Harte Hoffenheimer Realität
Gemütlichkeit und Genugtuung haben sich bei der TSG eingeschlichen - Trainer Julian Nagelsmann mahnt
Von Nikolas Beck
Hamburg. Oliver Baumann sprach leise. Langsam und mit gesenktem Haupt. Hoffenheims Torhüter wählte seine Worte mit Bedacht, während er im Bauch des Volksparkstadions mühsam die Tapeverbände von seinen Fingern löste. Von eben jenen Fingern, durch die ihm eine halbe Stunde zuvor der Ball geflutscht war: 75 Minuten waren am Sonntagnachmittag gespielt, als Baumann, zuletzt die Zuverlässigkeit in Person, beim Kostic-Knaller kräftig patzte und die 0:3-Niederlage seiner TSG beim HSV besiegelte.
Klar, dass der 27-Jährige hinterher ein gefragter Mann war. Die Zwei-Mann-Mauer - die den Namen Mauer nicht verdient hatte - würde er im Nachhinein etwas weiter zusammenstellen, gab Baumann unumwunden zu: "Den muss ich halten und fertig." Auch sein Trainer ließ keine zwei Meinungen zu. Er kümmere sich zwar nicht um die Mauer ("Wenn ich das auch noch machen müsste, käme ich gar nicht mehr zum Schlafen"), aber der Treffer gehe auf Baumanns Kappe, "da verrate ich kein Geheimnis." Nagelsmann: "Nicht schlimm, den hat er jetzt mal reingelassen, er hat aber auch schon ein paar Unhaltbare gehalten."
Es war freilich das einzige Mal, dass der aktuelle Trainer des Jahres nach dem Debakel im Altonaer Volkspark den Blick zurückwerfen wollte. Nagelsmann gab den Mahner. Er habe "das Gefühl, dass wir zu viel zehren von dem, was war". Verinnerlichen, dass man sich von der erfolgreichen Vorsaison heuer nichts mehr kaufen kann, laute nun die Devise. Die Situation sei - trotz nur zweier Siege aus den vergangenen zwölf Spielen inklusive dem vorzeitigen Knock-out im Europapokal - nicht schwarz und auch nicht dunkelgrau, so Nagelsmann, "aber sie könnte eben besser sein".
Haben sich bei der TSG also heimlich still und leise lähmende Genugtuung und Gemütlichkeit eingeschlichen? Der erfolgsbesessene Coach hat diesen Eindruck. "Wir müssen wieder auf dem harten Realitätsboden ankommen, da befinden wir uns gerade nicht." Und der Landsberger betonte mehrfach, dass er seine Worte nicht als Kritik ausschließlich an der Mannschaft verstanden wissen wolle. Vielmehr müsste "jeder Einzelne wieder einen Schritt mehr machen", um erfolgreich zu sein.
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Mehr laufen also, mehr arbeiten und vor allem mehr trainieren. Zuletzt blieb dazu wenig Zeit - für Nagelsmann ein Grund für die Ergebniskrise: "Wir haben überwiegend Spieler im Kader, die Training brauchen, um sich zu entwickeln." Seinen Ansatz - Jugend forscht - verfolgt der 30-Jährige konsequent. Allein: In den vielen Englischen Wochen saßen Geiger, Akpoguma, Posch, Amiri und Co. mehr im Flieger oder im Eisbecken, als auf dem Trainingsplatz zu stehen. Die Tage, in denen der Dorfklub auch auf europäischem Parkett tanzen durfte, sind nun allerdings gezählt. "So skurril es klingen mag, das Ausscheiden aus der Europa League wird uns gut tun", hofft Nagelsmann, über intensive Übungseinheiten wieder in die Spur zu kommen.
Das spielende Personal sieht das nicht immer so. Welcher Fußballer schwitzt denn lieber auf dem Vereinsgelände in Zuzenhausen als in der Arena vor Tausenden Zuschauern? "Es gibt genug Teams, die trotz Doppelbelastung ihre Spiele gewinnen", sagte Serge Gnabry. Und der Offensivmann war sich sicher, dass dazu auch die TSG das Potenzial hat. Das habe man in den zurückliegenden Wochen nur nicht gezeigt. Vielleicht sind es Einschätzungen wie diese, weswegen Nagelsmann zum "Aufwachen" aufrief: "Es gewinnt eben nicht die Mannschaft, die vielleicht die etwas besseren Kicker in ihren Reihen hat, sondern diejenige, die mehr Tore schießt. Und wir machen das in den meisten Spielen nicht."
Auch das ist harte Hoffenheimer Realität.