems - oder "Rückabwicklung und Neuausschreibung". Beides hätte Vor- und Nachteile.

Stefan Fulst-Blei. Foto: zg
Die Opposition sieht ihre Befürchtungen bestätigt. SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei: "Eisenmann hat die Bildungsplattform krachend gegen die Wand gefahren." Plan B dürfe nun kein Luftschloss sein, fordert der Abgeordnete aus Mannheim. "Wir brauchen umsetzbare Lösungen - und zwar bald." FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke spricht von einer "millionenschweren Blamage" auch für Thomas Strobl (CDU) als Digitalisierungsminister. Die Grünen spielen indes den Ball zurück. Das bis 2016 SPD-geführte Kultusministerium habe es in der Frühphase versäumt, einen klar definierten Anforderungskatalog oder Kosten- und Zeitpläne vorzulegen.
Unterdessen warten rund 120.000 Lehrer im Land weiter auf "Ella". Matthias Schneider, Geschäftsführer der Gewerkschaft GEW, formuliert es so: "Wir befinden uns weiter in der Kreidezeit."



