Bürgermeister-Abschied in Nußloch

"Ich bin vollkommen zufrieden und mit mir im Reinen"

Nach 16 Jahren geht Nußlochs Bürgermeister Karl Rühl - Im RNZ-Interview verrät er, warum er aufhört und was er vermissen wird

02.03.2018 UPDATE: 03.03.2018 06:00 Uhr 5 Minuten, 27 Sekunden

Karl Rühl freut sich nun auf mehr gemeinsame Zeit mit der Familie und auf seine Hobbys. Foto: Werschak

Von Alexander Werschak

Nußloch. Während seiner Amtszeit wurden von einem fast 27 Millionen Euro hohen Schuldenberg gut 15 Millionen abgetragen und trotz Nettoinvestitionen von mehr als 47 Millionen Euro die Rücklagenbestände auf über 32 Millionen Euro aufgetürmt: 16 Jahre stand Karl Rühl der Gemeinde Nußloch als Bürgermeister vor. Jetzt hat er den Stuhl des Verwaltungschefs für den bisherigen Gemeindekämmerer Joachim Förster frei gemacht, der im Dezember zum neuen Rathauschef gewählt wurde - Rühl war nicht mehr angetreten und ist jetzt Pensionär. Die offizielle Amtsübergabe fand gestern Abend statt. Karl Rühl hatte sich vor 16 Jahren gegen den vormaligen Amtsinhaber Ernst Bauch und drei weitere Mitbewerber durchgesetzt, acht Jahre später war er ohne Gegenkandidat geblieben. Davor arbeitete der diplomierte Verwaltungswirt der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl 16 Jahre lang im Rathaus von Dossenheim, zuletzt als Chef des zentralen Bereichs für Technik und Planung. Die RNZ sprach mit dem 55-Jährigen.

Herr Rühl, was überwiegt: das viel zitierte lachende oder das weinende Auge - oder zwei lachende oder weinende?

Wenn ich mir mein Arbeitsleben vor Augen führe, habe ich praktisch die Hälfte hier in Nußloch verbracht - das ist die zeitliche Betrachtung. Inhaltlich bedeutet das, dass ich sehr viele Menschen kennengelernt habe, seien es Beschäftigte der Gemeinde, sei es in den Vereinen, im Gemeinderat oder in der Kirchengemeinde. Und da hat man natürlich auch viele Leute ins Herz geschlossen, lieb gewonnen, und in Dankbarkeit diese Freundschaften entgegengenommen.

Die ja nicht enden müssen.

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Man muss das schon nüchtern sehen, dass in unserem Beruf auch vieles die Funktion ausmacht. Wenn man diese Funktion nicht mehr innehat, ist sicherlich auch die Betrachtungsweise für den einen oder anderen eine andere. Dessen muss man sich bewusst sein. Insofern wird es auch schwer tränende oder weinende Augen geben, weil sich vom einen auf den anderen Tag grundlegend sehr viel ändert.

Und lachende?

Lachende aus zweierlei Gründen: Zum einen haben wir, also Gemeinderat, Verwaltung und Bürgermeister, die Gemeinde finanziell mehr als konsolidiert, handlungsfähig gemacht und für die Zukunft aufgestellt. Zum zweiten, weil ich jetzt das, was auch dadurch für die Familie an Zeit fehlte, wiedergutmachen und in der Familie einbringen kann.

Die vergangenen 16 Jahre waren gewiss ein hartes Stück Arbeit.

Wenn ich an meine Anfangszeit denke, waren das schon 70 oder 80 Stunden in der Woche. Während meiner gesamten Dienstzeit habe ich 278 Urlaubstage nicht in Anspruch genommen, also pro Jahr nur etwa zehn oder zwölf Tage Urlaub gemacht. Und ich hatte nicht einen Krankheitstag. Das alles ist nicht selbstverständlich. Viele Bürgermeister wollen mittlerweile bereits nach acht Jahren nicht mehr, und kaum noch einer will den Beruf länger als zwei Amtszeiten ausüben.

Ist der Job so unerträglich geworden?

Da ist zum einen die versorgungstechnische Seite, wenn jemand beispielsweise Lebenszeitbeamter ist und dann zu einem Beamten auf Zeit wechselt - das ist schon eine schwierige Entscheidung, vor allem, wenn man Familie hat. Das viel Schlimmere ist jedoch zurzeit, dass es in jeder Gemeinde Menschen gibt, die ihre Partikularinteressen über alles stellen und diese lautstark und in einer Art und Weise einfordern, die jeden Respekt vermissen lässt. Oder wenn jemand meint, er müsste Gerüchte streuen, die jeglicher Grundlage entbehren und wogegen man sich nicht wehren kann. Darunter leidet selbstverständlich auch die Familie.

War es bei Ihnen nur der Wunsch, der Familie etwas zurückzugeben, der Sie veranlasst hat, nicht noch einmal zu kandidieren?

Wenn man 16 Jahre lang viele familiäre Termine nur eingeschränkt oder gar nicht wahrnehmen konnte und die Familie immer auf den Beruf Rücksicht nehmen musste, dann kann man sich vorstellen, was für eine Art von Familie bei mir dahintersteht. Familie meint nicht nur meine Frau und die beiden Töchter, sondern auch Eltern und Schwiegereltern, die jetzt in ein Alter kommen, in dem sie sich über die eine oder andere Hilfestellung freuen. Außerdem denke ich, es ist richtig und wichtig, dass jetzt auch wieder eine andere Person mit ihren Ideen und Gedanken und mit ihrer eigenen Herangehensweise der Gemeinde vorsteht.

Wäre Ihre Familie noch eine Amtsperiode mitgegangen?

Die Frage hat sich im Grunde gar nicht gestellt, weil wir von Anfang an besprochen hatten, dass wir es nur diese 16 Jahre machen wollen.

Klingt nach einem Lebensplan. Wollten Sie schon immer Rathauschef werden?

Das hat sich fast ein bisschen durch Zufall ergeben: Geraume Zeit vor der Nußlocher Wahl war ich von zwei Fraktionen einer Stadt im Nordschwarzwald angesprochen worden, die unbedingt wollten, dass ich dort kandidiere; das wäre aber mit einem Umzug verbunden gewesen, den wir familiär nicht wollten. Als dann eine Partei aus Nußloch den ersten Kontakt mit mir aufnahm, war ich auch eher überrascht.

Also war Bürgermeister zu werden kein Lebenstraum?

Überhaupt nicht, ursprünglich wollte ich nach dem Fachhochschulstudium noch einmal studieren - und zwar Zahnmedizin.

Und sich während Ihrer Zeit in Nußloch in einer größeren Kommune zu bewerben, hat Sie augenscheinlich nicht gereizt. Anfragen hat es doch wohl gegeben?

Ja, die gab es.

Vergangenes Jahr wiederum hat es manchen verwundert, dass Sie nicht noch einmal angetreten sind - schließlich erlebt man Sie durchaus als Macher, als ehrgeizig.

Wenn ich nicht den Ehrgeiz gehabt hätte, die Gemeinde zu konsolidieren, von den Schulden wegzubringen und wieder eine gesunde Basis für die Zukunft zu schaffen - wenn ich nur versucht hätte, zu verwalten und Kredite mit Krediten zu bedienen, wo würden wir dann heute stehen? Meine Aufgabe, die ich hier vor 16 Jahren übernommen habe, sehe ich als erledigt an. Wir haben kreisweit nach Walldorf und St. Leon-Rot in absoluten Zahlen die höchste Rücklage.

Was werden Sie jetzt vermissen?

Mir haben alle drei Bereiche Spaß gemacht: als Chef der Verwaltung, Vorsitzender im Gemeinderat und der Kontakt mit der Bürgerschaft. Da kann ich keine Gewichtung vornehmen, insofern werde ich alles vermissen.

Und was gar nicht?

Vor meiner Kandidatur hatten mir Leute, die sich auskannten, bereits erzählt, dass Nußloch politisch kein einfaches Pflaster ist. Aber für das, was ich erwartet hatte, war es die letzten 16 Jahre relativ ruhig. Zeitlich kann man es so betrachten, dass es zwei Zeiträume gab: einer, wo kein Geld da war, und ein zweiter, wo man meinte, die Gemeinde hat mehr als genug Geld. Von der Arbeit her fiel die erste Zeit als Sanierer fast leichter als die als Gestalter. Denn dann haben alle viele, viele gute Ideen; doch bei einzelnen Personen stellt sich die Frage, ob es ihnen um das Wohl der Gemeinde geht oder um rein persönliche Interessen. Das werde ich mit Sicherheit nicht vermissen.

Getragen wurde die finanzielle Sanierung auch von einem harschen Sparkurs beim Personal.

Zunächst: Den Stellenplan beschließt der Gemeinderat! Und es gab damals keine Alternative zu Personaleinsparungen. In den ersten Jahren musste ich Ausgaben strecken, um mein Personal pünktlich und vollständig bezahlen zu können. Begonnen mit 93,9 Vollzeitstellen im Jahr 2001 waren wir am tiefsten Punkt bei 62,7. Ohne dies wäre die finanzielle Gesundung nicht eingetreten. Ich kann nur sagen, dass jeder, der auf meinem Stuhl mit meinem Kenntnisstand gesessen wäre, ebenso entschieden hätte. Parallel haben wir aus vier Ämtern drei gemacht und so eine Amtsleiterstelle eingespart - und gleichzeitig die Öffnungszeiten um 40 Prozent erhöht, um den Service für die Bürger im Sinne des Dienstleistungsgedankens auszuweiten.

Wie ließ sich dieser Personalabbau im öffentlichen Dienst bewerkstelligen?

Durch Altersfluktuation, aber wir mussten auch ein, zwei harte Entscheidungen treffen.

Sind Sie ein strenger Chef, verlangen Sie viel?

Ich habe eine gerade Linie - und die gilt für einen Hilfsarbeiter genauso wie für einen Amtsleiter. Ich habe nie einen Mitarbeiter kontrolliert. Ich denke, ich verlange das, was normal ist, was jemand arbeitsvertraglich schuldet. Und ich habe nichts verlangt, was nicht ginge oder zu viel wäre - auch im Vergleich landauf, landab.

Sind Sie stolz auf das Erreichte?

Ja.

Und worauf freuen Sie sich nun am meisten?

Ich gehe jetzt mit meiner Frau zwei Wochen auf eine Kreuzfahrt ins Warme, und wenn wir zurückkommen, wird der neue Alltag beginnen: mit mehr Zeit für meinen Hundesport, mit Unterstützung für meinen Schwiegervater, mit mehr Zeit für die Familie generell und für Freundschaften.

Was steht noch an?

Was ich früher gerne gemacht habe, war Fußball als Sport und später als Trainer. Ich glaube, jetzt finde ich es aber schöner, mir die Spiele nur anzuschauen. Seit diesem Jahr singe ich im Kirchenchor in Mühlhausen - auch als gemeinsame Freizeitaktivität mit meiner Frau. Ich habe meine Mopeds und Traktoren und ich will wieder mehr Radfahren. Perspektivisch möchte ich in die Kocherei noch ein bisschen reinkommen.

Sie werden nicht in irgendein reguläres Beschäftigungsverhältnis wechseln?

Nein, das ist überhaupt nicht geplant.

Gibt es noch einen unerfüllten Traum?

Nein, ich bin vollkommen zufrieden und mit mir im Reinen.

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