Edingen-Neckarhausen: Bürgermeister Michler im RNZ-Jahresinterview

Simon Michler über die Fischkinderstube, den Bürgerentscheid und eine Französisch-App

29.12.2016 UPDATE: 30.12.2016 06:00 Uhr 5 Minuten, 43 Sekunden

"Wir haben große Themen angepackt, da ist Widerstand aus der Bevölkerung heraus normal", sagt Simon Michler im RNZ-Jahresinterview. 2016 habe man mit vielen einmaligen Dingen zu tun gehabt, etwa dem Abtransport der Fischkinderstube. Foto: Pilz

Von Nicoline Pilz

Edingen-Neckarhausen. Es war ein Jahr der Umbrüche in Edingen-Neckarhausen: Nach 24 Jahren ging Bürgermeister Roland Marsch Anfang 2016 in Ruhestand, sein Nachfolger Simon Michler ist seit knapp zwölf Monaten im Amt. Und der "Neue" in der Verwaltung machte Tempo, arbeitete sich auch an umstrittenen Themen ab. Selten war die Bürgerbeteiligung in Gemeinderatssitzungen so hoch wie 2016. Im RNZ-Jahresinterview spricht Bürgermeister Michler von einer "lebendigen Gemeinde" und davon, dass unterschiedliche Positionen zu einer "lebendigen Demokratie" gehören.

Herr Michler, im Wahlkampf sagten Sie, Bürgermeister zu sein, wäre Ihr Traum. Sie sind jetzt seit einem Jahr im Amt. Hat sich Ernüchterung eingestellt?

Nein, das ist mein absoluter Traum geblieben und hat sich übers Jahr immer mehr verfestigt. Es ging allerdings schneller vorbei, als gedacht - so konnte ich das gar nicht so genießen. Jetzt zum Jahresende ist mal Zeit, alles zu reflektieren. Dass da auch immer Schattenseiten sind, ist klar.

Es war ein schwieriges Jahr mit schwierigen Themen. Ihr CDU-Kollege, der Landtagsabgeordnete Georg Wacker, hat Sie bei Ihrer Amtseinführung vor dem Selbstbewusstsein und der Eigenwilligkeit der Menschen am Ort "gewarnt". Haben Sie die Edingen-Neckarhäuser unterschätzt?

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Nein. Ich kann auch nicht bestätigen, dass es ein schwieriges Jahr war. Es war ein intensives Jahr, in dem wir es mit vielen Dingen zu tun bekamen, die einmalig sind. Zum Beispiel die Sache mit dem Trinkwasser, dem Abtransport des Bodenaushubs bei der Fischkinderstube oder auch alles rund um den Bürgerentscheid. Das kommt auch nicht jährlich vor. Edingen-Neckarhausen ist eine sehr aktive Gemeinde, das habe ich schon im Wahlkampf festgestellt. Wir haben große Themen angepackt, da ist Widerstand aus der Bevölkerung heraus normal.

Sie meinen, man kann es nicht allen Recht machen?

Ich habe in diesem Jahr mindestens fünf verschiedene Unterschriftenlisten von Bürgern bekommen. Zum Mittelgewann, zum Verkehr, zu Flüchtlingsunterkünften oder auch zu der von einem Landwirt geplanten Reitanlage. Manche Bürger wollen bestimmte Projekte einfach nicht. Ziel muss es aber natürlich sein, die Bürger bestmöglich mitzunehmen. Wobei jedes Thema separat zu betrachten ist und die Verwaltung immer das große Ganze im Blick haben muss.

In Ihrer Antrittsrede sprachen Sie davon, dass Sie sich Ihren Beruf als Teamarbeit zwischen Bürgern, Gemeinderat und Verwaltung vorstellen. Was ist da dieses Jahr gelaufen?

Ich denke, sehr viel, denn wir sind mit allen in regelmäßigem Dialog. Das Wichtigste sind zunächst die Mitarbeiter, und hier sind wir mit der neuen Struktur und der Stabsstelle gut aufgestellt. So können wir die Themen und Anfragen zügig abarbeiten, die anstehen. Der Draht zum Gemeinderat ist eng. Es gibt Fraktionssprechersitzungen und zum Jahresende hin haben wir den Technischen Ausschuss verstärkt eingebaut als vorberatendes Gremium, damit der Gemeinderat dann auch zügig abstimmen kann. Ich bin damit zufrieden, auch wenn manches Thema eine Ehrenrunde dreht. Aber Meinungsverschiedenheiten gehören zu einer Demokratie.

Das "Mittelgewann" hat die Gemeinde in Befürworter und Gegner des Bebauungsgebiets gespalten. Ist es Zeit für integrationsstiftende Strategien, etwa ein kommunales Leitbild?

Also, zunächst mal glaube ich nicht, dass die Gemeinde gespalten ist. Das Thema ist engagiert diskutiert worden, und es wird einen Bürgerentscheid geben. Das ist jetzt gut so. Mal sehen, was dabei rauskommt. Es handelt sich um einen weitreichenden Beschluss, der die Entscheidung des Gemeinderates kippen könnte. Der Bürgerentscheid ist ein Zeichen lebendiger Demokratie. Und es geht ja um das größte Projekt der nächsten Jahre. Viele gute Gründe sprechen für die Bebauung - aber ich bin dabei völlig entspannt, denn ich kann mit beiden Ergebnissen des Bürgerentscheids leben, wenngleich ich mich aus politischer Sicht für das Baugebiet "Mittelgewann" stark einsetze.

Also braucht es keine besonderen Bemühungen um Ausgleich?

Die Aufgabe eines Bürgermeisters ist es immer, für Ausgleich zu sorgen und integrationsstiftend zu sein. Es braucht aber trotzdem eine klare politische Haltung. Letztlich kommen die besten Entscheidungen ja oft aus der Kontroverse zustande, weil man in der Diskussion noch einmal viele Aspekte reflektiert. Wenn ein Leitbild Thema wird, warum nicht - ich würde das nicht verneinen.

Es gab 2016 keinen Bürgerinformationstag. Warum nicht?

Es hat zeitlich nicht geklappt. Eigentlich soll so ein Tag einmal im Jahr stattfinden, und ich will das auch wieder so halten. Andere Gemeinden machen zum Beispiel einen offiziellen Neujahrsempfang. Das kann ich mir auch für Anfang 2018 vorstellen: mit der Möglichkeit für die Bürger, sich zu Wort zu melden und einzubringen, mit einem Rückblick und Ausblick. Weitere Beteiligungsinstrumente sind denkbar, wir können uns hier noch verbessern.

Erstmals fand 2016 eine Klausurtagung des Gemeinderats zu richtungsweisenden Themen statt. Es gibt Gemeinderäte, die ihre Teilnahme jetzt bedauern. Soll es 2017 wieder eine Klausurtagung geben?

Stand heute ist das nicht notwendig. Es ging 2016 um viele grundlegende Dinge, mit denen wir uns die nächsten Jahre befassen werden. Losgelöst vom Thema "Mittelgewann" war das eine sehr gute Tagung. Wir haben viele Themen angesprochen, die zu Grundsatzbeschlüssen geworden sind: Kinderbetreuung, Neckarhausen-Nord, die Entwicklung des Sportzentrums, Standorte für Flüchtlingsunterkünfte und Innenentwicklung sowie der Bebauungsplan Hilfeleistungszentrum und Gewerbe. Wenn es eine Tagung geben wird, dann mit anderen Schwerpunkten.

Sie haben die Verwaltung umstrukturiert. Man hat den Eindruck, dass es noch nicht ganz rund läuft, denn manche Informationen werden nur halb oder missverständlich auch an die Presse weitergegeben. Ist die Verwaltung überlastet mit all den Projekten, die Sie auf die Agenda gesetzt haben?

Ich bin sehr zufrieden mit der neuen Struktur und den Mitarbeitern. Vielleicht fehlt es aber nach außen hin noch an den Ansprechpartnern. Das Thema "Verkehr" ist zum Beispiel vom Bauamt zum Bürger- und Ordnungsamt gewechselt. Wir nehmen aber jede Kritik gerne auf, denn es muss ja nicht heißen, dass es nichts zu verbessern gibt.

Nehmen wir die Wölfelsgasse in Edingen. Die Anwohner fühlen sich verschaukelt, wenn man ein Halteverbot mit dem Argument in Parkplätze umwidmet, der Gemeindevollzugsbedienstete hätte zu viele Strafzettel ausstellen müssen. Später musste man erfahren, dass das nur die "halbe Wahrheit" war, weil die Verwaltung hier "gleiche Verhältnisse" schaffen wollte. Ein Anwohner beteuert zudem, die Geschäftsleute hätten Druck ausgeübt und Unterschriften für die Parkplätze gesammelt. Was stimmt denn jetzt?

Offensichtlich alle drei Gründe. Das Ganze ist vor meiner Zeit so entschieden worden, und Tatsache ist auch, dass wir jetzt mehr Verkehr in der Hauptstraße haben. Vorher konnte man das nicht wissen. Glücklich sind wir, dass jetzt ab Anfang Januar Tempo 30 kommt. Das ist hoffentlich ein erster wichtiger Schritt. Mal sehen, ob dieser ausreicht. Wir müssen jetzt nach vorne schauen und im Dialog mit den Anwohnern das Thema neu bewerten. Ein Gespräch mit den Betroffenen und dem Bürger- und Ordnungsamt gibt es bereits.

Thema "Fischkinderstube": Mal abgesehen davon, dass die Baustelleneinrichtung aufwendig ist, passiert dort tagelang nichts. Außerdem soll es Probleme bei der Finanzierung gegeben haben. Liegt das an der ausführenden Firma?

Nun ja, das ist ein Großprojekt von über drei Millionen Euro. Da gibt es manchmal Verzögerungen. Wir gehen aber davon aus, dass die Sache im Januar Fahrt aufnimmt. Richtig ist, dass wir ein paar Wochen in Verzug sind.

Der Gemeinderat hat beschlossen, dass dieses Projekt "kostenneutral" sein muss. Wird der Grundsatzbeschluss aufgehoben?

Wir hoffen, dass es mit der Finanzierung wie geplant hinkommt, zumal wir unsererseits alles dafür getan haben.

In einer kritischen Bilanz darf auch das Gute nicht fehlen: Sie interessieren sich sehr für die Partnerschaftsarbeit, loben auch politische Gegner wie die Bürgerinitiative für deren Engagement und haben, wie man hört, für die Rathausmitarbeiter stets eine offene Tür. Was fanden Sie an Ihrer Arbeit gut?

Oje, es ist schwierig, sich selbst zu bewerten. Ich finde, Basis einer funktionierenden Zusammenarbeit ist ein guter menschlicher Umgang miteinander - auch wenn man anderer Ansicht ist. Persönlich kann ich auch aus den "heißeren" Sitzungen lernen, zu hinterfragen, was ich besser machen kann. Aber man muss auch sich selbst bleiben und eine klare Linie haben. Das alles unter einen Hut zu bringen, ist Aufgabe eines Bürgermeisters. Aber alleine kann ich nichts bewirken, und ich bin wirklich dankbar, so eine Verwaltung übergeben bekommen zu haben. Hier sind viele erfahrene Mitarbeiter, die auch bereit sind für einen gewissen Umbruch.

Wie soll für Sie ein wunderbares 2017 aussehen?

Das Jahr 2016 war das der wichtigen Grundsatzbeschlüsse. 2017 wird das Jahr der Umsetzung und Feinplanung in vielen Bereichen. Politisch gesehen wäre es wunderbar, die jeweiligen Projekte voranbringen zu können. Und persönlich: Ich habe eine App gefunden, mit der ich gerade Französisch lerne. Beziehungsweise wieder lerne, denn ich hatte Französisch früher auch in der Schule. Das bedeutet, ich kann dann eine "flammende Rede" für das Partnerschaftsjubiläum vorbereiten (lacht)… Nach meiner Operation hatte ich Zeit, täglich eine halbe Stunde zu lernen, und ich hoffe, ich kann es beibehalten. Es ist immer unangenehm, wenn man nur Bahnhof versteht. Außerdem bringt das kommende Jahr für meine Frau und mich noch eine Veränderung mit sich: Wir wollen bauen und haben "Beim Bildstock 18" ein Grundstück gefunden, wo wir ein kleines Häuschen verwirklichen wollen. Der Ortsteil Edingen ist für meine Frau einfach praktischer, weil sie ja in Heidelberg arbeitet und fußläufig die OEG erreichen kann. 2017 wird auf jeden Fall nicht langweilig.

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