Was für ein überzeugendes Statement
5:2! Die TSG Hoffenheim packt die Leipziger "Bullen" an den Hörnern und darf weiter vom Sehnsuchtsort "Königsklasse" träumen

Es war der Auftakt zu einem Fußball-Leckerbissen, zu dem einmal mehr auch "Chefkoch" Serge Gnabry (rechts, beim Torjubel nach seinem 2:0 mit Nadiem Amiri) die passenden Zutaten lieferte. Foto: Imago
Von Joachim Klaehn
Leipzig. Es gibt im Profisport dramaturgische Szenen oder Sequenzen, die sind selbsterklärend. In der Red Bull Arena, eingebettet in die alten Tribünenflanken des aus Kriegsschutt erbauten, ehemaligen Zentralstadions waren dies deren drei. Vor dem Anpfiff am Samstag etwa hatte Stadionsprecher Tim Thoelke, der im richtigen Leben Musiker, DJ und Moderator ist, sportlich fair zur Einstimmung gesagt: "Hoffenheim ist die Mannschaft der Stunde!"
Womöglich hatte die Mehrzahl der 41.780 Zuschauer im luftigen Stadion nicht so recht hingehört. Und zu diesem Zeitpunkt war die Mannschaft von RasenBallsport Leipzig ja noch behütet in den Katakomben. Doch allerspätestens nach einer Stunde war jedem klar, welchen phänomenalen Lauf die "Nagelsmänner" in diesen Wochen tatsächlich haben.
Die TSG 1899 Hoffenheim nahm in der Messestadt beim 5:2 (3:0) die "Bullen" derart auseinander, dass diese sich wie Hornochsen fühlen mussten. "Wir wollen das Maximale aus dieser Saison herausholen", meinte TSG-Cheftrainer Julian Nagelsmann in der Pressekonferenz - und für einen klitzekleinen Moment verlor sein Podiumspartner Ralph Hasenhüttl die (öffentliche) Kontrolle.
Denn "Hoffe" gelang es beim direkten Konkurrenten, die Voraussetzungen im Saisonfinale um Europa zu drehen: Urplötzlich ist der Dorfverein aus Nordbaden in unmittelbarer Schlagdistanz zum Champions-League-Platz vier und Bayer Leverkusen auf die Pelle gerückt, während sich der ambitionierte Brauseklub von Dietrich Mateschitz wahrscheinlich mit einer Europa-Reise der zweiten Kategorie abfinden muss.
Auch interessant
Hintergrund
So spielten sie
Baumann: Formidabler Reflex gegen Lookman. Wie Neuer und ter Stegen - fußballerisch - auf Topniveau.
Akpoguma: Laufstark gegen die RB- "Pfeile". Wird immer besser.
So spielten sie
Baumann: Formidabler Reflex gegen Lookman. Wie Neuer und ter Stegen - fußballerisch - auf Topniveau.
Akpoguma: Laufstark gegen die RB- "Pfeile". Wird immer besser. Chapeau.
Vogt: Souveräne Vorstellung als Abwehrorganisator und Ballverteiler.
Hübner: Rackerte wie ein Berserker. Wurde wegen einer leichten Oberschenkelzerrung rausgenommen.
Kaderabek: Trägt das Herz am rechten Fleck. Agil, einsatz- und offensivfreudig. Belohnte sich mit seinem ersten Bundesliga-Treffer!
Amiri: Torvorbereiter. Gute Präsenz im Mittelfeld. "Hoffe" sollte ihn nicht an die "Bullen" abgeben.
Grillitsch: Taktgeber. Gegen Forsberg war freilich auch eine Prise "Burgschauspiel" dabei. Unnötig.
Schulz: Bärenstark. Dreht ständig am Schwungrad. Mitbeteiligt am wichtigen 0:1. Wenn er das durchzieht, doch ein Kandidat für den Bundes-Jogi?
Gnabry: Wieder etwas für die Scorer-Wertung. Ein Assist, ein Treffer. Wurde nach 54 Minuten geschont.
Uth: Exzellenter Doppelpacker, eine geschickte Balleroberung. Meister der Effizienz. Ein kompletter Stürmer.
Kramaric: Ackerte viel nach hinten und half somit dem Team ungemein. Maßgenaue Flanke auf den Kopf von Uth.
Nordtveit: Kam für Hübner in die Dreierkette. Wackelte punktuell.
Rupp: Hatte beim 1:5 den richtigen Riecher - das war clever.
Demirbay: Guter Stabilisator. jog
Den Grundstein für das Husarenstück legten die taktisch optimal eingestellten und aufgestellten Kraichgauer in der ersten Halbzeit. Die Tore von Mark Uth (14.), Serge Gnabry (34.) und Pavel Kaderabek (45.) waren zugleich der Dosenöffner bei RB. Die stimmungsvolle Kulisse wurde somit ruhig gestellt, während die 1 500 Anhänger der Gäste lauthals skandierten: "Hier regiert die TSG!"
Vom Zwischenresultat her mag dies zutreffen, von der Dramaturgie her aber nur bedingt. Nagelsmann schwitzte gehörig an der Seitenlinie, benötigte gar ein Handtuch - nicht nur wegen der Sonnenstrahlen - , und bekannte hinterher: "In den ersten 30 Minuten haben wir zu passiv verteidigt. Auch an Ballbesitzphasen war es zu wenig." Jammern auf höchstem Niveau? Nein, typisch Nagelsmann. Der Trainer brennt vor lauter Ehrgeiz, die Mannschaft zeigt Woche für Woche mehr Selbstbewusstsein.
Auch die Hasenhüttl-Schützlinge, hoch begabt und zweifellos mit individueller Klasse bestückt, setzten an einem für sie rabenschwarzen Tag ihre Zeichen. Sie kamen fix aus der Kabine - und warteten buchstäblich auf ihre Rivalen. Der Schwede Emil Forsberg freilich interpretierte das deprimierende 0:3 aus Sicht der Hausherren falsch, ließ sich zu einer Tätlichkeit gegen Florian Grillitsch (47.) hinreißen und flog hochkant mit Rot vom Platz.
Viel entscheidender sollte indes die zweite relevante Szene sein. Naby Keita gelang der Anschlusstreffer zum 1:3 (59.) mit Unterstützung des Pfostens und von Oliver Baumanns Hacke, doch quasi im Gegenzug - mitten in den Jubel der Leipziger Fans - rückte Mark Uth mit dem 1:4 (59.) die Kräfteverhältnisse zurecht. "Mit diesem Tor haben wir hier den Stecker gezogen", meinte Nagelsmann hinterher im Stadionbauch zutreffend. Die Tore der eingewechselten Akteure, Lukas Rupp (64.) und Dayot Upamecano (88.), rundeten eine höchst kurzweilige Partie ab, zählten letztendlich aber zur Rubrik Ergebniskosmetik.
Seit acht Spielen hat Hoffenheim nun nicht mehr verloren. Das Team transferiert eine Selbstverständlichkeit, Abgeklärtheit und Offensivpower auf den Rasen, wodurch fast alles möglich scheint. Ferner sei erwähnt: Die TSG stellt inzwischen nach den Über-Bayern (80 Tore) und dem BVB (61) den drittbesten Sturm, und mit Mark Uth (14, gemeinsam mit Kevin Volland) nach Robert Lewandowski den zweitbesten Torjäger. Uth sagte unprätentiös: "Es läuft sehr gut bei uns. Wir haben eine unfassbar gute Offensive. So kann’s weiter gehen!"
Wohin bis einschließlich am 12. Mai? Der Traum von Rang vier lebt weiter. TSG-Manager Alexander Rosen freudestrahlend in der Mixed Zone: "Von der Leistung und vom Ergebnis her war das schon ein Statement!" Symptomatisch die dritte Episode eines munteren Spielfilms: Ralf Rangnick, Architekt des Leipziger Fußball-Großprojekts und ehemals Hoffenheims erstklassiger Baumeister, wählte die Stille, Einsamkeit und mediale Abstinenz. Eine selbsterklärende Sequenz aus dem "Off" …