Heidelberger Graffiti-Treff bangt um seine Zukunft
Jugendliche trafen sich seit zwei Jahren im Kulturfenster, um gemeinsam zu sprühen - Versteigerung der Werke zur weiteren Finanzierung

Solche Werke entstanden beim kostenlosen Graffiti-Treff des Kulturfensters, der seit Herbst 2015 angeboten wurde. Da jetzt die finanzielle Förderung der Baden-Württemberg-Stiftung ausläuft, müssen sich die Organisatoren etwas einfallen lassen. Vor allem das Material verursacht enorme Kosten. Foto: privat
Von Daniela Biehl
Heidelberg. Ein bisschen Gänsehaut hat er schon. Und ein seltsames Gefühl, seine Bilder so ausgestellt zu sehen. "Sonst zeichne ich für mich, da sehen höchstens meine Eltern die Bilder", meint Johannes Theisen und deutet auf ein schief eingerahmtes Graffito: Ein rotes, von schwarzen Zacken umranktes "S". "Einen halben Tag habe ich dafür gebraucht", berichtet der 20-Jährige. Theisen ist einer der acht Jugendlichen, die im offenen Streetart-Treff des Kulturfensters zusammen mit den Künstlern Aljoscha van Bebber und Norman Brenner an ihren Graffiti feilen. Ihre Kunstwerke wurden jetzt bei einer Abschlussveranstaltung im Kulturfenster ausgestellt und versteigert.
Wer kam, konnte auch selbst zur Spraydose greifen - und von den Jugendlichen noch etwas lernen. So riecht es draußen im Hof bald nur noch nach Lack und Farbe. Bekannte, Freunde, Eltern und Tanten - sie alle wollen einmal Hand anlegen, zeichnen übergroße Köpfe, Vögel, ihren Namen oder den Schriftzug Love. Und Crank (30), der mit Theisen Woche für Woche im offenen Streetart-Treff sitzt, erklärt den Gästen ihre Welt. "Graffiti ist wie ein Spiel", sagt er. "Du kannst mit einem Schriftzug alles anstellen - ihn verzerren oder dehnen." Gerade im Treff mache das besonders viel Spaß - "weil wir uns austauschen". Und manchmal, wie im Frühjahr, arbeiten sie gemeinsam an Skizzen. "Damals hat uns ein Hausbesitzer in Kirchheim angesprochen, er wollte, dass wir ihm eine Wand besprühen", erinnert sich Crank. "Damit er eine schöne Außenfassade hat." Und die Jugendlichen konnten sich austoben und skizzierten gemeinsam ein Dschungelmotiv.
Nur wenige Monate später, im Sommer letzten Jahres, ging es zum Jugendaustausch nach Verdun. Die Franzosen hatten zur Hundertjahrfeier der historischen Schlacht im Ersten Weltkrieg ein Graffitiprojekt initiiert. "Mit Künstlern und Schülern aus Verdun zusammen haben wir eine sechs Meter hohe Wand vor uns gehabt", erzählt Theisen. Dann hätten sie beschlossen, darauf Soldaten zu malen. Ein Graffito sollte den vom Krieg gebeutelten, innerlich zerrissenen Soldaten zeigen, das andere den noch hoffnungsvollen. "Wir wollten, dass man sieht, mit welchen romantischen Vorstellungen von Krieg auch gespielt wird. Dass man Menschen einredet, sie würden Helden werden", sagt Theisen. Und "Dass man sieht, was Krieg mit den Menschen macht."
Unterdessen führt der 15-jährige Sam durch die Ausstellung. Er bleibt schließlich vor einem aufgeschlagenen Buch stehen. Es ist sein Malbuch, aus dem er auch ein Bild versteigern lässt. Das Motiv: ein von Noten umrankter Schriftzug mit dem Wort "slow" - also langsam. "Ich fand das ganz lustig, weil unsere Musik ja eigentlich schnell und fetzig ist", sagt Sam. Versteigern heißt in diesem Fall: "Man trägt sich in eine Liste ein und wird in ein paar Tagen angerufen, wenn man der Meistbietende war", erklärt Sam.
Dass auch er ein Bild aus seinem Bestand versteigert, ist für ihn selbstverständlich. Schließlich geht es um die Finanzierung des offenen Treffs. Eineinhalb Jahre lang bekamen sie Fördergelder der Baden-Württemberg-Stiftung, jetzt ist das Programm ausgelaufen. Ein Honorar gibt es für die leitenden Künstler Bebber und Brenner noch immer. "Wir haben ja einen städtischen Zuschuss", meint Bernd Gsell vom Kulturfenster. "Die Materialkosten werden aber kaum mehr zu stemmen seien." Entweder müssen die Jugendlichen künftig einen Unkostenbeitrag zahlen oder das Geld kommt anderweitig rein. Die Versteigerung könnte wenigstens einen kleinen Betrag einbringen.



