1899 Hoffenheim

Darum war die Reise beim "anderen" Neuling Union Berlin ein besonderes Erlebnis

Emotion und Fußball pur - TSG als Partyschreck

18.12.2019 UPDATE: 19.12.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 47 Sekunden
Zurück in die Vergangenheit: An der Alten Försterei wird die Ergebnistafel noch händisch bedient. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Berlin. Der kultige Klub 1. FC Union tut der Bundesliga gut – und auch der Hauptstadt Berlin. Ein Besuch im legendären Stadion An der Alten Försterei, das 1920 eingeweiht und 2009 erneuert wurde, entspricht einer Zeitreise. Fast alles versprüht hier leicht maroden Charme und wohltuenden Retro-Look. Ob von den Baulichkeiten her, den vier Tribünenflanken mit vielen Stehplätzen, den einfallsreichen Fan-Aktionen sowie -Choreografien, den Gesängen und Rufen wie ein Donnerhall, bis hin zum 80-seitigen Stadionheft, draußen in Köpenick, im tiefen Südosten der Metropole, ist ein besonderer Erlebniswert garantiert.

Das Revier unweit des einstigen Schmelztiegels der DDR-Schwerindustrie in Oberschöneweide hat so manchen etablierten Bundesligisten erschreckt. Hier stolperten unter anderem die beiden Borussen-Klubs aus Dortmund (1:3) und aus Mönchengladbach (0:2). Hier gelang keinem der Gästeteams seit dem 27. September (2:1 für Eintracht Frankfurt) ein Tor, 81 Tage lang, oder umgerechnet 443 Spielminuten her. Wäre den "Eisernen" das Kunststück auch gegen die TSG 1899 Hoffenheim am späten Dienstagabend gelungen, sie hätten einen Rekord für einen Bundesliga-Aufsteiger aufgestellt. Fünf Heimsiege in Serie und zu Null hat nämlich noch keiner geschafft.

So aber erwies sich der mentalitätsstarke Kraichgauklub beim 2:0 (0:0) für "Hoffe" als Partyschreck und Spielverderber. Die Schreuder-Schützlinge schafften genau das, was Union diesmal nicht in die Waagschale zu werfen vermochte, nämlich maximale Effizienz. Die Tore von Ihlas Bebou (56.) und Christoph Baumgartner (90.+1) machten vor 20.350 Besuchern im Tollhaus der Alten Försterei den Hauptunterschied aus. Die Quote von insgesamt nur sieben TSG-Torschüssen und zwei Netztreffern konnte sich sehen lassen. "Sie haben die Dinger gemacht, wir nicht", bekannte Union-Kapitän Christopher Trimmel.

Der Schweizer Trainer und Ruhepol Urs Fischer sprach in seinem Idiom vom "nötigen Wettkampfglück", das sich die bestens organisierten Blauen erarbeitet hatten. Die Heimmannschaft konnte nicht wie zuletzt jenen Druck und jene Wucht erzeugen, da half ihr selbst die fantastische Unterstützung nichts. Wann wird schon mal eine Elf, die auf eigenem Rasen 0:2 unterliegt, minutenlang nach dem Schlusspfiff mit Ovationen bedacht?

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Der unaufgeregte Fischer, mit der stoischen Gelassenheit eines Hobby-Anglers ausgestattet, brachte die Dramaturgie auf den Punkt. "Unsere Leistung war gut, aber gut reicht eben nicht", sagte Urs Fischer. Dies implizierte: Wenn ein euphorischer Neuling wie "Eisern Union" nicht sehr gut zu Werke geht, nicht ans oberste Leistungslimit herankommt, dann wird es gegen gestandene Bundesligisten schwer.

"Hoffe" hingegen gelang es nicht nur "den Kampf anzunehmen", wie TSG-Cheftrainer Alfred Schreuder seinen Jungs gleich mehrfach einen konzentrierten, engagierten Auftritt bescheinigte, sondern sie schafften es eindrucksvoll, ihren eigenen Emotionshaushalt in dieser Bastion voller Energie und Brisanz zu regulieren. Lediglich einmal wurde es richtig hektisch, als sich Christopher Lenz und Sebastian Rudy (55.) an der Eckfahne in die Quere kamen, Schiedsrichter Sören Storks es aber bei Ermahnungen für die Hitzköpfe beließ.

Diesen Aufreger nutzte Hoffenheim eine Minute später für sich. Ausgerechnet Unglücksrabe Lenz fälschte den Schuss von Bebou mit der Wade so ab, dass er sich als Bogenlampe über Union-Torhüter Rafal Gikiewicz ins Tor senkte. "Ich denke nicht, dass der Ball sonst rein gegangen wäre", gab der Togolese Bebou zu, "da war ein bisschen Glück dabei."

Das 1:0 für die Nordbadener war ein Wirkungstreffer. Nachdem Oliver Baumann den Schuss von Sebastian Andersson (83.) mit einem Superreflex entschärft hatte, fiel den Roten nicht mehr viel ein. Ein Fehlpass von Lenz ermöglichte Havard Nordtveit, Christoph Baumgartner zu bedienen und der junge Österreicher markierte per Außenrist das finale 2:0. Das war die Entscheidung – und zugleich das erste Bundesliga-Tor des 20-jährigen Mittelfeldakteurs. Im Sprint ging es für Schreuder und Co. Richtung Gästekurve.

Erleichterung: TSG-Trainer Alfred Schreuder (r.) mit Bruder Jan-Dirk. Foto: APF

Die beiden Schreuder-Brüder fielen sich um den Hals: "Wir sind immer besser reingekommen, man muss auch mal Fußball kämpfen und solch ein Spiel in dieser besonderen Atmosphäre bewältigen", analysierte Schreuder und lobte Nordtveit, Bicakcic und Baumgartner, "unsere drei Wechselspieler kommen rein, gehen einfach das Tempo mit, und einer davon macht das Tor".

Der TSG-Coach freute sich ungemein über "Baumis" Premieren-Tor: "Er hat sich das so verdient." Der Helfer, der die analoge Ergebnistafel händisch bediente, hatte derweil seine liebe Mühe und Not mit dem Einsetzen der "2" für Hoffenheim. Doch "Eisern Union" trug die Niederlage mit Fassung und Größe. Noch gibt es den Hang zur Fußballromantik im Berliner Osten – das Festhalten an einer eigenen Kultur und Identität ist im Liga-Geschäft erfrischend und bereichernd. "Und niemals vergessen …", steht wie eine mahnende Botschaft auf den rot-weißen Fanschals.

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